Samstag, 3. September 2016
Lob der Kleinfamilie
Natürlich meine ich mit der Kleinfamilie, die ich hier loben will, meine eigene, und damit ich nicht ideologisch falsch verstanden werde, möchte ich meine beispielhaften Ausführungen mit dem Hinweis auf eine Person beginnen, deren Status „alleinerziehende Mutter“ ich absolut gutheiße.
X. hatte immer Probleme mit Beziehungen. Sie war zwar, da sie eine schöne Frau ist, nicht immer Single, aber es klappte auch nicht so, wie sie sich das wünschte. Und immer hatte sie Neurodermitis, mal mehr, mal weniger. Als sie über 30 war und selbst ihre psychisch ziemlich schräge beste Freundin auch schon eine Mutter, da warf sie sich R. geradezu an den Hals. „Ich weiß nicht“, meinte L. damals, „warum muss sie denn gleich nach dem zweiten Kaffeetrinken mit ihm ins Bett?“ Aber das war schon richtig. X. wurde schwanger, es wurde dann auch geheiratet. Natürlich hielt die Ehe nicht lange: Eine schwierige Frau von beinahe 40 und ein wohl witziger und kreativer, aber nie erwachsen gewordener Hippie von über 50 – das konnte nichts werden. Sie warf ihn raus. Und plötzlich verschwand auch die Neurodermitis. Was dazu führte, dass sie in letzter Sekunde noch verbeamtet werden konnte. Jetzt wohnt sie mit ihrer Tochter allein in einer teuren Stadt in einer teuren Wohnung. Sie lamentiert gern darüber, dass sie keinen Freund, keinen Mann hat. Sie weiß nicht, dass sie eigentlich glücklich ist.
Ganz anders verhält es sich mit Y., die ebenfalls alleinziehende Mutter ist. Y. und ich waren uns, als wir um die 20 waren, recht nahe, wir stammen aus ganz ähnlichen familiären Verhältnissen (haben uns auch über unsere Eltern kennen gelernt). Y. fiel es schwer, sich von ihrem dominanten Elternhaus, insbesondere ihrem Vater, zu lösen. Sie hatte immer Affären mit Jahrzehnte älteren, meist verheirateten Männern. Aus einer dieser unseligen Geschichten stammt dann auch das Kind, von dem die Ehefrau des Vaters nie etwas erfahren durfte: Die Unterhaltszahlungen kamen, soviel ich weiß, unregelmäßig und über geheimnisvolle Kanäle. Die Rettung kam für Y. in Form von Krebs, der sie über ihr Leben nachdenken ließ und ihr ihre üppige Blondinenfigur raubte – sie kam zu sich selbst und den Krebs überwand sie auch. Dann nahm sie sich ein Herz und verführte ihren gleichaltrigen Nachbarn, einen alles andere als perfekten Normalo und langjährigen Single, der sich bereiterklärte, ihren beruflichen Misserfolg mit seinem guten Gehalt abzusichern und sich zudem als wunderbarer Ersatzvater herausstellte. Leider wusste Y., die Vatertochter, nicht, dass man in einer Beziehung auch Forderungen stellen darf. Stattdessen verzweifelte sie still an seinen diversen Macken und verließ ihn irgendwann: Das Dümmste, was sie machen konnte. Jetzt lebt sie wieder vom Geld ihres Vaters und trinken tut sie auch.
Da hab ichs doch irgendwie besser hingekriegt, als es mir gelang, eine damals sehr verehrte, aber nie wirklich erreichbare Jugendfreundin Jahrzehnte später zu meiner Ehefrau zu machen, ein Kind mit ihr zu haben. Die normale Lebenswelt ist einfach zu isolierend. Ich habe neben meinen beruflichen Kontakten sowie einer Reihe von Bekanntschaften, die nicht besonders tief gehen, so ca. 1,5 – 2 gute Freunde. Ohne meine Familie wäre ich sehr einsam. In meiner Beziehung habe ich (neben Zärtlichkeit und Sex) ein Gefühl von Nähe, Bindung, Zuhausesein, ohne dass ich schwer durchs Leben käme.
Ich sehe das an Z.: Auch er kommt aus ähnlichen Familienverhältnissen wie ich, doch er ist allein geblieben. Denn was für die Vatertochter Y. die Affären waren, das war für Muttersöhne wie mich und für Z.: das völlige Fehlen von Sexualpartnern. Und dieses Fehlen ist wie ein schwarzes Loch: Es gehen dann irgendwann auch die Freundschaften verloren. Z. beweist das mit seiner Existenz: Er hat kaum jemanden. Meine Frau zum Beispiel mag ihn offensichtlich – und doch scheut sie seine Nähe: Sie findet seine Fingernägel und seine dreckigen Leinenbeutel eklig. Ich bin da ja etwas toleranter, aber neulich war ich mal in seiner Wohnung, in der ich sonst nie bin: Es roch schon etwas muffig und im Kühlschrank klebte eine tote Spinne in etwas offensichtlich schon vor Jahren Ausgelaufenem.
Und jetzt erzähle mir keiner, das sei die Freiheit und die Kleinfamilie spießig.

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Freedom's just another word
for nothing left to lose.

Mir und meinen beiden Lieben geht es mit dem spießigen Kleinfamilienmodell jedenfalls blendend. Es hatte freilich seinen Preis: Einige Freaks in meinem Freundeskreis haben sich sofort verabschiedet, als sich Vaterschaft und evtl. Ehe bei mir abzeichneten, aber ich würde den Preis jederzeit wieder bezahlen. Soweit ich weiß sumpfen die Betreffenden heute noch genauso rum wie vor 12 Jahren, als sich unsere Wege trennten, da kommt von meiner Seite kein Neid und keine Sehnsucht auf.

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Tauschen möchte ich auch nicht mit den Singles. Denn das, was der von Ihnen zitierte Song postuliert, das funktioniert ja immer nur kurz: Meine Freundin Y. schrieb einen ganzwunderbaren Gedichtband, als sie verzweifelt war, und einen schlechten, als sich ihre Lage zu konsolidieren begann, und einen wiederum ganz guten, als dann wieder alles zerbrach. Ich finde das zu teuer bezahlt.
Und Sie haben Recht: Der Preis, dass wir uns von diesen Freunden entfernen, ist wesentlich weniger hoch.
Das Traurige finde ich, dass auch diese Leute nur für Momente sich frei fühlen können, dann hängt man wieder am Geld des Vaters (Y.), oder am Job, der die Privatsphäre raubt (Z.), man ist also genauso unfrei wie wir Verheiratete, nur dass man nicht den Ausgleich des Zuhauseseins hat.

Übrigens: Das Thema scheint ein weithin diskutiertes zu sein: Über einen Umweg (literaturkritik.de, wo wie ich auch viele andere talentierte Loser publizieren) traf ich auf Friederike Gösweiner, deren Buch über das Scheitern einer Journalistin mir mein Buchladen erst mit 2 Wochen Wartezeit liefern konnte, so begehrt war es (und so enttäuschend: wieder ein Buch, das in astrein gepflegtem Deutsch, in sensibler Stimmungswiedergabe das Elend wiedergab, ohne dahin zu gehen, wo es konkret wird: Wer bezahlt eigentlich für was bei diesen prekären Existenzen und wer ist - finanziell und psychisch - von wem abhängig?).

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Ja. Mir geht es mit Frau und 2 Kindern auch fantastisch. Der Nachwuchs steht mittlerweile stabil auf eigenen Füßen, für uns Eltern ist schon lange alles wieder recht locker. Und spießig ist man nicht wegen Kinderwagen oder Vorgarten, sondern im Kopf.

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Weit entfernt davon Freak zu sein, sozial hochgradig integriert, bleibt es mir doch ein Rätsel, wie Menschen zu Partnerschaften kommen. Onenightstands sind ein anderes Kapitel.

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Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger sehe ich mich in der Lage, darauf allgemeingültig zu antworten. Während mir das Zustandekommen meiner Ehe eher wie eine Verkettung allerlei unwahrscheinlicher Zufälle erscheint, war der Beziehung zu meiner vorigen Lebensgefährtin ein längerer strategisch geplanter "Eroberungsfeldzug" vorangegangen, bei dem das Timing sehr heikel war. Wenn ich da zu früh aus der Deckung gekommen wäre, hätte ich es wahrscheinlich vermasselt.

In den Jahren zwischen meiner Ex und meiner Frau waren One-Night-Stands eher rar, was unter anderem aber auch damit zusammenhing, dass ich in der Zeit recht wenig auf der Piste war. Da war zu Studi-Zeiten und zu Beginn meiner Berufstätigkeit deutlich mehr los.

Aber grundsätzlich war ich schon seit jeher eher der Typ für dauerhafte Partnerschaften und längerwährende Affären und nicht so sehr für eine Nacht.

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Tja, wie kommt es zu Partnerschaften? Mir scheint da doch eine gewisse "Macht der Gewohnheit" in einem überindividuellen, kulturellen Sinne eine Rolle zu spielen (man macht es halt so, wies die vorherigen Generationen eben auch taten), anders kann ich mir das sonst auch nicht erklären, dass es so oft doch klappt. Etwa so, wie Frank Schulz' Romanheld Bodo Morten erzählte, er habe mit seiner Freundin "Geschlechtsverkehr" betrieben, "wie's die Sitte nunmal vorsah".
Wobei wir beim zweiten Thema wären: Denn wie es zu One-Night-Stands kommt, ist mir erst recht unerklärlich. Die paar Mal, die ich welche erlebt hab, da dachte ich schon, während die Sache sich anbahnte: Was geht denn hier ab?! Das ist ja völlig surreal! ...

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Warum auf andere herabschauen?
Ich find´s ein bisschen schade, dass hier die eigenen Lebensumstände so hoch gehalten werden, während andere Lebensentwürfe - ob freiwillig oder unfreiwillig - herabgewürdigt werden. Man darf nicht vergessen: Das Leben ist nicht einfach. Und nicht jeder findet seine Herzensdame. Es gibt viele verkrachte Existenzen und ich mag ihnen keinen Vorwurf machen. Mal ehrlich, habt ihr schon mal Schwerstbehinderte in ihren Rollstühlen beobachtet, wie sie fast bewegungsunfähig ihr Leben meistern müssen? Da kann man als gesunder Single froh sein.

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An dieser Kritik ist schon was dran: Die Bloggerei hat etwas Narzistisches, mir scheint das sogar der Kern des Bloggens zu sein. (Und komisch: Auch bei den anderen Bloggern lese ich die narzistischen Texte am liebsten.)
Aber das funktioniert natürlich unbewusst, und ich merke es erst, wenn man mich drauf hinweist. Denn tatsächlich hab ich niemanden herabwürdigen wollen: Den Lebensentwurf von X. z.B. finde ich wirklich gut. (Über Y. und Z. allerdings hab ich mich wirklich geärgert im echten Leben - das war auch der Anlass meines Schreibens - und ich hab mich über sie geärgert, weil es mir um Haaresbreite so gegangen wäre wie ihnen.)

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Was ich nicht so ganz verstehe: Warum stecken Sie als Z.s Freund ihm nicht mal taktvoll, dass das eklig ist und er sich auch seinen wenigen Freunden und sonstigen Mitmenschen zuliebe nicht so gehen lassen sollte?

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Nun, das hab ich getan, einige Tage, bevor ich meinen Text schrieb. Ich glaub inzwischen, dass das der letzte Anlass für mein Schreiben war: die verdrängte Wut darüber, dass er das total abgeblockt hat und sehr abweisend und böse darauf reagiert hat. Inzwischen hab ich über einen gemeinsamen Bekannten erfahren, dass meine Kritik sehr wohl angekommen ist. Das hat mich sehr erleichtert.

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Ihren Ärger kann ich gut nachvollziehen. Es ist nicht einfach, einem anderen das hinzudrücken. Ich habe das vor vielen Jahren auch einmal gemacht, weil sich sonst keiner traute. Der andere reagierte zum Glück nicht böse darauf (peinlich war es dennoch), und es hat auch gefruchtet, zumindest eine ganze Zeit lang. Inzwischen ist er schon seit etlichen Jahren verheiratet, hat jedoch in der Hinsicht längst wieder etwas nachgelassen. Aber es ist nicht mehr ganz so schlimm wie früher, soll seine Frau ihm das doch stecken.

Insofern kann ich auch ihre Erleichterung darüber, dass die Botschaft bei Z. doch ankam und er sie beherzigt, gut nachvollziehen.

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Na ja, vielleicht abschließend darüber, wie man die Wahrhaftigkeit von Aussagen über die eigene Liebesbeziehung bewerten soll: Helena Bonham Carter sagt über ihre Trennung von Tim Burton: "Wir verstehen uns wirklich. Das ist gut. Ich verstehe ihn sehr gut und er versteht mich. Vielleicht ist es auch einfacher zusammenzuarbeiten, wenn man nicht mehr zusammen ist. Er hat mich immer mit großer Verlegenheit gecastet.". Tatsächlich aber hatte Tim Burton viele Filme lang offenbar keine Skrupel, seine Freundin für eine Hauptrolle zu casten, in seinem ersten Film nach der Trennung aber fehlt sie und er hat einfach irgendeine andere auf "Bonham Carter" geschminkt (- zu meinem Leidwesen, der Helena je älter, desto schöner findet).

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Falls Sie das Originalinterview lesen wollen, hätte ich da einen Link für Sie. Und noch einen, etwas älter, aber auch mit schönen Fotos. In dem früheren Interview sagte sie:

I could write a thesis on what's happened and it is all-absorbing when a relationship breaks down, but I think we're coming through it, and I think we'll have something very precious still. Our relationship was always somewhat special, and I think it'll always remain special. We did find each other. And really, the mark of a successful relationship shouldn't be whether you're there forever after. Sometimes you're not meant to be forever together. Sometimes you have to come to terms with the fact that that was it. But that was a gift, a massive gift. We gave each other children and a lot more else.

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Vielen Dank - es mag an meinen nicht so guten Englischkenntnissen (bzw. meiner langsamen englischen Lesegeschwindigkeit liegen), aber ich finde, es klingt auf Englisch viel, viel schöner. Wie wahr es ist, spielt da schon keine Rolle mehr.

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Wie wahr es ist, spielt da schon keine Rolle mehr.

Natürlich bin ich zunächst geneigt, es für hollywood-typisches PR-Gewäsch zu halten. ;-) Aber vielleicht ist ja doch was dran. Ich würde mich über meine beiden verflossenen Lebensgefährtinnen nicht soo viel anders äußern (davon abgesehen, dass wir uns keine Kinder geschenkt haben).

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Das deutsche Zitat stammt aus dem neueren Interview mit "Harper's Bazaar", unmittelbar davor sagte sie, dass sie gern wieder mit ihm zusammen arbeiten würde. Dass die beiden es bislang nicht getan haben, könnte auch daran gelegen haben:

'With divorce, you go through massive grief – it is a death of a relationship, so it's utterly bewildering. Your identity, everything, changes.' At times in the past year, she says, she longed to wrap 'handle with care' packing tape around her forehead. 'Like the hedgehog,' she explains, referring to her mother's brooch. 'Just saying: "I'm not myself at the moment, so be careful".

Kann ja noch kommen. Emma Thompson hat mit Helena Bonham Carter später auch noch zweimal vor der Kamera gestanden, die von 1994 bis 1999 mit Kenneth Brannagh zusammen war - der bis 1995 mit Emma Thompson verheiratet war. Wie es Emma Thompson damit ging, hat sie 2013 erstmals in einem Interview erzählt.

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@mark793: Sicher ist da was dran. Es gibt ja zwischen "PR-Gewäsch" und "Wahrheit" ja auch noch ein Drittes: guten Stil. Wenn ich bedenke, dass man Helena Bonham Carter als ladylike kennt (und Sie als in jeder Diskusssion fair und sachlich) - ist es nicht einfach auch eine Frage des Anstands, wenn man über Ex-Partner warmherzig und in betonter Erinnerung an einstige Nähe spricht?
@arboretum: Sie lassen ja mal wieder keinen meiner negativen Gedanken gelten! - und haben auch Recht damit.
@beide: Ich sag ja auch gar nicht, dass sie lügt. Oder dass ich über meine Beziehung lüge. Ich wünsch mir halt manchmal mich und die Welt ein bisschen tendenziös - auch wenn wirs im Grunde vielleicht nicht sind.

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@ damals: Doch, doch. Mir gefällt Eva Greene als gefärbte und geschminkte Kopie auch nicht sonderlich.

Ich werde jetzt die Verfilmung, die ich nicht gesehen habe, aber zum Anlass nehmen, das Buch nochmals aus der Bibliothek auszuleihen und diesmal auch zu lesen. Das hatte ich vor einigen Monaten zeitlich nicht geschafft und seither Miss Peregrine's Home for Peculiar Children noch mehrmals in der Hand gehabt, aber dann doch nicht wieder mitgenommen.

Edit: Das haben andere auch zum Anlass gemacht. Das Buch ist noch eine Weile ausgeliehen. :-(

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Der Film ist wirklich schön, selbst ohne Helena. (endlich mal ein Film, der meinem Sohn, meiner Frau und mir gleichzeitig sehr gefiel - das kommt sonst fast nie vor). Das Buch will ich jetzt auch unbedingt lesen. Ist vermutlich noch besser.

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@damals, 21 Uhr 08:
Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Anstand auch dann aufbrächte, wenn ich die beiden Trennungen schlechter verkraftet hätte. Womit ich nicht sagen will, dass ich nicht beide Male enorm daran zu knabbern gehabt hätte. Aber gerade weil ich damit wirklich "gearbeitet" habe, ist da auch kein Groll zurückgeblieben, sondern unterm Strich eher Dankbarkeit für das, was man hatte.

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Auch eine wichtige Erkenntnis: Anstand ist nicht gottgegeben, sondern macht ganz schön Arbeit.

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