Donnerstag, 13. April 2023
Den Empörungsreflex überwinden
Eben auf dem Weg zum Buchladen, fand ich diesen Spruch an der Wand:



Er gefiel mir sehr gut, zeigt er doch in wenigen Worten, was an der ganzen 68er-Sache falsch war: die Lust an der Zerstörung.

Denn wenn man ärgerlich ist – und oft zu Recht ärgerlich – dann liegt es nahe, das Ärgernis beseitigen zu wollen oder (wo das nicht möglich ist) in Anklage und Empörerei zu verfallen. Helfen tut das aber in der Regel nicht, denn Ärgernisse entstehen nur selten durch aggressive Akte böswilliger Akteure, die man einfach verhindern oder beseitigen muss. (Und selbst dann bringt das Kaputtmachen der Ärgernisse langfristig wenig.) Meist entstehen Ärgernisse durch Unzulänglichkeiten im System, die man durch Zerstören nur noch vergrößert. Heilemachen ist schwieriger als Kaputtmachen, aber fast immer das Mittel der Wahl. Auch wenn es nur um Gedanken geht.

Vor kurzem las ich, dass ein Buch über Matthias Domaschk erschienen ist. Das verwunderte mich sehr – ich dachte, da ist alles gesagt. Ich hatte von dem Fall in DDR nichts mitbekommen, vielleicht war ich damals zu brav – oder einfach nur ein paar Jahre zu jung. Erst in "Magdalena" von Jürgen Fuchs las ich davon und war erschüttert: der mysteröse Tod in Stasi-Räumen und die aktive Vertuschung aller Begleitumstände, sogar noch nach der Wende, vor den Augen einer sich ahnungslos gebenden Staatsanwaltschaft. Entsprechend fand ich es sehr verdienstvoll, dass die Regierung Ramelow das nochmal untersuchen ließ: Allerdings blockten die Ex-Stasi-Leute weiter und anhand der Akten ließ sich außer allerhand Ungereimtheiten nichts Neues herausfinden. Der Abschlussbericht ist so hilf- und erfolglos, dass er nicht mal in den Wikipedia-Artikel zu Domaschk Eingang fand.

Jetzt also ein neues Buch über Domaschk, das – im Unterschied zu den eben verlinkten Büchern – ein erfolgreiches Marketing aufweist, das damit wirbt, dass auch Stasi-Leute in ihm zum Reden gebracht werden, und das zu der Erkenntnis kommt, dass Domaschk sich tatsächlich selbst umgebracht hat und dass „viele Menschen“, auch außerhalb der Stasi, an seinem Tod schuld seien.

Das wirft in mir natürlich sofort den alten Wut- und Empörungsmechanismus in Gang: Ich meinte sofort, die Stasis sich hinter einer Kollektivschuldthese verstecken zu sehen; ich sah die Stasi-Legende von den Umständen des Selbstmords aus dem Jahr 81 wiederbelebt; ich war wütend – und stürzte mich ins Internet, um Argumente zu finden, die meinen Verdacht bestätigen.

Und saß nach zwei Recherche-Stunden ziemlich belämmert da: Der Autor scheint keineswegs ahnungslos oder gar ein Stasi-Freund zu sein, im Gegenteil: Offenbar wurde er aus dem engsten Jenaer Kreis einstiger Domaschk-Freunde beauftragt – und scheint sich mit der Materie auch sonst ziemlich gut auszukennen, sodass eine unbewusste Manipulation durch andere auszuschließen ist.

Es scheint um etwas anderes zu gehen: Der wirkmächtige Mythos vom gezielten Stasi-Mord an Domaschk, er ist eh nicht haltbar, das war er schon für Jürgen Fuchs nicht. Und das ergebnislose Suchen nach der Wahrheit, das Aufzählen der Ungereimtheiten und Indizien, der Nachweis der Vertuschungsstrategie durch die Stasi, all das ist passiv, mager, medial letztlich nicht erzählenswert. Der empörende Tod des Matthias Domaschk in der Stasi-Haft – er hat diese Kleinpusseligkeit nicht verdient. Der SPIEGEL-Autor Wensierski hat sich die Mühe gemacht, er hat jahrelang recherchiert und er schreibt jetzt die große Erzählung, die Domaschk auch verdient hat.

Ich hab mir das Buch heute gekauft.

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