Donnerstag, 12. März 2020
Kurze Notiz: „Die rechtschaffenen Mörder“
damals, 15:28h
Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert: dass ich in einem Rutsch in zwei Ferientagen einen Roman verschlungen habe. Ich kannte Ingo Schulze (ich habe bisher einen Roman und einen Erzählungsband von ihm gelesen) bisher als sympathischen, so halb guten Autor: unprätentiös, treffend in der Beschreibung, klar in der Haltung, manchmal ein bisschen banal oder sogar ein bisschen spießig. Jetzt erscheinen überall Besprechungen zu seinem neuen Roman, die mich sehr neugierig machten – ich holte ihn mir und war begeistert.
Inhaltlich gehts um die Biographie eines Antiquars, zu DDR-Zeiten widerständig, nach der Wende erfolglos, endlich Gefallen findend an rechten Provokationen, eine schräge Heldenfigur, die (obwohl sich von Anfang an kleine Boshaftigkeiten finden) im Verlaufe des Romans immer weiter demontiert wird, und einen Kriminalfall gibts der Spannung halber auch noch.
Was alle schrieben, machte mich neugierig: die Konstruktion des Romans in drei Teilen, wobei der zweite Teil den ersten widerruft und der dritte den zweiten. Irgendein Rezensent meinte, der einzige Fehler sei, dass der zweite Teil so kurz und der dritte noch kürzer sei und vermutete, dem Autor sei „der Atem ausgegangen“. Dabei muss das doch so sein: Die auf die langwierige Eingangserzählung folgende Desillusionierung muss natürlich kürzer sein als diese selbst – wie langweilig wäre eine Entzauberung, die umständlicher daher kommt als der vorherige Zauber?! Usw.
Der Autor setzt übrigens noch eins drauf: Er legt dem Leser nahe, den Widerruf des Widerrufs, mit dem das Buch endet, seinerseits zu widerrufen. Denn die Erzählerin des dritten Teils glaubt am Ende zu wissen, wer der Mörder ist, obwohl deutliche Texthinweise noch eine ganz andere Tätergruppe infrage kommen lassen (das Buch heißt ja auch „Die rechtschaffenen Mörder“ im Plural): nicht den knorrigen Antiquar mit seiner Rechtsaußen-Rhetorik, nicht den angepassten Biedermann von Schriftsteller, sondern die Gruppe junger Rechtsradikaler, die nun wirklich ein Motiv hätte. Fast könnte man meinen, dass sich der Autor Schulze hier über die Wessis lustig macht, die in ihrem Entsetzen über die rechtsradikale Rhetorik die tatsächlichen rechtsradikalen Gewalttaten übersehen.
… aber ich schweife schon wieder ins Politische ab, dabei macht das Literarische doch viel mehr Spaß. Der ZEIT-Rezensent fand die ganze Geschichte „überdeterminiert“ und „konstruiert“. Zu Recht. Aber das fand ich gerade gut daran. Dass Ingo Schulze kein Vollblut-Erzähler ist – zu ambitioniert, zu kopflastig – hatte ich schon erwähnt. Aber diesmal treibt er die Konstruktion so weit, dass sie richtig intelligent wird: Er überdeterminiert, damit er genug Material zum Spielen hat. Und genug zum Nachdenken gibt uns das Buch wirklich.
Es erinnert mich ein bisschen an einen kleinen Vortrag, den mir mein Dr.-Vater einst im Nebenbei zu Mörike und Heine gab (um Verständnis für meine Mörike-Liebe zu zeigen und seine Liebe zu Heine zu erklären): Mörikes Gedichte, so seine Einschätzung, seien immer authentisch, ehrlich, echt empfunden und daher öfter auch sentimental oder kitschig. Denn echte Gefühle sind nicht selten sentimental oder kitschig. Heine seien die eigenen Gefühle aber nur das Material, das er in seinen durchkonstruierten Gedichten genial in Szene setze. Und daher so große Kunstwerke. Natürlich sei an den behaupteten Gefühlen nichts echt. Und dennoch liege das Echte irgendwo noch spürbar zugrunde.
Und das tut es auch bei Schulzes Roman, trotz aller Verkopftheit.
… so, und nun hoffe ich, 1 – 2 Menschen angeregt zu haben, dieses Buch zu lesen. Und wenn sie es selbst nicht lesen wollen, empfehlen Sie es bitte wenigstens weiter ...
Inhaltlich gehts um die Biographie eines Antiquars, zu DDR-Zeiten widerständig, nach der Wende erfolglos, endlich Gefallen findend an rechten Provokationen, eine schräge Heldenfigur, die (obwohl sich von Anfang an kleine Boshaftigkeiten finden) im Verlaufe des Romans immer weiter demontiert wird, und einen Kriminalfall gibts der Spannung halber auch noch.
Was alle schrieben, machte mich neugierig: die Konstruktion des Romans in drei Teilen, wobei der zweite Teil den ersten widerruft und der dritte den zweiten. Irgendein Rezensent meinte, der einzige Fehler sei, dass der zweite Teil so kurz und der dritte noch kürzer sei und vermutete, dem Autor sei „der Atem ausgegangen“. Dabei muss das doch so sein: Die auf die langwierige Eingangserzählung folgende Desillusionierung muss natürlich kürzer sein als diese selbst – wie langweilig wäre eine Entzauberung, die umständlicher daher kommt als der vorherige Zauber?! Usw.
Der Autor setzt übrigens noch eins drauf: Er legt dem Leser nahe, den Widerruf des Widerrufs, mit dem das Buch endet, seinerseits zu widerrufen. Denn die Erzählerin des dritten Teils glaubt am Ende zu wissen, wer der Mörder ist, obwohl deutliche Texthinweise noch eine ganz andere Tätergruppe infrage kommen lassen (das Buch heißt ja auch „Die rechtschaffenen Mörder“ im Plural): nicht den knorrigen Antiquar mit seiner Rechtsaußen-Rhetorik, nicht den angepassten Biedermann von Schriftsteller, sondern die Gruppe junger Rechtsradikaler, die nun wirklich ein Motiv hätte. Fast könnte man meinen, dass sich der Autor Schulze hier über die Wessis lustig macht, die in ihrem Entsetzen über die rechtsradikale Rhetorik die tatsächlichen rechtsradikalen Gewalttaten übersehen.
… aber ich schweife schon wieder ins Politische ab, dabei macht das Literarische doch viel mehr Spaß. Der ZEIT-Rezensent fand die ganze Geschichte „überdeterminiert“ und „konstruiert“. Zu Recht. Aber das fand ich gerade gut daran. Dass Ingo Schulze kein Vollblut-Erzähler ist – zu ambitioniert, zu kopflastig – hatte ich schon erwähnt. Aber diesmal treibt er die Konstruktion so weit, dass sie richtig intelligent wird: Er überdeterminiert, damit er genug Material zum Spielen hat. Und genug zum Nachdenken gibt uns das Buch wirklich.
Es erinnert mich ein bisschen an einen kleinen Vortrag, den mir mein Dr.-Vater einst im Nebenbei zu Mörike und Heine gab (um Verständnis für meine Mörike-Liebe zu zeigen und seine Liebe zu Heine zu erklären): Mörikes Gedichte, so seine Einschätzung, seien immer authentisch, ehrlich, echt empfunden und daher öfter auch sentimental oder kitschig. Denn echte Gefühle sind nicht selten sentimental oder kitschig. Heine seien die eigenen Gefühle aber nur das Material, das er in seinen durchkonstruierten Gedichten genial in Szene setze. Und daher so große Kunstwerke. Natürlich sei an den behaupteten Gefühlen nichts echt. Und dennoch liege das Echte irgendwo noch spürbar zugrunde.
Und das tut es auch bei Schulzes Roman, trotz aller Verkopftheit.
… so, und nun hoffe ich, 1 – 2 Menschen angeregt zu haben, dieses Buch zu lesen. Und wenn sie es selbst nicht lesen wollen, empfehlen Sie es bitte wenigstens weiter ...
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