Donnerstag, 27. August 2009
Brandenburgische Häuser: Omas Häuschen
Ja, die Häuschen. Mein Schulfreund X. – auch ihn habe ich in diesem Urlaub besucht - hat eins davon: frisch verputzt, davor die Terrasse und im aufgeräumten Wohnzimmer überall die Hand der treusorgenden Hausfrau spürbar. Es sieht so langweilig aus, dass man glauben könnte, er wäre Gymnasiallehrer und seine Frau stundenweise im örtlichen Heimatmuseum oder bei der Regionalzeitung beschäftigt. Hinter der Fassade sieht natürlich alles anders aus: Beide Ehepartner arbeiten in Vollzeit, sonst würde das Geld gar nicht reichen. (Und auch das Haus hätten sie sich natürlich nicht leisten können, wäre es nicht von der Oma ererbt.) Das heißt, die treu sorgende Hausfrau wirbelt nach Feierabend, und X. hat seit Jahren in Eigenarbeit und mit Hilfe des arbeitslosen Maurers von nebenan gerackert und geschuftet, um das Häuschen der Oma auf den bundesrepublikanischen Standard zu bringen.
Und wofür die ganze Schufterei? Die halbwüchsigen Töchter werden bald ihrer Wege gehen. Die Frau verliert ihre Arbeit bei der Deutschen Bank und hat die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder Weiterbeschäftigung in einer ausgelagerten GmbH für Rechenknechte irgendwo im Westen. X. selber hat seine Arbeit schon verloren und eine neue in Leipzig gefunden, wo er sich in seinem Wochenendpendlerzimmerchen ganz wohl fühlt, weil er abends wenigstens seinen Hobbys nachgehen kann und auch nicht aufräumen muss. Und das Haus, traumhaft gelegen am Havelstrand nahe Werder, man hat den Eindruck, keinem nutzt es. Bei unserem Besuch fuhren etliche Yachten draußen vorbei und Paddler und Schlauchboootjugend die Menge. Aber wenn ich nicht mit meinem Sohn und dem mitgebrachten Schlauchboot eine Runde gedreht hätte ... für die Familie scheint die Havel vor ihrer Terrasse nur als schöner Blickfang zu dienen.

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Dienstag, 25. August 2009
Brandenburgische Häuser: Die Villa
Ein paar Kilometer weiter haben meine Großeltern und meine Tante viele Jahre gelebt. Meine Tante hatte dort die Villa eines einstigen UFA-Regisseurs gemietet und darin ihre kunsthandwerkliche Werkstatt eingerichtet, anfangs noch mit mehreren Angestellten, dann allein. Später starben meine Großeltern und in den neunziger Jahren ist sie selbst auch ausgezogen, aus Altersgründen, da sie das riesige Haus allein nicht halten konnte. Seitdem steht es leer. Und jetzt habe ich es wiedergesehen.
In meiner Kindheit war das das schönste und märchenhafteste Haus, das ich kannte: der damals schon leere und zugewucherte Swimming Pool, die Holzveranda im Obergeschoss, die großen, vornehmen Räume und der Alkoven, in dem mein Opa schlief. Ich bin jetzt nach sicher zwanzig Jahren das erste Mal wieder da gewesen, habe auch prompt den Einschlupf gefunden, den die Jugendlichen des Ortes sich aufgerissen haben (ein Kellerfenster) und mir nochmal alles angesehen und Abschied genommen.

Ich versteh nicht, warum es keinen Berliner Millionär gibt, der da wohnt. Ja, ich weiß: die ungeklärten Besitzverhältnisse. Aber es ist nicht richtig, dass so ein Traumhaus leer steht. Und ein (Besitz-)Recht, das das Bewohnen eines solchen Hauses verbietet, kann nicht Recht sein.
Neben dem riesigen Grundstück reihen sich die Einfamilienhäuschen den Berg hinauf, geschäftiges Kleinbürgerglück im Grünen. Das sieht hübsch aus und man kann auch nicht sagen, dass es dem Osten rings um Berlin direkt schlecht geht. Prosperität gibt es – Großzügigkeit nicht: die Häuschen entstehen, die Villen verfallen. Jedenfalls in Brandenburg.

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Sonntag, 23. August 2009
Brandenburgische Häuser: Die Fleischerei
Urlaub in der Heimat, in der südbrandenburgischen Provinz. Aufenthalt in verschiedenen Häusern, die da in der Landschaft herumstehen. Das ist das Thema meiner Nach-Urlaubs-Gedanken. Denn was die Landschaft selber betrifft, da gibt es ja wohl keine Frage. Für mich gibt es nichts Schöneres als die kargen Baumgruppen und verunkrauteten Feldraine, die kleinen Landstraßen und stillen Ufer rings um Berlin (nicht mal im geschichtsträchtigeren, märchenhafteren Sachsen meiner Vorfahren). Und nichts Paradiesischeres als das Schwimmen im farb- und wellenlosen Wasser der Seen. „Leuchtender und wärmer, als Hirn und Herz es vermögen, bewahren Landschaften und Gegenstände die Erinnerung an Erlebnisse und Eindrücke, die wir einstmals durch sie beglückt erfuhren oder klagend durchlitten.“ (Ehm Welk, Autor meiner diesjährigen Urlaubslektüre)

Natürlich verfliegt der Eindruck des Paradiesischen, wenn man sich die Gegend genauer und vollständiger betrachtet: mit den Menschen darin. Oder zumindest mit ihren Häusern. Davon soll hier die Rede sein.
Die meiste Zeit lebten wir in einem Ackerbürgerstädtchen südlich von Berlin, direkt am Markt, in einem kleinen Gründerzeit-Mietshaus, das sich dreistöckig aus der Reihe der umliegenden zweistöckigen Ackerbürgerhäuser des 18./19.Jahrhunderts erhebt und sich stolz mit industriell vorgefertigten Stuckelementen (sogar zwei Karyatiden) schmückt, auch der Name des Erbauers am Giebel fehlt nicht.
Dieser Erbauer war Fleischer und betrieb eine kleine Gaststätte, für die er 1891 das Haus umbauen und aufstocken ließ. Auch Fontane hat in der neu eingerichteten Gaststätte gespeist – wie ja nichts in Brandenburg sich historisch nennen darf, wenn es nicht in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ erwähnt ist – aber es soll ihm nicht geschmeckt haben. Heute ist von der Gaststätte kaum noch etwas zu erahnen, die Hinweise auf die Schlachterei aber spürt man deutlich. Es gibt ein riesiges Tor zur Einfahrt der Wagen und mehrere Keller mit Gewölben und großen Waschbecken; von den dunkelrot backsteinernen Nebengebäuden auf dem gepflasterten Hof fällt eins durch die Vielzahl kleiner Kammern und enger, überwölbter Türen auf. Hier wurde das Fleisch verarbeitet, und hier schlief das Personal. Das andere Nebengebäude ist die Scheune – denn wie auch in den Nachbarhäusern betrieb man neben dem städtischen Gewerbe auch Landwirtschaft, wofür es ein handtuchartiges Stück Land direkt hinter dem Hof gibt: so breit wie das Haus, aber unendlich lang.

Die Tochter des Fleischers und Erbin des Hauses heiratete einen Kunden: einen Pfarrerssohn und Lehrer, national gesinnt. Seinen Namen auf der Familiengrabstätte zieren in kerniger Frakturschrift die Zusätze „Hauptmann d. R.“ und „Lehrer“. Schon er hatte eigentlich keine Verwendung für das große Anwesen. Sein erster Sohn fiel gleich zu Kriegsbeginn 1940 als „Leutnant“ im Osten, wie das Familiengrab vermerkt. Den zweiten Sohn rettete die Mutter, die Fleischerstochter. Sie engagierte sich, wie sich das für eine Reservehauptmannsfrau gehört, für das DRK, und es gelang ihr, den Zweitgeborenen als lungenkrank in die Etappe zu bugsieren. So überlebte er den Krieg, wurde „Neulehrer“, wie man sie in der SBZ ja dringend suchte, heiratete eine Kollegin und übernahm das Haus. Die überflüssige Wohnfläche wurde vermietet, der Garten war als Lieferant von Obst und Gemüse willkommen – wenn auch zu groß für das eine Ehepaar. Die Nebengebäude standen leer und füllten sich über die Jahrzehnte der DDR-Zeit mit Möbeln, Hausrat, Gartengeräten, Holzvorräten usw., da man ja immer glaubte, die Dinge noch einmal zu brauchen. Der einstige Neulehrer richtete sich eine kleine Werkstatt ein, in der sämtliche verfügbaren Schrauben nach Art und Gewindegröße geordnet in sorgfältig beschrifteten Gläschen verwahrt wurden, daneben die Feilen wie die Orgelpfeifen an der Wand hingen und ein kleines Hängeschränkchen mit einer Flasche Korn und zwei Gläschen.

Vor ein paar Jahren ist er seiner Frau nachgestorben, und die Erben verwendeten in den Neunzigern ihr Vermögen dazu, die riesigen Dachflächen zu sanieren. Sogar die Wohnungen haben sie vermietet gekriegt. Nur selber von Berlin aufs Land zurückzuziehen, bringen sie nicht übers Herz. Lieber jedes Wochenende rausfahren und sich im Garten um den Verstand ackern.
Die Nachbarhäuser zu beiden Seiten stehen übrigens leer, wie so viele in der Stadt. Gähnende Leere auch am früher viel frequentierten Badesee: Das auffälligste Geschäft am Markt verkauft „Schwimmbadtechnik“. Und tatsächlich hat jeder, der wirklich noch hier wohnt, einen riesigen Pool in seinem zu großen Garten. Meist auch ein riesiges Auto und einen zu großen Hund. Eine Ansichtskarte vom Ort zu erstehen, ist mir dagegen nicht gelungen: „Nur auf Bestellung“, „Fragen Sie doch mal bei ..“ usw. hieß es. Und so machten wir Urlaub in einer herrlichen Gegend, die offenbar nichts mit sich anzufangen weiß und einfach nur so da herumsteht und nicht weiß, wie schön sie ist.

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