Sonntag, 13. Mai 2018
Ein Tag in den Vatikanischen Museen II – Bei der Heiligen Patchwork-Familie
Viele dieser Erzählungen hatten natürlich die Heilige Familie zum Thema: eine junge Frau, schwanger, der Vater des Kindes ist abwesend, irgendwo in höheren Sphären; Joseph, der das akzeptiert und mit dieser Frau und dem fremden Kind eine Familie bildet; das Kind, das später seinen Vater suchen wird und auf diesem vergeblichen Weg zu ihm wie nebenher seine Leistungen vollbringt.
Vor einem Bild blieb ich länger stehen, einer Verkündigungsszene (Sie wissen schon: wo der Engel Maria sagt, dass sie schwanger ist): Maria ist da alles andere als die liebliche, reine Jungfrau. Natürlich ist sie jung, hat ein feines Gesicht, ist aber eher altklug-skeptisch als lieblich, halt die Sorte Mädchen, die sich aus dem üblichen derben Geschlechtergetümmel der jungen Leute raushält und sich auf einmal als Geliebte eines älteren Mannes wiederfindet.
Da kann man auch mal schwanger werden. Und dann verschwindet der Mann in den Wolken, von wo er die Szene beobachtet, und schickt nur einen Boten – auch der sehr gut dargestellt: ein frömmelnder Untertan.
Sie sehen schon: Dieser Vater ist jetzt in moralischer Hinsicht nicht gerade anbetungswürdig. Das verlangt auch niemand. Er ist halt Gott.
Und der Junge, der vaterlos aufwächst, aber die Gene des Gottes in sich hat, der muss ja auch irgendwie anders sein als die anderen Menschen.
Und jetzt ist es doch verrückt, dass gerade dieser Sohn Jesus aufgrund seiner halben Göttlichkeit auf eine Art moralisch gut sein kann, weil ihm die sündige, vitale, machthungrige Seite der Renaissance-Menschen fehlt, die wir Menschen alle haben, haben müssen, die offenbar auch Gottvater hat. Jesus nachzufolgen hieße dann nicht, dass man versucht zu sein wie er (das ginge nur unter Verleugnung der eigenen Natur), sondern sein Sein als Vorbild anzunehmen, gütig zu sein, auch wenn es die göttliche Ordnung nicht ist.
Mein Fazit: Es ist gut, sich mal wieder Kunst anzusehen, auch viel Kunst – man findet dann schon das Richtige und die Anregung, das zu denken, was man eh schon immer denken wollte und im Alltag nicht dazu kam.

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