Samstag, 22. Juli 2023
Wenn aufklärerisches Denken sich in sein Gegenteil verkehrt
In Schweden ist ein Gericht der Meinung, dass eine Bücherverbrennung als Akt der freien Meinungsäußerung aufzufassen ist.

In den Niederlanden darf eine Frau gegen ihren deutlich geäußerten Willen getötet werden, weil sie früher einmal schriftlich einen Sterbewunsch niedergelegt hat (hab ich zufällig hier gelesen). Die demente Frau konnte sich an ihre Niederschrift nicht erinnern und offenbar ist der aktuell geäußerte Willen eines nicht gänzlich rational sprechenden Wesens nichts wert gegen ein amtliches Dokument.

In Deutschland, in St.Peter Ording fand ich im Gästebuch einer Ausstellung über die Leiden von Heimkindern den schönen Kommentar: "Voltaire sagt dazu: Wenn jemand etwas berichtet, was gegen die normale Auffassung spricht, dann sind solche Zeugenaussagen wertlos."



(Hat jemand eine Idee, wie das Zitat wirklich lautet - ich kann mir nicht vorstellen, dass Voltaire je solchen Schwachsinn von sich gegeben hat.)

Was mich an den genannten Ereignissen nervt, ist nicht, dass ignorant eine Auffassung durchgesetzt wird (das gab es schon immer), sondern dass diese Auffassung behauptet, liberal und aufklärerisch zu sein.

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Zumindest was den Wunsch der Demenzkranken angeht, kann ich etwas aus meiner früheren Betreuertätigkeit beisteuern. In einer Fortbildung über Patientenverfügung wurde gesagt, dass sich Wünsche selbstverständlich auch ändern können. Und dabei wurde auch genau der Bereich der Demenz erwähnt: es gibt durchaus Demente, die an ihrem Leben nicht leiden und in der Lage sind, Freude zu empfinden. Und in so einem Fall ist der JETZIGE Zustand ausschlaggebend und nicht der frühere.

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So ist es (ich habe mich wegen der Demenz meiner Mutter auch ein bisschen eingelesen und weiß, dass natürlich der aktuelle Wunsch auch von dementen Patienten zu berücksichtigen ist). Interessant fand ich an dem niederländischen Fall, dass die dortige liberalere Gesetzgebung offenbar die falsche Entscheidung, die Entmündigung begünstigt hat: Die Ärzte hatten dort wegen des Sterbewunschdokuments und nach Rücksprache mit der Familie (!) gegen den aktuellen Wunsch der verwirrten Frau und für deren Tötung entschieden (und bekamen später gerichtlich Recht).

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Was die schwedische Bücherverbrennung betrifft, so ist die Sache sehr zweischneidig. Bücherverbrennungen erinnern zweifellos an sehr schlimme Zeiten. Das Recht auf Meinungsäußerung ist oftmals grenzwertig und schwer auszuhalten, aber dennoch ist es gefährlich, diese zu verbieten. Wenn man alles daran festmacht, dass ich jemand in seinen Gefühlen verletzt fühlt, dann werden wir irgendwann eine nicht mehr zu kontrollierende Macht der Zensur haben.

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Natürlich. Die demonstrative Verbrennung einer Schrift ist aber keine Meinungsäußerung, denn sie symbolisiert den Wunsch, die Existenz der Schrift aus der Welt zu schaffen. Man könnte den Koran ja auch lächerlich machen, kritisieren, argumentativ auseinander pflücken (soweit das bei metaphorischen Texten möglich ist), umschreiben usw. All das sind Meinungsäußerungen. Die Verbrennung ist keine: "Du sollst nicht existieren." ist keine Meinung.

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Haben wir in Deutschland einen allgemeingültigen Standard gesetzt, was Bücherverbrennungen angeht? Muss jetzt alle Welt immer an die bösen Nazis denken, wenn so etwas geschieht? Schwedische Gerichte sind hier vielleicht etwas unbefangener als deutsche. In unserem Kopf ist das natürlich stark nazi-konnotiert. Wenn ich das aber wegnehme, dann sehe ich in dem Akt des Verbrennes erstmal nur einen Akt, der interpretiert werden muss. (Und ja, für diese Auffassung halte ich mich liberal.) Natürlich spricht hier keine Freundlichkeit aus diesem Verhalten.

Es ging wohl um Koran-Verbrennungen? -- Meiner Meinung nach sollte man alle heiligen Schriften regelmäßig dem Feuer zuführen. Denn sie haben es verdient. Kaum etwas hat der Menschheit mehr geschadet als diese "heiligen Schriften".

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Zu den Grundprinzipien der Demokratie gehören Religions- und Meinungsfreiheit, und das umfasst selbstverständlich auch Meinungen und Religionsäußerungen, die man selbst für schädlich hält.

Und was die heutige säkuläre Welt betrifft, überschätzen Sie den Einfluss von Religionen vermutlich ziemlich. Zumindest die erste der schwedischen Koranverbrennungen ging mit Hilfe des russischen Geheimdiensts über die Bühne, und da spielten religiöse Motive wohl eher eine untergeordnete Rolle.


(Übrigens haben Sie Recht: Man muss bei Bücherverbrennungen nicht unbedingt an die Nazis denken - man könnte auch an die katholische Kirche denken, und die hatte bei der Verbrennung häretischer Schriften ja auch keine religiösen Motive, sondern machtpolitische - genauso wie die Mordanschläge der Islamisten der letzten Jahre ja auch herzlich wenig mit mit Religionsausübung zu tun hatten: Es war machtpolitisches Handeln)

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