Dienstag, 5. Januar 2010
Littell "Die Wohlgesinnten" - Verriss á la Dennis Scheck
Oh, die Weihnachtsgeschenke! Da habe ich nun Littells „Die Wohlgesinnten“ bekommen, über die ich durch das Feuilleton schon eindringlich informiert wurde: die ultimative Biografie eines Nazi-Täters aus der Ich-Perspektive.. Und auch da war ich schon nicht sicher, ob ich das wirklich lesen will. Was tut man nun? Der erste Blick geht auf die Seitenzahl: 1300 Seiten, also mehrere Monate meiner knapp bemessenen Abend-Bett-Lese-Stunden. Gut, dann erstmal oberflächliche Kurzkritik à la Denis Scheck:
Die ersten Seiten kommen hochtrabend, prätentiös daher, was ich ja mag: Es macht neugierig. Als nach zehn Seiten allerdings immer noch keine Geschichte losgegangen war, wurde ich unruhig und ging über zum Schluss: Da werden auf den letzten Seiten offenbar zwei treue Freunde der Hauptfigur erst gegeneinander ausgespielt, dann vom Protagonisten umgebracht, 1945 in Berlin. Die Szene spielt in der Gegend des Zoologischen Gartens, ausgebrochene Raubtiere begutachten die Leichen. Direkt aus „Underground“ übernommen, ist mein erster Gedanke. Gut, und wie sieht`s in der Mitte aus: Überall, wo ich hinblättere, begegne ich Dienstgraden, Telefonaten per Feldtelefon, Machtkämpfen und Kameradschaft – lauter Landserroman-Szenen. Das mag dem Sujet geschuldet sein, sag ich mir – such dir mal eine private Szene, vielleicht wird`s da literarischer: Tatsächlich finde ich kurz darauf etwas, was mit einer Frau, irgendwie mit Liebe zu tun zu haben scheint. Nochmal rückwärtsblättern, um die ganze Szene zu verstehen: Da ist es also seine Schwester, die er begehrt, mit der er ein historisches Folterkammermuseum besucht, wo er sich mit ihr einschließen lässt, sie auf ihren Wunsch hin in die Guillotine spannt und – gegen ihren Wunsch – anal fickt. Das war mir echt zu fett: Wenn Liebe denunziert werden soll, dann wohl am besten durch das Inzest-Motiv, und, um ganz sicher zu gehen, mit einer gehörigen Portion Sado-Maso plus Frauenverachtung.
Wer schreibt denn so ein Zeug? Ich gucke (schon ziemlich entnervt) in die Biografie und erfahre, dass er ausgerechnet 2008 ein „Georgisches Tagebuch“ geschrieben hat. Wer hat ihn denn da hin geschickt? frage ich mich und leg das Buch endgültig zur Seite.
Und wie, um noch eins draufzusetzen, erfahre ich am Folgetag in der Buchhandlung meines Schwagers, dass sein Vater Autor von Spionageromanen ist. Na, ich danke! Frau Heidenreich soll mir mal erklären, was sie an so einem Buch eigentlich lesenswert findet.

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Sonntag, 23. August 2009
Erziehungsratgeber
Heute Morgen fiel mir ein Buch in die Hände: „Ängste machen Kinder stark“. Meine Frau meinte, ich soll ruhig mal reingucken und dann sagen, ob das weg kann. Natürlich kann das weg!
Und ich überlegte beim Durchblättern, warum diese ganzen Erziehungsratgeber so blöd sind. Denn im Grunde waren die Tipps, die da gegeben wurden, nicht schlecht. Man braucht sie nur nicht. Diese simplen Verhaltensregeln im Alltag: Entweder man kommt von selber drauf oder es hilft einem auch kein solches Buch.
Der Autor arbeitet als Familienberater, und als individuelle Beratung haben solche praktischen Regeln ja auch ihren Sinn: Eltern kommen nicht klar und suchen einen Berater auf, der ihnen die in ihrem Fall sinnvollen Tipps gibt, sie aus der Panik (oder Achtlosigkeit) wieder in die Selbstverständlichkeit normalen Handelns zurück führt. Aber als Buch aufgeschrieben ist das Ganze so banal und dumm wie das ganze Wenn-dann-Zeugs von Watzlawik bis zur Super-Nanny. Denn ein Erziehungsratgeber ist ein Beziehungsratgeber. Und wie soll man Beziehungen begreifen, ohne in Beziehung zu gehen.

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Donnerstag, 23. Juli 2009
"Alle anderen"
Das ist schon gemein: Nachdem alle anderen den Film gesehen, rezensiert und diskutiert haben und selbst die taz ihm eine Seite gewidmet (in der allerdings nicht viel drin stand), bin ich nun auch ins Kino getrottelt und musste (wie tausende vor mir) feststellen, dass das „mein Film“ ist.
Was Wunder! Vor zwei Jahren hatte mir mein Freund Tomas, der trotz behauptetem Desinteresse immer noch den besten Kino-Durchblick hat, den „Wald vor lauter Bäumen“, Maren Ades Debutfilm, empfohlen, ich sah ihn im Fernsehen – und fand mich das erste Mal seit „Winterschläfer“ wieder von einem deutschen Film im Herzen berührt.
Und jetzt gefällt mir „Alle anderen“ noch besser! Auch wenn das Thema – Übergang von der Liebesbeziehung zur Lebenspartnerschaft, aus der Studenten-, Projekt- und Praktikumszeit ins alltägliche Berufsleben – in meinem Leben schon vor fünf-sechs Jahren abgehandelt wurde. Am Beginn des Films trainieren die beiden Protagonisten (gar nicht mal schlecht) mit Kindern aus der Verwandtschaft Familie sein, am Ende hassen sie sich und schlafen doch ohne Kondom miteinander. Und dazwischen versuchen beide vergeblich, so wie alle anderen zu sein. Denn natürlich – wir inzwischen erwachsen Gewordenen wissen es – wird es einem nie gelingen, in die Konventionalität des beruflichen und privaten Erfolgs einzutreten, einfach indem man die Ratschläge von Eltern oder väterlichen Freunden blind befolgt. Dann wird man nur ein lächerlicher (und also erfolgloser) Spießer. Man muss schon – und das gilt für Männer wie für Frauen – die Absurdität des eigenen Ichs ganz annehmen, um irgendwie normal konventionell werden zu können.
Wie hässlich und uncool die beiden Hauptdarsteller waren! Wie daneben sie, wie lächerlich er! Und wie sehr sie sich liebten! Es war zum Heulen schön ... und auch lebenswahr: Jedenfalls bin ich damals genau so mit meiner Frau zusammen gekommen.
Guckt euch diesen Film an! Und keine Angst, dass das nun ein ätzend komplizierter Beziehungskistenfilm ist – das ist er nur auch. Er ist auch witzig (noch nie hab ich z. B. die Peinlichkeit des Grönemeyerschen Liedguts so herrlich Bild werden sehen), die “Welt“ hielt den Film sogar für eine flirrende Sommerkomödie (während ich Melancholiker da nichts flirren sehen konnte außer der Sonne über Sardinien) ...
Wie dem auch sei – Maren Ade: danke, danke, danke! Noch ein – zwei solcher Filme wie „Der Wald vor lauter Bäumen“ und „Alle anderen“ – und Sie rangieren für mich noch über Ang Lee. Und über den weiteren von mir Verehrten wie M.Night Shyamalan, David Lynch, Jaques Tati usw. sowieso.

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Donnerstag, 4. Juni 2009
Illustration 2 zu "Mein Lieblingsfilm"
Und davon war ich gebannt: Egoyans Ehefrau Arsinee Khanjian balanciert auf den Ruinen ihrer Vergangenheit

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Illustration 1 zu "Mein Lieblingsfilm"
So ungefähr saß ich damals vorm Fernseher:

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Kulturkritische Anmerkung zu "Mein Lieblingsfilm"
Es gilt zu bedenken, dass nach den Juden die Armenier das zweite grundsätzlich heimatlose Volk sind - jedenfalls zum überwiegenden Teil - (dann gibt es natürlich noch die Palästinenser, die Kurden usw.): Sie sind notgedrungen schon längst in der Globalisierung angekommen. Von ihnen gilt es zu lernen.

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Mein Lieblingsfilm: "Calendar"
„Simons Geheimnis“ von Atom Egoyan kam im Kino und enttäuschte mich etwas. In der ersten Viertelstunde hatte ich gar sogar den Eindruck, in eine blöde Politposse in der Preislage von „Die Welle“ geraten zu sein. Dann wurde es besser: ein kluger, sympathischer Film und auch wieder herrlich abstrus – aber eben doch nicht der große Wurf.
Ich erinnerte mich aus diesem Anlass an meinen ersten Egoyan-Film – und sah ihn auch nochmal. Es war 1993 und ich war als Student in einem SouterrainZimmer in Westdeutschland gelandet, wo ich die Nächte hindurch die Cineasten-Programme der Öffentlich-Rechtlichen verfolgte und jeden Dienstagabend vor dem „Kleinen Fernsehspiel“ saß. Da kam er, dieser eigentlich unmögliche Film: der ohne eigentliche Handlung auskommt, in dem 14 Sprachen gesprochen werden (und nur das Englische ist untertitelt) und den zwölf wunderschöne Kalenderblätter als so genannte Stills strukturieren – Kalenderblätter mit Aufnahmen armenischer Kirchen, dazwischen erzählen wackelige Videoaufnahmen, in denen jemand willkürlich vor- und zurückspult, wie die Fotos entstanden, und zwölfmal sieht man als Kontrast den Fotografen ein Jahr später in seinem kalt und künstlich ausgeleuchtetem Wohnzimmer in Kanada vor dem Kalender sitzen und leiden.
Ich begriff vor diesem Film alles: Dass alles verloren hat, wer sein inneres Armenien verloren hat. Dass es aber keinen Zweck hat dorthin zurückzugehen. Denn es sieht zwar wunderschön aus, aber es ist so arm und autoritär wie eh und je. Und dennoch: Wer es verleugnet, der wird in der Eiseskälte der westlichen Welt erfrieren.
Die Helden des Films sind die Frauen. Zwölf Frauen. Sie sprechen armenisch, deutsch, türkisch, serbokroatisch usw. Sie tragen die Erinnerung an die Heimat mit einem Stolz durch den anglophonen Westen, der sie zu den eigentlichen Westlerinnen macht. „Was heißt, du betrachtest dich als Ägypterin?“ fragt der Fotograf eine der Frauen, die gar nicht in Ägypten geboren ist, nur einen Großvater von dort hat. Es heißt Stolz, Erinnerung. Nicht Regression. Nicht Ostalgie.

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Meine Lieblingsfilme (eine kleine Auswahl)
Lieblingsfilme hatte ich schon viele – da könnte ich zurückgehen bis zu „Pan Tau“, dem Beschützer aller Kinder, der aber schon bald von „Saxana“, dem „Mädchen auf dem Besenstiel“ abgelöst wurde, als mit den ersten Schulerfahrungen die Existenz des weiblichen Geschlechts als solchem in mein Bewusstsein trat.
Und so ging es weiter: Als ich mit 17 die Politik für mich entdeckte, war es dann „Vermisst“ von Costa-Gavras – und Sissy Spacek als blasser Hippie die schönste Frau der Welt. Die realen Begegnungen mit Frauen dann eher desaströs – aber es gab ja Gott sei Dank Michel Serrault, der sich von Lino Ventura einfach nicht unterkriegen lässt, und ich erklärte „Das Verhör“ zum Filmkunstwerk Nr. 1.
Gut zehn Jahre später, immer noch zappelnd in postpubertären Verstrickungen, rettete mich „Lost Highway“ aus der beamtenmiefigen Tristesse eines Staatlichen Studienseminars in der niedersächsischen Provinz, wo ich mich schon fast aufgegeben hatte: Wenn diese – Lynchs – Art der Weltsicht sogar hollywoodkompatibel ist, sagte ich mir, dann bin ich vielleicht doch nicht so verkehrt in dieser Welt.
So retten einen Filme, und so verwechselt man Qualität manchmal auch mit der persönlichen Gefühlslage. Ich hab sogar mal (unter dem akuten Eindruck einer Psychotherapie) zwei Jahre lang geglaubt, „Mulholland Drive“ wäre noch besser als „Lost Highway“. Natürlich ein Irrtum. Und seit „Brokeback Mountain“ ist ja auch „Das Hochzeitsbankett“ nicht der Weisheit letzter Schluss.
Ein Film aber, und das erstaunt mich fast, der bleibt: „Calendar“ von und mit Atom Egoyan aus dem Jahr 93. Ich hab ihn aus aktuellem Anlass wieder gesehen letzte Woche, von derselben schraddeligen alten Videokassette – und er ist noch immer großartig.

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Dienstag, 24. März 2009
Hans Erich Nossack: "Der Untergang" (1943)
Der Ton macht die Musik nicht und „Le style c'est l`homme“ – das stimmt auch nicht. Was ich da nämlich auf dem Bücherflohmarkt unserer Gemeinde fand und mit nach Hause trug (neben Christa Wolfs „Leibhaftig“, Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ und einem Schulbuch über die Hamburger Sturmflut von 1962), das klang, als ich anfing, es zu lesen, so verstaubt und ultrakonservativ wie Ernst von Salomon, der dort auch auf jedem der Wühltische umherlag. Aber war es nicht.
Sondern ein spannender autobiografischer Bericht von mitreißender Authentizität. Nossacks Frau hatte ein Häuschen, wohl eher eine Hütte, gemietet für vierzehn Tage, in der Heide südlich Hamburgs, und der Autor selber war ihr gefolgt. Drei Tage später fielen die Bomben, ein paar Tage und Nächte lang, Nossack sah sie am Nachthimmel heranfliegen und erfuhr kurze Zeit später, als die ersten Flüchtlinge den Ort erreichten, dass auch sein Haus nicht mehr stehen würde. Nach einigem Zögern entschließt sich das Ehepaar Nossack, nach Hamburg zu fahren. Sie besichtigen die Reste des Büros (Nossack hatte die kleine Importfirma seines Vaters geleitet) sowie ihre Straße, wo ihr Haus tatsächlich nicht mehr vorhanden ist – und auch der im Nachbarkeller verwahrte Koffer bereits gestohlen.
So weit die Handlung des Textes. Was den Stil betrifft, hatte ich anfangs wie gesagt meine Schwierigkeiten: Vom „Auftrag“, etwas zu schreiben, wurde da geredet, vom Schicksal geraunt und viel mystisch um die Sachen herumgeredet, wie man das in den dreißiger/vierziger Jahren eben so machte. Denn der Text ist Ende 1943 entstanden, ein halbes Jahr nach den Ereignissen. Ja, aber so ist das eben, das wurde mir schnell klar: Wer in seiner Zeit lebt und lebendig ist, der redet auch im Stil seiner Zeit, wenn er nicht völlig abgedreht ist. Und was mich beeindruckte: dass dieser Autor, der stilistisch ganz zeitbefangen ist (nenn es Nazistil, nenn es prä-existenzialistisch, nenn es Mystizismus – ganz egal), politisch so frei ist, wie man es nur sein kann, wenn man sich seiner Zeit nicht verweigert. (Und er war Kommunist, wie ich später bei Wikipedia nachlas, er hätte das Recht gehabt, politisch rumzumotzen.)
Aber er tut es nicht. Wer zum Beispiel an diesem Krieg Schuld ist, macht er nicht zum Thema. Ideologie ist nicht seine Sache. Er sieht die Bomber, er sieht das Unrecht und er benennt es. Und die Wenigen, die neben ihm stehen und abgeschossene Bomber bejubeln, für die hat er nur kopfschüttelnde Verachtung. Morden ist Unrecht, so oder so.
Insofern hat er mit seinem Schicksalraunen ja sogar auch Recht: Ein solcher Krieg bedeutet den Untergang der Zivilisation. Wir viel später Geborenen wissen ganz selbstverständlich, dass in diesen Jahren die Moderne untergegangen ist – und dass seitdem die August-Macke-Bilder nur noch als Kitsch-Objekte möglich sind und „Berlin Alexanderplatz“ keinen Menschen mehr aufregt. Aber er sah es schon im Moment des Geschehens.
Ergreifend an dieser Geschichte ist auch, dass Nossack diesen Untergang als Befreiung erlebt. Da gehört schon einige Größe dazu: Ein verbotener, erfolgloser Schriftsteller, dem der schriftliche Ertrag von Jahren, Jahrzehnten soeben verbrannt ist: der fühlt sich befreit. Und der fühlt, wie die Ordnungsmacht, die diktatorische Ordnungsmacht, nach dem ersten Schock schon wieder zu dirigieren versucht: die Flüchtlingsmassen kanalisiert, die zerbombten Stadtteile absperrt – und er beschließt, mit Hilfe seiner heimatliebenden Frau, nicht Flüchtling zu werden, sich nicht aufzugeben, sondern zurückzukehren in die zerstörte Stadt, die sein Zuhause ist.
So möchte man leben. Ist mir ein Vorbild.

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Sonntag, 8. März 2009
„Am Rand“ von Şebnem Işigüzel - Interpretation der Seiten 52/53
Wenn es Sonntag ist und regnet und kein Termin weit und breit, das sind die besten Tage. Die Kleinfamilie schlurte bis zwölf im Schlafanzug zwischen Bett (Morgenkaffee, Bilderbücher, Zeitung) und Sofa (Fernsehen: „Sendung mit der Maus“) hin und her, dann bewegte ich mich als Erster langsam in Richtung Badezimmer. Unterwegs am Nachttisch konnte ich nicht widerstehen und klappte für fünf – sechs Minuten meinen Roman auf, las zwei Seiten – und war schon wieder begeistert ...
Mein Roman ist noch ein Geburtstagsgeschenk, vom Dezember. Ich hatte mir ein Buch gewünscht, meine Frau hatte nicht gewusst welches und vorgeschlagen, sich von der Auslage bei Christiansen in Ottensen inspirieren zu lassen. Es lief auf eine Hitliste von drei Titeln hinaus: den ersten kriegte ich von meiner Frau (und der war schon super), Nr. 2 finanzierte ich mit dem Büchergutschein von der Firma – den lese ich gerade: „Am Rand“ von Şebnem Işigüzel. Die Autorin, hat man den Eindruck, arbeitet mit allen erlaubten und verbotenen Tricks, die einem Schriftsteller so zur Verfügung stehen. Man mag das unseriös finden. Aber ich liebe das, von jeder Seite so richtig durchgeschüttelt zu werden.
Inhaltlich geht es (bis jetzt jedenfalls) um eine türkische Schachspielerin, die Diplomatentochter Leyla, die durch eine unglückliche Kombination persönlich-familiärer wie politischer Gewalttätigkeiten so ins Straucheln gerät, dass sich die Obdachlosigkeit als die immer noch erträglichere Daseinsform erweist: „Dabei war sie so weit bei sich, dass sie denken konnte, sie sei verrückt oder wahnsinnig geworden. Wie wir alle hatte sie ihre Angelegenheiten mit Gott noch nicht abgeschlossen.“ So beginnt die S. 52, die ich vorhin las – und da kann man ja wohl nur zustimmen.
Und dann geht es weiter: Reminiszenzen ihrer internationalen Schachkollegen werden zitiert, anlässlich ihres Verschwindens geäußert. Es läuft darauf hinaus, dass sie „universal und harmonisch“ gespielt hat, mit einer intuitiven Logik – also gerade nicht mit einer auf den Gegner fixierten, den Gegner überlistenden Strategie, sondern mit einer hingebungsvollen Strategie, die den Plan aus der Eigenlogik der Figuren entwickelt. Da denkt man natürlich sofort an die „Schachnovelle“ von Zweig, an den Kitsch der klassischen Moderne, wo der fies rationale Czentovic über den intuitiv spielerischen freien Geist Dr. B. triumphiert.
Und wie um noch eins draufzusetzen, wird dann Nabokov zitiert: „Laylas Trainer Pinkoschow erinnerte sie an das, was Nabokov über Tolstois anna Karenina gesagt hatte: >Es ist so, dass wir manchmal das Gefühl haben, Tolstois Romane hätten sich von selbst geschrieben, als seien sie von ihrem Material, ihrem Sujet verfasst worden.< Diese Definition passte zu Leyla ...“ Nabokov also, dieses Lieblingskind der Modernisten, definiert, was universal und ewig ist.
In meinen Augen ist Nabokov aber eher ein Schriftsteller, der seine persönliche Heimatlosig- und Verlorenheit unter technischer Raffinesse versteckt. Und so sieht es wohl auch Işigüzel. Denn die Schachspielerin, die dermaßen frei, unindividuell und „universal“ spielt – die verschwindet auch ganz leicht von der Bildfläche: „Nun gab es auch keine Schachspielerin namens Leyla mehr.“
So ist es. Das Gehasche nach Größe, Universalität, Ewigkeit – es ist aussichtslos, wenn es nicht vom Ich ausgeht. Das dacht ich, als ich vorhin zufrieden und glücklich unter der Dusche stand. Ich dachte auch an meinen Kollegen H., der mich letzte Woche fragte, ob ich mit meinem zweiten Staatsexamen es nicht doch noch einmal an einer Schule probieren wolle. „Das ist nicht mein Milieu.“ hab ich geantwortet. Er lachte und sagte: „Na, dann bleibst du bei uns, bei den Eck- und Randgruppen.“ Gerne. „Am Rand“ ist mein Buch.
Übrigens: Es ist auch ein Buch ohne Verlagswerbung am Ende. In der heutigen Zeit ein Adelsausweis.

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