Sonntag, 18. November 2018
Das Elend der Autoren
Mein Idealbild war immer William Carlos Williams, von dem ich einmal las, er habe in seiner Arztpraxis eine tiefe Schublade gehabt, mit einer Schreibmaschine drin, und immer, wenn mal kein Patient kam, habe er die aufgezogen und 1 – 2 Zeilen an seinen Gedichten getippt.

Dagegen steht das Bild vom Schriftsteller als öffentliche Person, mit der ich in der DDR aufgewachsen bin. Eine Figur wie Plenzdorf war ein Idol. In der 10.-Klasse-Deutschprüfung konnte ich nur durch die Nennung seines Namens meinen Direktor so verärgern, dass er die Note von 1 auf 2 herabstufte. (Von einer solchen Wirkung kann Botho Strauß nur träumen.) Jedes Christa-Wolf-Wort wurde auf die Goldwaage gelegt, und als von Günther de Bruyns „Neuer Herrlichkeit“ die erste Auflage eingestampft und die zweite Auflage in verminderter Stückzahl auf den Markt kam, dann rannte die halbe Republik, ein Exemplar zu ergattern. So berauschend war der Roman dann gar nicht – egal: Er war relevant.

Und wahrscheinlich schlummert ein Stückchen Sehnsucht nach dieser Relevanz in all den ostsozialisierten Autoren auch heute, ganz unabhängig davon, wie erfolgreich sie sind. Jedenfalls ist es bei mir so. Als ich einmal im Intercity einen Artikel von „unserem db-mobil-Autor Frank Schulz“ las, war ich erschüttert: Ich hatte den Mann für einen erfolgreichen Autor gehalten und daraus gefolgert, dass er von seinen Büchern leben kann.

Und nun erst die erfolglosen Schreiber, von denen ich einige kenne: Da gibt es eine Frau, die schreibt an ihrem vierten Gedichtband bei einem Bezahlverlag und lebt von Frührente und Grundsicherung, weil sie vor verletzten Stolz auch noch krank geworden ist. Ich kenne einen Mann, der sogar am Literaturinstitut in Leipzig studiert hat, aber seinen ersten Roman hat dann niemand rezensiert, er gibt Integrationskurse, wäre seine Frau nicht, müsste er die Kinder wohl auch von Hartz IV ernähren. Und nun lern ich einen Menschen kennen, der ebenfalls von Integrationskursen lebt, und schon beim zweiten Bier erzählt er mir, dass er seit zehn Jahren an einem Roman schreibt und dass er sich im Grunde als Schriftsteller sieht. Können Sie verstehen, dass ich zusammengezuckt bin wie Schneewittchens böse Königin vor dem Spiegel und nichts erwähnt habe von meinen Schreibversuchen? Es ist einfach zu peinlich.

Zum Glück hab ich meine Schublade und die heißt blogger.de. Da werde ich mein neuestes Werk reinstopfen.

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Im Gegensatz zu den meisten anderen Schubladen wird Ihr Werk in Ihrer Schublade aber gelesen. Und Senf dazu bekommen Sie auch noch.

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Nett, dass Sie das sagen. Dann fang ich mal an.

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Freue mich aufs Mitlesen.

(Es ist vielleicht ein schwacher Trost, aber: Ich kenne einen, der muß vom Schreiben leben. Zu beneiden ist er nicht.)

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Danke. Das ist schon ein Trost (einen Beruf zu haben, in dem die eigenen Fähigkeiten geschätzt werden, und das auch finanziell).

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