Donnerstag, 22. Februar 2018
Solche Linke und solche, mir sind die stillen lieber
Ich habe hier vor ein paar Tagen über drei Bücher linker Autoren geschrieben, die ich neulich las, und dabei zum wiederholten Mal zum Ausdruck gebracht, wie sehr mir die Verachtung des Gefühlsseligen auf die Nerven geht, in der ich eine Weiterführung des machismo des Marxismus und der Arbeiterbewegung erblicke.
Das war insofern unfair, als ich die zwei mir unangenehmen Bücher gar nicht zuende gelesen habe. Dem Roman „Die verbesserte Frau“ von Barbara Kirchner hab ich vorgeworfen, er sei eiskalt. Wahrscheinlich ist er das nicht. Wahrscheinlich ist er nur von einem Gefühl getragen, das mir widerlich ist. Ich muss sowas nicht lesen. Ich muss meine Abneigung aber auch nicht in die Öffentlichkeit raustragen.
Dem Sachbuch „Erwachsenensprache“ von Robert Pfaller warf ich Zeitgeistigkeit und ein Kokettieren mit Verschwörungstheorien (die Postmoderne ist ein Kampfinstrument der Ausbeuterklasse) vor. Das meine ich immer noch. Aber meine Güte!: Irgendwie muss sich ein Buch doch behaupten, wenn es sich auf ein diskursiv so umkämpftes Gebiet begibt. Aber es so stehen so viele kluge Sachen drin, dass ich jetzt weiterlese, auch wenn ich mich manchmal ärgere.
Zum Beispiel an der Stelle, wo Pfaller behauptet, political correctness fördere deshalb die Zensur, da sie das rationale Element ausschalte – und die ratio sei in der Lage, Irrtümer zu korrigieren, während Beleidigte immer beleidigt bleiben. (Er übersieht hier, dass Gefühle nicht grundsätzlich kindisch sind, sondern natürlich auch sehr wohl erwachsen sein können, genauso wie rationale Gedanken.) Mit diesem Text liefere ich ein Beispiel.
Überhaupt hab ich in meinem Blog zunehmend Probleme mit dem Öffentlichen und dem Privaten. Ich habe viele Jahre auf Papier Tagebuch geschrieben und da meine Gedanken zu diesem und jenem probeweise formuliert. Manches davon fand ich im Nachhinein gar nicht so schlecht, so dass ich die Aussicht verlockend fand, dieses Tagebuch auf blogger.de öffentlich zu führen. Aber das geht nicht. Schon allein die Notwendigkeit, die Texte einigermaßen zu einem Ende zu führen und die gröbsten Tipp- und Formulierungsfehler zu entfernen (ich tippe daher immer zuerst in mein Schreibprogramm, ehe ich ins Netz kopiere) … führen dazu, dass ich viel seltener schreibe als früher. Und dann noch die Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte (inkl. meine eigenen), die blöden Anonymisierungen und dass ich das Thema Sexualität aussparen muss. Und als Krönung: peinliche Irrtümer wie dieser (im Tagebuch wärs egal gewesen) – und das ist nicht der erste.
Wie gehen Sie mit sowas um?

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Ich habe die Bloggerei nie als Tagebuch-Ersatz betrieben, von daher war von Anfang an klar, dass bestimmte Bereiche außen vor bleiben müssen. Das ist manchmal schade, andermal habe ich auch Dinge öffentlich gemacht in der Dunkelkammer, die da eigentlich nichts verloren hatten. Die Schwerpunkte haben sich mehr als einmal verschoben vom Papi-und-Hausmann-Dasein zum Traininigsprotokoll, als es beim Radfahren mehr zur Sache ging. Ich zögere noch, das Thema Krankheit und Umgang damit zum neuen Schwerpunkt zu machen, weil ich nicht sicher bin, ob mir (und den Lesern) das irgendwas bringt oder ob ich der Sache damit nicht mehr Gewicht gebe als ihr zustehen sollte.

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Also, die allmähliche Schwerpunktverlagerung, das ist ja eher ein Reiz an Blogs als ein Nachteil. Mit dem Thema Krankheit allerdings, da haben kommen Sie ja in einen ähnlichen Grenzbereich, wie er mir zu schaffen macht: wie viel Privates geht? Das Körperliche ist immer sehr privat bzw. erfordert besondere Vorsicht. Schön, dass Sie das rational einfach danach entscheiden wollen, ob es (Ihnen) was bringt. Denn das kann man testen (wie Sie es ja derzeit manchmal tun).
Mich als Leser würde das Thema interessieren (mehr als Radfahren - denn das betreibe ich nur als tägliche Fortbewegungsart in der Stadt auf einer ollen Gurke), da ich im persönlichen Umfeld auch mit der Dialyse zu tun hab. Aber wie gesagt, ich find es auch nicht ganz unheikel.

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hmmmm, interessante Frage, weil mir erst jetzt auffällt, dass ich da noch nicht drüber nachgedacht habe.
Ich glaube ja fest an die Anonymität, die mir so ein Benutzername bietet. Wenn ich das nicht täte (und ich habe es lange Zeit nicht getan), werde ich von meinem ureigenen Verfolgungswahn eingeholt und müsste sofort jede Verbindung ins Netz wieder kappen.

Da ich also nun einfach per Beschluss daran glaube, dass ich die virtuelle Existenz von der realen Existenz abkoppeln kann, habe ich wenig Probleme mit Persönlichkeitsrechten.

Gleichzeitig ist es so, dass ich sogar ganz genau weiß, dass bestimmte Menschen aus meinem persönlichen, realen Umfeld mein Blog kennen und lesen - aber das wiederum sehe ich eher als Vorteil, ihnen auf diesem Weg Dinge mitteilen zu können, die ich ihnen direkt und persönlich nicht sagen könnte. Da formal doch alles anonym ist, kann sich niemand beschweren. Und wenn jemand meint, er müsse mein Blog "heimlich" lesen, also ohne zu kommentieren oder ohne sich zu erkennen zu geben, dann fällt mir nur der alte Satz ein: "Der Lauscher an der Wand, der hört die eig'ne Schand."

Womit ich ansonsten überhaupt kein Problem habe, ist meine eigene Meinung als eigene Meinung zu haben.
Ich habe an vielen Stellen Befindlichkeiten - und wenn eine dieser Befindlichkeiten dazu führt, dass ich irgendetwas oder irgendjemand nicht leiden kann, dann hätte ich auch kein Problem damit, das öffentlich kundzutun.
Ich persönlich finde zB diese neue Erziehungsströmung "attachment parenting" völlig bescheuert, weil - ach hunderttausend Gründe. Ich finde es dermaßen bescheuert, dass ich schon wieder nix mehr dazu sage, weil ich gar nicht genug Wörter kenne, um mich adäquat darüber aufzuregen.
Wahrscheinlich ist er das nicht. Wahrscheinlich ist er nur von einem Gefühl getragen, das mir widerlich ist. Ich muss sowas nicht lesen. Ich muss meine Abneigung aber auch nicht in die Öffentlichkeit raustragen.
Kann man 1:1 auf dieses beziehungsgestörte Elterntum übertragen. Und ich finde, ich könnte jederzeit meine Abneigung dazu in die Öffentlichkeit raustragen, weil, warum nicht?
Es gibt nicht nur einen Grund, warum etwas gut ist, genau so wenig, wie es nur einen Grund gibt, wenn man behauptet, etwas sei schlecht - aber wenn mir grad nur ein Grund einfällt, warum darf ich den nicht sagen und ins Internet schreiben? Ich sage doch immer dazu, dass das meine Meinung ist und außerdem kann mir doch jeder widersprechen. Oder meine Meinung ergänzen, oder irgendwas sonst dazu sagen.

Was Krankheiten angeht finde ich das Thema kompliziert, denn meiner Meinung nach hängt es sehr davon ab, wie man das Thema in sein Blog integriert uund wie man darüber schreibt.
Es gibt ja nun genug Blogs, die bestehen nur aus ihrem Krankheitsthema - die finde ich üblicherweise langweilig und klicke weiter.

Wenn ein Blog aber im Wesentlichen eine Darstellung der persönlichen Gedanken ist (und Tagebuchbloggen ist das natürlich par excellence), dann gehört für mich das Thema Krankheit ganz selbstverständlich dazu, denn auch Krankheit ist ein Teil des Lebens und kann phasenweise sogar den absoluten Schwerpunkt bilden.
Und es kann für Menschen, die nicht krank sind, enorm interessant, wertvoll und denkanstoßgebend sein, wenn man darüber etwas liest, weil man ansonsten mit dem Thema nicht in Kontakt kommt.
Für mich persönlich hängt es aber sehr davon ab, wie es geschrieben wurde.
Längeres Gejammer und permanentes Mitleidsgeheische klicke ich meist weg, da weiß ich immer gar nicht, was ich dazu sagen soll.
Wenn ich den Menschen dahinter aber ansonsten interessant finde, würde ich es schade finden, wenn er diese wichtige Seite seines Lebens und vor allem seine Gedanken dazu ganz aus dem Blog heraus hält.

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Viele Anmerkungen
1. Was Sie über Krankheiten in Blogs sagen, das kann man besser gar nicht formulieren.
2. Und um Ihren Umgang mit Mitlesern aus der analogen Bekanntschaft könnt ich Sie geradezu beneiden. Ich hab am Anfang - leider - auch einigen Menschen gesagt, wie mein Blog heißt, zum Glück war es den meisten zu langweilig, ständig mitzulesen. Aber schon, dass ich weiß, dass 2 - 3 noch mitlesen, schränkt meine Schreibfreude deutlich ein.
3. Weshalb ich ungern meine Einzelmeinungen und Befindlichkeiten ungefiltert veröffentliche: Es geht mir darum, zu differenzierten Urteilen zu kommen. Und da Diskussion und Austausch nicht so meine Sache sind (kann ich einfach nicht so gut) ist es mir schon wichtig, wenigstens in mir selber die Urteile eingiermaßen ausgewogen zu haben, bevor ich sie ins Netz schreibe. Und da ich selber äußerst sensiblig auf Kritik reagiere, bemühe ich mich halt auch, mit Kritik an anderen vorsichtig zu sein.
4. "attachment parenting" - davon hatte ich noch nie gehört, bevor Sie es erwähnten. Was ich beim oberflächlichen Nachgoogeln fand, fand ich jetzt gar nicht so verkehrt, nur ziemlich affig und übertrieben formuliert, banale Selbstverständlichkeiten irgendwie in den Wissenschaftsraum hinaufgelobt. Obwohl: Sicher kann man seine Kinder auch anders ebenso gut erziehen. Diese ideologisch aufgeladenen Erziehungs-Debatten nerven mich seit meinem Lehramtstudium vor Jahrzehnten. Insofern haben Sie Recht: soll man gar nicht so viel Worte drüber verlieren, lieber handeln, wie mans für richtig hält.

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In den Worten eines Profis:
Bitte lesen Sie diesen Artikel! Er drückt genauer aus, was ich meine.

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