Freitag, 25. Oktober 2013
Dunkle Jahre, Teil 5
Meine Studieninteressen entwickelten sich entsprechend. Die Faktenhuberei der Geschichtswissenschaft stieß mich immer mehr ab, ich machte dort nur das Nötigste. Stattdessen belegte ich Philosophieseminare. In Germanistik entdeckte ich Schiller. „Schiller?“, fragte eine Freundin meiner Mutter. „Den mag ich nicht. Der ist doch so künstlich und so ... unerotisch.“ Ihre Aussage erboste mich. Für mich war Schiller der Rebell, der Zerrissene, der Leidenschaftliche, auch in der Liebe. Selbstverständlich künstlich: Schiller, der Performer.
Im Schiller-Projekt tummelten sich Theaterbegeisterte, mir sehr fremde, körperbetonte und überwiegend weibliche Menschen. Jan und ich staunten. Und als wir dann auch noch für die kleine Gruppe ausgelost, die im Frühling mit zu den Schillertagen nach Mannheim fahren durfte! Dort sollten tagsüber Seminare stattfinden, abends gastierten diverse Schiller-Inszenierungen. Danach: Biertrinken und Diskussion. Im Seminar saß ich allein, aber zum Mittagessen sah ich die Bremer wieder, wir trafen uns immer in einer Pizzeria, wo man am Straßenrand in der Sonne sitzen konnte. Es war warm und sonnig und ich in alle Frauen gleichzeitig verliebt. Aber wem von ihnen sollte ich mich nähern? Der kühlen, blonden Cornelia mit den großen grauen Augen und der verklemmten Herzlichkeit, die sich einmal sogar mir zuliebe ihre Haare zum Pferdeschwanz band, wie ich es liebte? Oder der schicken Ada, die nebenher beim Fernsehen arbeitete und die immer perfekt gestylt im Hosenanzug auftrat? Der niedlichen Antje? Oder der katzenhaften Mia, die schon ein paar Jahre älter war und nie etwas von einem Freund erwähnte? Mit Jan konnte ich über solche Probleme nicht sprechen, der verschwand immer gleich nach dem Seminar, tauchte abends zu den Stücken wieder auf und ging anschließend gleich ins Hotel. Wenn ich abends angetrunken ankam, wachte er immer auf und wollte von mir Berichte über die Abendgespräche, die ich natürlich gern gab. Dann fühlte ich mich wichtig und cool und nicht mehr so verklemmt und ängstlich wie noch kurz zuvor in der Runde der Frauen ...
Und dennoch: die Frauen gaben mir Mut. Als wir wieder in Bremen waren und der Studienalltag weiterging, traf ich einmal Cornelia in der Cafeteria. Wir saßen beide nebeneinander auf einem Treppenabsatz, einmal krabbelte sie mir wie nebenbei das Knie. Das war genug, und es machte mich glücklich.

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