Donnerstag, 13. März 2014
Offene Worte eines Amazon-Rezensenten
Hier ein kleines Fundstück von der amazon-Seite: Welch tiefe Erkenntnisse doch herauskommen, wenn ein Auftrags-Rezensent beginnt, offen zu reden. Oder wie erklären Sie sich das?

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Mittwoch, 12. März 2014
Ein Selbstportrait der alten Bundesrepublik (Rezension zu Per Leo: Flut und Boden)
Mal wieder hat mich ein Buch richtig gepackt: Es trägt zwar einen etwas dämlichen Titel, „Flut und Boden“, ist aber ansonsten außerordentlich klug – und erzählt eine altbekannte Geschichte auf faszinierende Weise: indem sie das Prototypische daran herauskitzelt. Bitte entschuldigen Sie, dass sich meine Faszination zunächst einmal darin äußert, dass ich an dem Buch rummeckere.
Der Text nennt sich Roman, ist aber eher ein autobiografischer Essay: Der Autor nennt sich selbst einen „Nazienkel“. Er hat die ererbte Bürde angenommen, ist Historiker geworden, hat die Biografie seines Großvaters genau recherchiert und auch eine Dissertation zu dessen geistigem Umkreis geschrieben. Nun merkt er, dass auch das ihn nicht von der Last der Schuld befreit, er versucht es jetzt mit einer größer angelegten Analyse seiner Familie. Angeregt wird er dazu von seinem Vater (dem Nazisohn). Man hat den Eindruck, der Vater will den abtrünnigen Sohn und Nazijäger damit wieder in die Familie zurückholen, indem er die Fährte auf den unbelasteten Onkel (den Bruder des Nazis) legt.
Was der Autor, Per Leo, aus der aufgenommenen Fährte macht, ist ein Familienportrait, das, so finde ich, exemplarisch für das Geschichtsbild Bundesrepublik stehen kann.
Sein Großvater ist der missratene Sohn eines Gymnasiallehrers, dessen Familie ganz buddenbrooksch unter der Last vergangenen Unternehmerruhms und –reichtums leidet. Er findet Halt im rechten Milieu, engagiert sich in der bündischen Jugend, lernt Forstwirtschaft, träumt davon, Siedler zu werden. Die Diktatur eröffnet ihm dann eine Karriere, mit der er eine Familie gründen kann: als Parteibonze im „Rasse- und Siedlungsamt“ der SS ist er für die Einbürgerung nach rassischen Kriterien zuständig, eine Position, die man sich anrüchiger kaum vorstellen kann. Nach dem Krieg dann deklassiertes Weiterleben, erst auf dem Dorf, später (noch demütigender) in der Villa der Vorfahren.
Und was macht nun Per Leo, der Enkel, aus dieser Geschichte? Zunächst sucht er nach den Wurzeln der großväterlichen Ideologie und findet sie im Irrationalismus der Jahre um 1900 – dessen Innovationsfreude er entsprechend als „Dornröschenschlaf“ missversteht (S. 106). Wie sein Vater, der Ingenieur, sein Großonkel, der Chemiker geworden ist, gilt ihm der Materialismus als Schutz vor amoralischen Versuchungen.
Entsprechend baut er seinen Großonkel als Gegenbild zum Großvater auf (eine Erzählweise, die ich auch aus meiner Familienüberlieferung kenne): einen anständigen Menschen, der aufgrund einer Krankheit von den Nazis sterilisiert wurde, der sich in den dunklen Jahren und auch danach in Pedanterie und Technikbegeisterung zurückzog.
Dann versucht der Autor, die Schuld des Großvaters aufzulösen, indem er sie anhand der Akten erklärt. Das funktioniert natürlich nicht. Von einer Schuld, die der Täter selbst nicht eingestanden hat, kann ein Nachfahre sich schwer und auf rationale Weise schon gar nicht lösen. Denn worin das Verbrecherische bestand, das lässt sich so zwar erschließen, nacherlebbar wird es nicht: Die Opfer, die Tatorte bekommen kein Gesicht, nur immer wieder der Täter und seine Lügen selbst. Ebenso, wie außen vor bleibt, was seine Frau eigentlich so lange macht, wo und wie sie lebt, wie seine Kinder aufwachsen.
Irgendwie fehlt da die Bodenhaftung. Wenn der Großvater 1945 in amerikanischer Gefangenschaft und gemeinsam mit anderen SS-Gefangenen ein Pamphlet verfasst, das seinen Kindern als moralischer Ratgeber dienen soll, dann hat es wenig Sinn, diesen Text brav ideologiekritisch zu analysieren, wie Per Leo es tut. Denn natürlich kann man da nicht viel mehr rauskriegen, als dass die Verfasser wohl „nicht mehr alle Tassen im Schrank“ hatten, wenn sie z. B. forderten: „Erkenne, daß das größte Unheil [...] durch Schwatzhaftigkeit weniger Wissender entstand.“ (S. 267) Denn natürlich ist das alltagspraktisch zu verstehen: „Verpetzt mich nicht bei den Allliierten!“
Dieses Theoretisieren ist, finde ich, das typische Geschichtsverhalten der alten Bundesrepublik: Der Blick auf die Täter wie das Kaninchen auf die Schlange. Akteneinsicht statt persönliches Annehmen der Schuld. Das Verschieben der Schuld auf die Neuromantik der Jahrhundertwende. Der sehnsüchtige Blick auf die Unternehmer und dass Armut der Bevölkerungsmehrheit ausschließlich als demütigend wahrgenommen wird. Und natürlich die Vernachlässigung der weiblichen Sphäre.
Ganz typisch, wie Leo diese Schieflage ausgleicht: wieder durch Lob des Großonkels. Der hat (als Chemiker in Bitterfeld) in der DDR gelebt und sich anthroposophisch betätigt. Ist das nicht auch wieder ganz typisch westdeutsch: Alles Gefühlige verdammen – aber dann als Ventil ausgerechnet die Anthroposophen akzeptieren und natürlich die nette Familie im Osten?
Tja, und jetzt, was ich so toll finde an Per Leos Buch: Der Autor weiß das alles, was ich hier aufführe, an den schönsten Stellen lässt er dieses Wissen ironisch aufblitzen, etwa wenn er ein Kapitel „The making of a Nazienkel“ betitelt. Und ganz deutlich im großartigen letzten Kapitel des Buches, in dem der Analysierer Per Leo sich wieder zurück in den Menschen Per Leo verwandelt: der – wie sein Großvater – eigentlich keinen bürgerlichen Beruf hat, der wie sein Großvater vieles nicht weiß und eine sehr subjektive Weltsicht an den Tag legt, der aber – anders als sein Großvater – diese Beschränktheit einsieht und versucht, sein Kind so gut wie möglich großzuziehen. Denn darum geht es letztendlich: sich nicht über andere zu erheben.

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Montag, 17. Februar 2014
Neues zum Fall Klum
Na, mein letzter Beitrag war wohl nicht so treffsicher – man vergisst als politischer Laie immer wieder, dass die paar Bröckchen Information, die einen über die üblichen Medien erreichen, in der Regel nicht ausreichen, um sich eine Meinung zu bilden. Wer also näher über den Fall Edathy informiert werden will, der lese lieber hier oder hier nach.
Ich weiß heute Neues über den nicht minder mysteriösen Fall Klum zu berichten: Heidi Klum ist ja wohlbekannt und aller Orten hoch geschätzt, insbesondere um adäquate Quoten für Frauen und Mädchen bzw. deren Auftritte im männerdominierten Fernsehbetrieb hat sie sich verdient gemacht.
Jetzt aber sind Bilder von ihr aufgetaucht, die sich „im Grenzbereich zur Pornografie“ bewegen, wie die Staatsanwaltschaft mitteilt. Es handle sich zwar nicht um strafrelevante Fotos, da nicht direkt sexuelle Handlungen dargestellt werden. Man sieht aber die Abgebildete halbnackt „mit deutlichem Bezug auf die Geschlechtsorgane“ (sogenanntes "Posing"). Hier eins der Schmuddelbilder:


Da Minderjährige in den Fall verwickelt sind (und zwar sehr viele, wie man munkelt), sind die Ermittler überzeugt, dass sich etwas Illegales finden lässt. Eine Hausdurchsuchung steht an, der Stuhl des Pro7-Chefs wackelt ...

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Dienstag, 11. Februar 2014
Einfallslos
Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes war ein Untersuchungsausschuss zu Geheimdienstfragen tatsächlich nicht ganz ergebnislos. Und kaum ein Jahr später gibt es eine Hausdurchsuchung bei dem Ausschussvorsitzenden von damals, und zwar wegen – des Verdachts auf Besitz von Kinderpornographie. Wie langweilig! Habt ihr es in vielen Monaten nicht mal geschafft, euch eine glaubhafte Intrige auszudenken?

(... ja, ich weiß, Kinderpornographie gibt es wirklich und sie ist widerlich. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Edathy damit etwas zu tun hat, ist größer als Null. Sie ist vermutlich sogar größer als die Wahrscheinlichkeit der allgemein geglaubten Tatsache, dass Andreas Temme von dem Mord nichts mitbekommen hat, der zwei Meter neben ihm passierte ... was soll man denn von all den abstrusen Nachrichten halten? Kinderpornographie? Klingt für mich irgendwie nach BILD-Zeitungs-Ente.)

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Freitag, 17. Januar 2014
Politik und Depression
arboretum bat mich neulich, mal über Politik in meiner Kindheit zu erzählen. Hässliches Kapitel. Aber sei’s drum. Um das Ganze in den passenden historischen Rahmen zu heben, beginne ich mit einem Rückblick auf das Jahr 33 und ich hoffe, hier wird mir keiner ein gaucksches Gleichsetzen deutscher Diktaturen vorwerfen. So ist es nicht gemeint: nicht politisch – eher antipolitisch.
Als das Jahr 1933 kam, waren meine Großeltern nicht mehr ganz jung. Mein Großvater, Sozialdemokrat und Finanzbeamter, kroch zu Kreuze, um den wirtschaftlichen Ruin der Familie zu verhindern. (Sein Bruder, der sich anders entschied, endete, jämmerlich – und nicht etwa märtyrerhaft.) Meine Großeltern jedenfalls (auch meine Großmutter war langjähriges SPD-Mitglied) zogen sich ganz in die private Resignation zurück und bekamen noch einmal ein Kind, meinen Vater. Unter diesem depressiven Vorzeichen wuchs auch ich auf, eine Generation später. Zu meinen ersten Erinnerungen gehört, dass ich die Panzer gesehen habe, die 1968 durch meine Heimatstadt rollten, auf der Rückkehr von einer äußerst ruhmlosen Mission. Es waren riesige, laute, beeindruckend bedrohliche Monster. Meine Mutter erzählt, dass ein fremder Mann mir Fähnchen geschenkt, ich sie begeistert geschwenkt und sie sie mir wütend aus der Hand gerissen habe. Daran kann ich nicht erinnern, an den Zwiespalt zwischen Sprachlosigkeit und Wut, den meine Mutter mit sich herumschleppt, schon. Ich habe auch erst später erfahren, dass unser Umzug nach Potsdam wenige Monate später auch mit diesem Ereignis zusammenhing: Mein Vater suchte sich eine neue Arbeit, die er für weniger politisch hielt, wo man ihm auch die übliche Unterwerfungsgeste ersparte, eine Resolution zur Rechtfertigung des Putsches in Prag zu unterschreiben.
Das Ende des Prager Frühlings bedeutete für meine Eltern den endgültigen Abschied von ihren kommunistischen Jugendidealen. Ähnlich wie meine Großmutter sah sich meine Mutter, obwohl sie sehr politisch dachte, auf die private Sphäre verwiesen. Dort, in den eigenen vier Wänden, wurde der Marxismus weiter zelebriert. Im Schrank standen die gesammelten Werke von Bertolt Brecht und alle Platten von Ernst Busch. Sie wurden auch gehört. Mit der Realität, in die wir Kinder jeden Morgen zur Schule gingen, hatte das nichts zu tun. Ich erinnere mich zum Beispiel an das sagenumwobene Buch „Die Alternative“, das als heimlicher Kopienstapel in unser Haus kam, die ersten Fotokopien, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekam. Ich ging an das Versteck und versuchte zu lesen, verstand aber nur Bahnhof. Es hatte nichts mit mir zu tun. Trotzdem kritzelte ich „Freiheit für Rudolf Bahro!“ in mein Mathebuch und hatte furchtbare Angst, irgendjemand könnte das entdecken.
Als zum Beginn der achten Klasse, wenige Wochen vor dem kollektiven Eintritt in die FDJ, Fahnenappell angesagt war, nutzten viele Mitschüler die kleine formale Lücke, um nicht mehr mit Pioniertuch (und noch nicht im FDJ-Hemd) zu erscheinen, sondern einfach in Zivil. Ich fand das unehrlich und sagte das auch in der Versammlung. Plötzlich hatte ich alle gegen mich, auch die Lehrer. Und auch zu Hause meine Mutter meinte, dass man sowas lieber nicht öffentlich äußern sollte. Damit war klar: Den kämpferischen Reden zu Hause hatte kein öffentliches Handeln zu entsprechen. Mir war das recht, mir lag das Kämpferische eh nicht.
Also weiter heimlich Kampflieder und freche Satiren von Biermann zu Hause - und Schweigen, sobald man rausging. Einmal, ein paar Jahre später, wurden meine Schwester und ich von meinem Freund S. dabei ertappt. Als es klingelte, schoben wir das Plattencover von „aah ja!“ schnell unter den Fernseher, die Anlage vergaßen wir auszuschalten. „Was hört ihr denn da?“ fragte S. arglos, erspähte die Hülle, zog sie vor und erblasste. Großes Drama. Die, vor denen wir die Platten eigentlich versteckten, wussten dagegen Bescheid. Die Stasi hat alles per Wanze abgehört und den Inhalt mehrerer Biermann-Platten getreulich transskribiert und abgetippt. S. dagegen durfte, als er dicht hielt, nun auch den „ersten Kreis der Hölle“ von Solschenizyn lesen. Allerdings: Er dürfe nicht wissen, dass wir ihn besitzen, meinten die Eltern: Sag ihm, wir haben das geborgt gekriegt, und er kann es für eine Woche haben.“ Also lasen S., seine Eltern, seine Schwester und sein Schwager den 1000-Seiten-Roman umschichtig in sieben Tagen.
Aber das sind nur so die Anekdoten. Tatsächlich hielt ich mich weiter für einen Sozialisten und Verteidiger der DDR. Als in der 11. Klasse angeordnet wurde, die Jungen hätten in GST-Uniform (GST – „Gesellschaft für Sport und Technik“, Schieß- und Kampfsport-Verein, dessen Uniformen für die vormilitärische Ausbildung an der Schule genutzt wurden) und FDJ-Hemd zur Demonstration am Ersten Mai zu erscheinen, zwängte ich mein FDJ-Hemd über die Uniformjacke und erklärte meinem Direktor, ich sei in erster Linie FDJler. Allerdings interessierten solche Spitzfindigkeiten in der Auslegung des realen Sozialismus weder ihn noch sonst jemanden.
Und sie taten ja auch nichts zur Sache. Tatsächlich waren die Fronten klar. Ich begriff es, glaube ich, in diesem Jahr: als uns in der Schule die vormilitärische Ausbildung aufgedrückt wurde, als wir die natürlich veralberten, ich daraufhin vom Russischlehrer und „Kommandeur“ als Rädelsführer bezeichnet wurde und mein Vater in die Schule rannte, um mich rauszuhauen ... Ich beschloss darauf in meinem Frust, mit einem Freund im Sommer zu einer evangelischen Rüstzeit zu fahren. Mein Vater verbot es mir mit der Begründung, ich müsse doch die innenpolitisch angespannte Situation bedenken und im Grunde stände ich doch eher auf der Seite des Staates als der der Kirche. Was mir angesichts meines Russischlehrers nicht gerade einleuchtete. Gehorcht habe ich ihm trotzdem. Und dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob er diese idiotische Begründung wirklich so meinte oder, wie mein Freund S. mutmaßte, einfach im Jahr der Bewerbung zum Studium den dicken Eintrag in der Stasiakte fürchtete, wenn ich als Nicht-Christ und Sohn eines SED-Mitglieds mit der Kirche urlaubte.
Fazit: Bleibt mir mit Politik vom Halse! Ja, klar: politisch schwätzen, die Dinge ein bisschen verstehen – das macht Spaß. Aber verantwortlich handeln, das kann man nur für sich, seine Freunde, seine Familie, seine Moral – für den Bereich eben, auf den man Einfluss hat.

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Samstag, 11. Januar 2014
Meine schöne Heimatstadt, ganz aktuell
Wenn wir müde und kaputt sind – und das sind wir dieser Tage oft, da sich an den Weihnachtstress gleich eine Erkältung anschloss, die wir alle kriegten – sagt beim Abendbrot meistens einer: „Lass uns doch nachher >Hamburgjournal< gucken!“ Und dann hängt die Familie noch ein paar Minuten banal und spießig vor der Glotze.
Aber jetzt wird uns auch noch dieses Vergnügen missgönnt: Die ganzen letzten Tage sah man da schon Polizistenhorden in voller Montur über die Reeperbahn rennen und harmlose Passanten belästigen. Auch gestern wieder Bilder von diesem blindwütigen Aktionismus, der geradezu das Gegenteil von souveräner Polizeiarbeit ist, wie sie jetzt vielleicht besonders sinnvoll wäre. Doch damit nicht genug: Wir erfahren weiter, dass der Innensenator, der für dieses Chaos zuständig ist, gleich auch noch den Justizsenator-Posten übernimmt. Denn Gewaltenteilung braucht man unter solchen Verhältnissen nicht mehr. (Und damit auch die „soft skills“ abgedeckt sind und sich in Berlin grad neue Pfründe auftun, lanciert der Typ auch noch seine Frau auf den Posten der Integrationsbeauftragten.) Währenddessen, so berichtet das >Hamburgjournal< weiter, versucht in Eppendorf ein Investor ein Mietshaus abzureißen, damit der für die künftigen Eigentumswohnungen die begehrte Wohnungsbauprämie bekommt. Die Behörde findet das völlig in Ordnung.
Weder sozial noch demokratisch, all das. Eben typisch SPD.

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Montag, 4. November 2013
Polemik des Tages: "spielzeugfrei"
Vor ein paar Tagen erheiterte mich wieder einmal eine Laternenpfahlwerbung: Eine „Kinderstube Altona“ empfiehlt sich als „spielzeugfreie“ KITA.
Da ich das Handy fürs Fotografieren nicht dabei hatte, googelte ich nach (natürlich nicht mit Google!), um Euch den Schwachsinn zu verlinken. Zu meinem Schrecken musste ich feststellen, dass das kein Altonaer Ausrutscher ist, sondern offenbar eine richtige pädagogische Mode. Es soll schon eine ganze Reihe KITAs geben, in denen es tatsächlich nur selbstgebasteltes Spielzeug geben darf. Und das Ganze soll laut pädagogischem Konzept der „Suchtprävention“ dienen.
Also, wenn irgendetwas die Sucht nach Kommerzspielzeug anfeuert, dann doch, dass man ein dreijähriges Kind zwingt, sich nur mit den wackligen Elaboraten zu beschäftigen, die es selbst schon herstellen kann. Welches Kind sägt sich seine Bauklötze selber? Ich meine: Nichts gegen Basteln. Und vor allem nichts gegen den Versuch, die Flut überflüssiger Spielwaren von den eigenen Kindern fernzuhalten. (Auch im Kindergarten meines Sohnes waren natürlich manche Spielzeugarten tabu.) Aber zwischen zu viel Spielzeug und gar kein Spielzeug, da muss es doch irgendwo noch einen Weg geben, wenn man irgendeine Zuneigung zu Kindern empfindet, oder? Auch Kindesmissbrauch aus pädagogischer Überzeugung ist Kindesmissbrauch.

... na ja, in einer Welt, die seifenfreie Seifen, politikfreie Politik („Pragmatismus“), alkoholfreies Bier, zuckerfreie Cola und laktosefreie Butter liebt, warum nicht? Wer sich selbst so sehr hasst, der quält auch seine Kinder.

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Montag, 28. Oktober 2013
Dunkle Jahre, Teil 8
Mein Weg in die Wirklichkeit begann - ganz klassisch - mit dem Verlassen der Universität, mit dem Weggang von Bremen. Ich begann mein Referendariat in einer schnuckelig restaurierten, winzigen Fachwerkstadt im Niedersächsischen. Mein lang gehegter Plan vom Lehrerdasein - hier sollte er Wirklichkeit werden, nachdem ja Rostock und überhaupt der Osten dafür nicht mehr in Frage kamen. Angesichts der bodenständigen Mitreferendare erwies ich mich wieder als der Exot - und als ein wenig verwahrlost, auch das war unverkennbar. Zu den meisten von ihnen fand ich keinen Zugang und zu den Schülern auch nicht, wenn man von einigen Außenseitern (Kleinstadtpunks, Migranten, psychisch Verquere) absieht, zu den Fachleitern erst recht nicht. Meine Unterrichtsversuche gerieten chaotisch.
Zur ersten Lehrprobe, dem Abhalten eines Unterrichts vor Noten gebenden Vertretern des Staatlichen Studienseminars für Gymnasien, geriet ich so in Panik, dass ich mir vom Arzt vorher eine Beruhigungsspritze geben ließ. Gott sei Dank war er dazu ohne weitere Nachfragen bereit, bemerkte nur, auf Dauer sollte ich eine Psychotherapie ins Auge fassen. Dieser Ratschlag war einer der wenigen sinnvollen, die ich in diesem Referendariat erhielt.
Ich rief meine Exfreundin an, wegen der ich in den Westen gekommen war und die sich vor Jahren von mir getrennt hatte. Sie studierte inzwischen Psychologie. Wir trafen uns in Potsdam, unser alten gemeinsamen Heimat, und wanderten gemeinsam durch den Wildpark bis nach Werder. Auch sie empfahl mir, mit einer Psychotherapie zu beginnen, sagte mir auch, wie das am besten zu bewerkstelligen sei. Ihrem Rat bin ich gefolgt. Es wurde ein steiniger Weg, durch finanzielle und emotionale Niederungen hindurch, aber er brachte mich wieder an die Oberfläche bürgerlichen Daseins, irgendwo in der unteren Mittelschicht, wo ich heut noch lebe.

ENDE

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Sonntag, 27. Oktober 2013
Dunkle Jahre, Teil 7
Also wieder nach Bremen. Natürlich per Anhalter, wie immer. Gleich hinter dem Schulamt gab es einen Kreisverkehr, durch den mussten alle Autofahrer, die die von Rostock aus nach Westen wollten. Dort kam man immer gut weg.
In Wismar wurde es schon langsam dunkel, als endlich ein Kleinlaster stoppte. Mit dem Fahrer kam ich schnell ins Gespräch: ein Obsthändler von der Insel Rügen auf dem Weg zum Großmarkt in Hamburg. Er war der Sohn eines Hamburger Einzelhändlerpaars, seine Frau kam aus dem Osten. Ihre Familie war ein Opfer der Aktion „Rose“, der großen Umsiedlungs- und Enteignungsaktion grenznaher Gebiete in der DDR. Sie hatte dabei ihre Existenzgrundlage, einen Obst- und Gemüseladen auf Rügen, verloren und war nach Hamburg übergesiedelt. Jetzt bekamen sie den Besitz wieder und er übernahm mit seiner Frau den Laden. Während sie an der Theke stand, fuhr er jede Nacht zum Hamburger Großmarkt, um Ware zu holen. Die Stasi-Akte hatten sie im Zuge der Rückübertragungsverhandlungen 1990 einmal kurz einsehen können, als der Beamte den Raum verließ. Jetzt, zwei Jahre später, bekamen sie sie in offizieller BStU-Kopie - und um ein Drittel ausgedünnt. Es fehlten alle Blätter, auf denen Namen verzeichnet waren, die für das Nachwende-Rügen noch eine Rolle spielten. Er schimpfte wie ein Rohrspatz auf die „roten Socken“ und ich musste ihm Recht geben. Uneins waren wir nur in der Frage, ob es moralisch gerechtfertigt sei, Sozialhilfe zu beziehen und gar nicht arbeiten zu wollen. Für ihn war soziale Fürsorge nur als Wohltat für menschliches Elend denkbar; arbeiten zu gehen, so wie er sich in die Arbeit stürzte, sich die Nacht um die Ohren schlug, empfand er als selbstverständlich, als Pflicht.
Ein anderer solcher Pflichtmensch nahm mich von Hamburg nach Bremen mit, ich glaube, es war eine andere Tramptour, aber auch schon gegen Abend: ein gepflegter Mann mittleren Alters, im Anzug und in Begleitung einer entsprechend gekleideten Ehefrau. Worüber wir redeten, habe ich vergessen, aber ich erinnere mich noch, wie es sich anfühlte, mit eine Generation älteren Leuten zu reden, die einem offen begegnen, wirklich etwas wissen wollen, dabei selbst kenntnisreich sind, die Dinge einordnen können, aus einem sicheren Standpunkt heraus, der nicht meiner war, aber den ich respektieren konnte. Beim Aussteigen luden sie mich ein, sie doch einmal zu besuchen. Der Mann übergab mir seine Visitenkarte und ich erschrak, weil darauf stand „Geschäftsführer der CDU Bremen“. Das waren doch die Bösen, wie man sie aus dem Fernsehen kannte. Ich verkroch mich in meinen Keller. Die Karte warf ich weg.
Da schien mir Michael doch von anderem Schlag, der Rock-Gitarrist mit der Elvis-Tolle. Den mochte ich und er mich auch, aber irgendwie – es fand sich keine gemeinsame Basis. Er wollte mich sogar mit Frauke verkuppeln, der besten Freundin seiner Ex-Freundin, einer sympathischen Frau, umtriebig, Asta-Aktivistin, aber nicht schön, ganz und gar nicht, und als sie mir noch erklären wollte, dass „Hoch – die – internationale – Solidarität!“ ein super Slogan wäre und ich nur mal meine individuellen DDR-Erfahrungen hinter mir lassen müsste, nahm ich diesen eher kleinen Dissens zum Anlass, die Bekanntschaft nicht zu vertiefen. Auf der Oberflächenebene war es natürlich gut. Wir fuhren zu viert – Michael, seine Ex Maria, Frauke und ich – nach Kuhmühlen zu der berühmten Dorfdisko und tanzten die Nacht durch oder begeistern uns für Monstermagnet, als sie in meiner Lieblingsdisko in Hemelingen auftraten.
Überhaupt nahm mein Bekanntenkreis immer weiter zu, während die Kontakte, die mir wirklich etwas bedeuteten, weniger und weniger wurden. Sören verschwand für einige Wochen in der Psychiatrie, danach wurde es irgendwie nicht mehr so dicht zwischen uns. Hardi kaufte für einen Spottpreis von einigen tausend DM (von denen ich ihm 2 pumpen musste) das Haus seiner Ex-Vermieterin, die ins Altersheim gekommen war, und ging zurück in die alte Heimat. Anja, meine heimlich verehrte Mitbewohnerin, wurde schwanger von einem Süditaliener, zog aus und heiratete. An meinem dreißigsten Geburtstag sah ich mich umgeben von jüngeren fußballbegeisterten Studenten, mit denen mich hauptsächlich die Freude am Bier verband. Einmal geriet ich auch in ein Frauenbett, in das einer Jugendfreundin aus Berlin, die sich zu einer großbusig blonden, aktiven Frau ausgewachsen hatte. Das kam überraschend, es war irgendwie nicht schlecht. Ich sah mir selbst zu, es war wie in einem der „Sexy Clips“, die ich in Samstagnächten zu konsumieren pflegte. Wir vollführten halt Übungen, die uns beiden gut taten und die möglich waren, weil wir von früher her, aus Ostzeiten, noch ein Vertrauensverhältnis zueinander hatten, ohne uns jetzt besonders nahe zu sein.
Als Maria, die wildlockige Schönheit und große Liebe von Michael, auf mich zukam und sich mit mir verabreden wollte, war es schon zu spät. Es gab zwei Abende beim Bier, an denen wir uns nahe kamen, ich sie, ihr großes Herz zu gut erkannte: Zuneigung und Erotik, das ging für mich gar nicht mehr zusammen. Als es bei der drtitten Verbredung auf Sex hinauszulaufen schien, jedenfalls war ihr WG-Mitbewohner nicht da und sie verkündete, heute nicht mehr ausgehen zu wollen – ergriff ich panisch die Flucht. Ab da zeigte ich für niemanden mehr Gefühle. Ich schrieb an meiner Examensarbeit, endlich eine losgelöste, glückliche Zeit. Ich schlief jeden Tag bis zehn, ging dann beim Frühstück meine Notizen durch, danach einkaufen und spazieren, ab sechs abends saß ich am Schreibtisch und schrieb bis zwei Uhr nachts. Wenigstens das mit dem Examen, das klappte gut.

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Samstag, 26. Oktober 2013
Dunkle Jahre, Teil 6
Ich steckte meine Energie in ein neues Projekt: das zusätzliche Schulpraktikum daheim im Osten. Dumpf fühlte ich die Verpflichtung, dort wieder hinzugehen. Ich musste prüfen, wie realistisch das war.
Ich mietete die schön eingerichtete, aber bautechnisch ärmliche Wohnung (Kaltwasser, dünne Wände, Klo im Keller) einer zeitweilig abwesenden Medizinstudentin in Rostock und verbrachte einige Wochen am dort neu eröffneten Gymnasium.
Es wurden meine ersten wirklichen Unterrichtserfahrungen, ohne Konzept, ohne Anleitung. Lehrer und Schüler hielten mich für einen Wessi. Ich fühlte mich respektiert – und lernte mehr, als ich zugab.
Meine Betreuungslehrerin – Deutsch/Geschichte, Mitte fünfzig – unterrichtete in einem altmodischen, mir sehr vertrauten Stil: leidenschaftlich, genau in „Muttersprache“, brav-konservativ in Literatur, was sie als reine Vermittlung eines traditionellen Kulturerbes verstand. Die sechzehnjährigen Schüler lasen den Goethe-Schiller-Briefwechsel, ohne ein Wort zu verstehen. Meine ungelenkigen, flapsigen Lehrversuche zu „Kabale und Liebe“ standen im Kontrast dazu, aber trotzdem passte es, irgendwie, fand ich.
Auch die Wohngegend sagte mir zu: ein paar kleinstädtisch wirkende Vorstadtstraßen mit zweistöckigen Gründerzeithäusern und Kopfsteinpflaster, von der touristisch belebten Altstadt getrennt nur durch den Stadtpark. Bürgerliches Publikum gab es hier nicht, Studenten und Proleten lebten nebeneinander her. Die ganze Zeit schien die Sonne, und zwei Tage lang blieben in dem Haus gegenüber die Fenster ausgehängt, weil die Rahmen gestrichen wurden, auf Böcken auf dem Bürgersteig, bei Bier und lauter Musik.
Einmal bog ich von der Straßenbahnhaltestelle in meine Straße ein, vor mir wankte ein alkoholisiertes Proletenpärchen in meinem Alter. An einer Straßenkreuzung wandte sich der Mann abrupt ab und betrat die Eckkneipe. Sie wandte sich daraufhin ratsuchend um – ich erkannte erschreckt, dass sie hochschwanger war – und sprach mich an: „Können Sie mir helfen?“, fragte sie. „Jetzt ist er weg und wir wollten doch die Waschmaschine holen, wo jetzt bald das Kleine kommt.“ Also sprang ich ein und half ihr, aus einem leer stehenden Nachbarhaus eine WM66 zu bergen, eine einfache Wellenradwaschmaschine aus den sechziger Jahren.
Von Rostock selbst nahm ich sonst wenig wahr, einmal besuchte ich eine Disco, wo ich einen jungen Rechten traf, der sich mir stolz als „Ortsvorsitzender des Vertriebenenverbandes“ vorstellte, ohne über die Vertreibung (die seine Oma durchlebt hatte) mehr als oberflächlich-ideologisches Wissen zu haben. Ein kleiner Skinhead assistierte ihm wortlos. Wir stritten uns mehrere Biere lang und trennten uns dann kopfschüttelnd.
In Warnemünde war ich nur einmal, schon allein die S-Bahn-Fahrt durch die Neubauwüsten von Lichten- und Evershagen schreckte mich ab, erst recht die Erinnerung an Johanna. Lieber streifte ich am Binnenhafen entlang oder blieb überhaupt zu Hause. Als in Lichtenhagen das Ausländerheim brannte, war ich grade über das Wochenende bei den Eltern, ich sah es im Fernsehen. Zurück in Rostock verspürte ich wenige Lust, mir den Ort des Geschehens anzusehen. Die Stadt war plötzlich voller Polizei, manchmal kreisten Hubschrauber am Himmel. Einmal beobachtete ich, wie eine Kolonne von Mannschaftswagen am Straßenrand anhielt, weil im ersten Wagen noch Stadtpläne studiert werden mussten.
In der Schule wurde das Thema in Sozialkunde besprochen. In alter Stabü-Manier schob die Lehrerin alles auf die gesellschaftlichen Umstände, die Schüler sahen die Schuld eher bei Faschos und Ausländern, die sie als Eindringlinge in ihre Heimat erlebten. Ich, der ja auch ein Eindringling war, wollte nur noch weg. Das mit der Sehnsucht nach dem Osten hatte sich erstmal erledigt.

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