Donnerstag, 18. Juni 2009
Halt auf freier Strecke, Teil 5
Das war wirklich in letzter Sekunde, als Elke mit ihrem Mountainbike angerast kam – die Einfahrt des Zuges war schon angekündigt, die Leute schulterten bereits ihre Rucksäcke, brachten die Koffer in Positur. Ein Pärchen mit schwer bepackten Fahrrädern eilte den Bahnsteig nach links, wo sie den Gepäckwagen vermuteten. Elke schloss ihr Gerät in die Fahrradbox, die sie schon vor längerer Zeit gemietet hatte, und stürzte sich ins Gewühl. Der Zug war inzwischen schon da, fast niemand stieg aus, dafür umso mehr ein.
Natürlich war das Abteil bis auf den letzten Platz belegt. Elke fühlte sich bedrängt, da nutzte ihr der reservierte Fensterplatz gar nichts. Die selbstgeschmierten Stullen um sie herum, diese fremden Privatgespräche direkt neben ihrem Ohr, die nervigen Kinderstimmen – als jemand die Schuhe auszog und sich zum Schlafen in eine Ecke drückte, floh sie in den Speisewagen. Gut schmeckte der Kaffee nicht, aber er wurde in einer Porzellantasse serviert, und er berechtigte sie, hier zu sitzen, an einem Tisch mit Tischtuch und ohne Gegenüber. Sie sah raus auf die Wiesen und Weiden ihrer Heimat. Es war schon gut, mal für einen Tag rauszukommen aus dem Trott.
Das halbe Jahr in Hamburg hatte sich im Nachhinein überhaupt als die Rettung herausgestellt. Die wesentlichen Leute, also die sie wirklich akzeptierte, hatte sie doch in den Wochen am Rothenbaum kennen gelernt. Vor allem Klara. Elke verstand selbst nicht, weshalb sie Klara so selten besucht hatte. Mangel an Zeit konnte es eigentlich nicht sein; sicher arbeitete sie viel, aber an den Wochenenden hing sie meistens allein zu Hause und setzte sich abends vor den Fernseher. Und wenn sie ehrlich war, fuhr sie auch jetzt nur zu Klaras Sommerparty, weil dort dieser Michael auftauchen sollte. Was hatte sie ihn umgarnt in ihrer Hamburger Zeit! Aber zu mehr als zu zwei, dreimal Kaffeetrinken war die Sache nie gediehen.
Jetzt freute sich Elke. Sie dachte an das fröhliche Sommerkleid, das sie extra gekauft hatte und das jetzt in ihrem blauen Rucksack auf seinen Einsatz wartete, zusammen mit einer Flasche Prosecco und einem kleinen Geschenk für Klara. Sogar Kondome hatte sie eingepackt, obwohl sie daran gar nicht dachte. Denn eigentlich, sagte sich Elke und musste schon wieder lächeln, denk ich nicht weiter als bis zu dem Moment, wo Klara die Tür öffnet. Die weltgewandte Freundin würde sie aufnehmen. Sie könnte ihr noch ein bisschen in der Küche helfen und dann ihr Bad benutzen, um sich schön zu machen und in das neue Kleid zu schlüpfen. Den Rest würde Klara besorgen. Es konnte nur gut werden.

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