Mittwoch, 18. Juli 2018
Die Basis muss stimmen oder „Einer muss den Job ja machen“
In der Grundschule sollten wir einmal vom Beruf des Vaters erzählen und entsprechende Fotos mitbringen. Anschließend wurde diskutiert, welche Berufe wohl die wichtigsten sind. Natürlich sollte herauskommen, dass alle Berufe gleich wichtig sind. Aber die Lehrerin kam nicht gegen die Überzeugung der Klasse an, dass natürlich der Vater von Gabi als Feuerwehrmann den allerwichtigsten Beruf hat.
Ich hielt mich in der Diskussion peinlich berührt zurück, denn auch wenn mir nicht ganz klar war, was mein Vater als Kunsthistoriker denn nun genau macht, so merkte ich doch, dass es nicht sehr wichtig sein kann: Auf dem einen Foto saß er zwischen Papieren am Schreibtisch, auf dem anderen sah er zwei Leuten zu, die eine alte Tür reparierten.
Kindliche Einschätzungen, nun ja, aber sie prägen mich bis heute. Neulich erzählte eine Freundin von ihrer Arbeit im Krankenhaus, von einem bewegenden Erlebnis: Sie hatte einem Patienten mit Panikattacke die Hand gehalten, bis der zuständige Arzt kommen konnte, ihn beruhigt. „Können Sie nicht die Handschuhe ausziehen?“ war seine Antwort auf die Frage, ob der Körperkontakt okay wäre. Aber das durfte sie nicht. „Der ist schon ein Jahr im Krankenhaus, im Einzelzimmer, wegen der Keime. Die Schwestern meinen ja, der macht öfter Alarm, er manipuliert sie.“ Auf meine Frage, welche psychischen Komponenten dabei vielleicht eine Rolle spielen, dass es dem Menschen nach einem Jahr Krankenhaus immer noch nicht besser geht, meinte sie: „Natürlich, ja, da müsste ich einfach mal nachlesen. Da gibt es Forschungen dazu. Aber wann soll ich denn das noch machen?! Den Chefarzt interessiert das nicht. Für den ist sowas Quatsch.“ Wenn Sie diese Geschichte hören, haben Sie nicht auch den Eindruck, dass da im System irgendwie Prioritäten falsch gesetzt werden? (Sie hat intuitv gemacht, was anstand, weil sie zufällig grad da war, wegen andrer Sachen. Und ja, es haben auch schon Leute erforscht, was man grundsätzlich noch besser tun könnte. Aber das hat keine Relvanz für die Praxis.)
Ähnlich bei meiner Arbeit als Deutschlehrer für Flüchtlinge: Wie ich sicher schon öfter erwähnte habe, hasse ich diesen ganzen Sozialarbeiterscheiß, von der Suche nach Praktikums- oder gar Ausbildungsplätzen über die Gespräche zu Aufenthaltsfragen (Woher bekommt X. die Genehmigung, zur Klassenfahrt mitzukommen, wenn er Hamburg eigentlich nicht verlassen darf? Braucht Y. Auch eine Genehmigung, wenn im Ausweis „gewöhnlicher Aufenthalt in Hamburg“ steht? Wie bekomme ich Z. psychisch wieder stabilisiert, der gerade seinen Abschiebebescheid bekommen hat? Etc.) und zu Wohnungsfragen („Ich kann nachts nicht schlafen, die spielen die ganze Zeit Karten.“) bis hin zum massiven Eingreifen, wenn jemand austickt und grob beleidigt oder zuschlägt oder auch nur den Kopf auf den Tisch sinken lässt, weil er nicht geschlafen, weil er überhaupt aufgegeben oder weil er einfach nur keine Lust hat. Dann muss ich den Grund rauskriegen, ich muss, wie meine Freundin im Krankenhaus, den Blickkontakt suchen, ihn wieder in Beziehung und ins Leben zu bringen versuchen. Viel lieber würde ich mich auf Fachliche beschränken, nur Deutsch unterrichten. Ich liebe die deutsche Sprache, auch Rechtschreibung und Grammatik, und vermittle das auch liebend gern. Aber die Basis muss stimmen, sonst geht es nicht.
Ich erinnere mich noch an meine Zeiten in Alphabetisierungskursen, an meine Wut über diese Alphabetisierungsmode, als plötzlich überall dazu geforscht wurde, wie man das anstellen soll, unter dem Blickwinkel von „family literacy“ und hast du nicht gesehen. Anstatt es einfach zu tun. Es gab in unserer Winkelfirma eine 1-Euro-Jobberin, eine Sekretärin mit Akholneigung, die wir manchmal verbotenerweise in den Kursen einsetzten – natürlich konnte sie keine Grammatik vermitteln, das hat sie einmal probiert, es war die Katastrophe. Aber Alphabetisierung konnte sie, und zwar wunderbar. Die basalen Sachen sind manchmal einfach – aber natürlich anstrengend, deshalb fliehen die Mitarbeiter aus den Bereichen.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass es nach den Jahrzehnten noch einmal einen Lindenberg-Song geben würde, den ich richtig liebe: „Einer muss den Job ja machen“. Den Text hat übrigens Benjamin von Stuckrad-Barre geschrieben, von dem ich auch irgendwannmal ein Buch gelesen hab. Das Buch war treffend beobachtet und witzig geschrieben, aber auch völlig egal. Von daher hab ich von dem Mann als Schriftsteller keine allzu hohe Meinung. Sein Songtext aber ist genial. Vielleicht auch, weil er ihn zusammen mit anderen verfasst hat. Diese gemeinsame niedere Arbeit finde ich wichtig. Der Song macht mich glücklicher als mancher Roman, den ich im letzten Jahr so las.

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Traurig, daß diese so wichtige Arbeit, wie auch andere gerne als niedere Arbeit abgetan wird - zu gerne von Menschen, die viel Kohle fürs - ja, was genau denn??* verdienen.
* Im besten Fall ja auch damit, andere finanziell zu runieren...

Leider ist es so, daß (im Bestfall) auf die Basis runtergelächelt wird, aber bis auf ab und zu ein Schulterklopfen nix drin ist.

Ich finde es toll, daß Sie noch immer dabei sind und nicht aufgegeben haben, auch wenn Sie sich davon leider auch nix kaufen können.

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Danke für den Zuspruch, kann ich brauchen - wahrscheinlich haben Sie geahnt, dass es mir grad schwerfällt. Aber ja, ich halte durch, im Moment sind Ferien, und es ist Krafttanken, Reflektieren angesagt.

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Ich finde es schlimm, wie wenig die wichtigsten, die schwersten und unangenehmsten Arbeiten gewürdigt werden. Und wie schlecht bezahlt. Ihr Beispiel aus der Kindheit würde sich wahrscheinlich heute auch nicht mehr so abspielen. Der Feuerwehrmann würde bei den Kindern wahrscheinlich immer noch besser wegkommen als der Kunsthistoriker (was auch nicht gerade fair ist) - aber Werbefuzzi, Manager, Consultant und Co hätten wohl, trotz langweiliger Tätigkeit mit zweifelhaftem volkswirtschaftlichem Wert, auch in Grundschulklassen schon den besseren Stand wegen mehr Kohle und Status. Ich stelle mir gerade vor, wie ein Kind stolz vor der Klasse verkündet. "Mein Vati rationalisiert Leute wie eure Vatis weg. Und verdient dabei dreimal mehr als sie."

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Richtig. Meinem Sohn fällt es z.B. sehr schwer zu verstehen, wenn ich erzähle, dass gesellschaftliche Würdigung zu anderen Zeiten, in anderen Kulturkreisen nicht oder nicht ausschließlich über Geld organisiert war. Aber wenn es nunmal so ist, dann wäre es nur fair, wenn einige, die - gemessen an Arbeitsaufwand und volkswirtschaftlichem Nutzen - sehr viel verdienen, abgeben an die, deren Leistung für die Allgemeinheit absolut unverzichtbar ist.
Um auf mein Beispiel zurückzukommen: Ich finde es wirklich verdienstvoll, dass es konkrete Forschungen gibt, die helfen, den bescheuerten tradierten Körper-Geist-Gegensatz aufzulösen, nur nutzt das alles nichts, solange es nicht auch im Alltag umgesetzt wird.

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