Donnerstag, 23. Juni 2016
Erster Ausflug
Es ist bescheuert: Nie mag ich mich festlegen, ich hasse Pläne und singe ein Hohelied auf die Flexibilität, aber das Ende vom Lied ist, dass andere über meine Termine bestimmen.
So war es auch mit meiner ersten Wohnmobilreise: Für eine Ferienwoche geplant, wurde nur ein kurzer Ausflug daraus; es waren Besorgungen zu machen, wir konnten erst Dienstagmittag los, und Donnerstagabend mussten wir schon in Potsdam sein, wollten wir nicht alle sein (Eltern, Schwäger, eine alte Schulfreundin) verärgern. Die paar Stunden aber, die damals jr. und ich (meine Frau musste arbeiten) wirklich unterwegs waren, die waren es wert.
Wir begannen die Tour bei S*-Gas bei uns um die Ecke, eine neue Gasflasche kaufen. Problemlos (den passenden Schlüssel für die Installation konnte man am Tresen günstig hinzukaufen). Dann ab in den Norden. Das Navi empfahl die Autobahn nach Lübeck und dann die A20; ich zwang es aber, über Mölln zu fahren, da ich erinnerte, wie hübsch das Städtchen hinterm See über der Bundesstraße lagert. Und wurde belohnt: die letzten sieben Kilometer schickte uns das Navi über winzige Feldwege, dann kamen wir an: Der über Landvergnügen avisierte Hof (18.Jahrhundert, Reetdach, Storchennest) lag in einem 15-Häuser-Dörfchen in malerischer Hügellandschaft,

Wurde betrieben von zwei Frauen und kostete uns drei Euro für Klo und Dusche, die sich spartanisch, aber sauber in einem Bauwagen hinterm Haus befanden. Es gab Ziegen, Schweine, eine sehr zutrauliche Katze,

(die interessiert unser Wohnmobil durchstrolchte) und ansonsten: sagenhafte Ruhe. Genau das, was der gestresste Großstädter sich wünscht.
Als es dunkel wurde, stellte sich heraus, dass der Stromkreis mit der Beleuchtung nicht geht. Damals jr. und ich durchforsteten die von Vorbesitzern gezogenen Strippen und konnten den Fehler tatsächlich schnell beheben: Stolz.
Am nächsten Morgen wollte ich wiederum die A20 vermeiden, es zog mich nach Grevesmühlen,


das ich zuletzt vor 20 Jahren mit dem Moped besucht hatte, in einer vergeblichen erotischen Bemühung. Dass es ein Zentrum der Rechten sein soll, sieht man dem idyllischen Örtchen nicht an.

Dann weiter nach Wismar, dem Schauplatz von „Sansibar oder der letzte Grund“, damals ein wichtiges Buch für mich, wie für viele Kommunismus-Abtrünnige. Wir fuhren aufs Dach der berühmten Georgenkirche und aßen zu teuer am Markt in einem „Steigenberger“-Ableger. Dann deckten wir uns mit Literatur ein und machten irgendwo draußen in der Pampa eine Lesepause am Tümpelufer: Er hatte sich für Gregs Tagebuch, Teil 10, entschieden, ich für das aktuelle "Magazin“, das ich als durchaus lesenswert und deutlich besser als zu Ostzeiten empfand.
Nächste Übernachtung im weiträumigen Park eines Herrenhauses nahe Güstrow, das jetzt als Tagungshotel genutzt wird. Hier gab es sogar Strom umsonst.

Dafür keine Duschen, nur die schnieke Toilette der im Haupthaus einlogierten BWLer. Und einen frei verfügbaren Äppelkahn für eine Tour über den Dorfteich.
Letzter Tag: Nach 100 km Autobahn und nochmals ewig über Alleen: Ribbeck (Fontane!), das hatte ich mir gewünscht (wegen „Sonja “ von Judith Herrmann und weil ich bei der letzten Durchfahrt durch den Ort – nachts 1984 mit einer Militärkolonne – nicht anhalten durfte) War nicht so spannend. Wir fuhren weiter nach Potsdam und sortierten uns ins Chaos meiner immer noch großbürgerlich wohnenden,

aber zunehmend umständlich bis widersinnig agierenden Eltern. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Klingt nach einer schönen Tour. Kenne mich da oben ja nicht so aus, aber Mölln habe ich auch in angenehmer Erinnerung. Allerding gab es da in den frühen 90ern auch fremdenfeindliche Anschläge. Das war ja (siehe auch Solingen) keine ostdeutsche Spezialität...

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Ja, es war sehr schön. Und was die Rechtsradikalen betrifft - es ist schon verhext: immer an den idyllischsten Orten. Früher in der DDR wurden die Idyllen eher durch Atomkraftwerke oder Militärstandorte verseucht, heute eher durch Glatzen (Denken Sie nur an das wunderbar idyllische Werder an der Havel, das Sie mal recht gruselig erlebt haben, Herr mark.). Erst die Russenpanzer, dann die Springerstiefel: Es ist wohl was dran an dem Gedanken vom ollen Freud, dass das Heimelige und das Unheimliche nahe beieinander liegen und einander sogar bedingen.

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Weiß nicht, ob man das so verallgmeinern kann, von Rothenburg ob der Tauber oder Dilsberg im Odenwald ist mir nichts bekannt über rechtsradikale Umtriebe. Solingen ist keine reine Idylle, und Mannheim-Schönau, wo es seinerzeit auch rundging, schon gar nicht. Aber von an sich schönen Orten in Meck-Pomm hörte ich verschiedentlich schon Arges. Und ja, dieses Werder-Erlebnis, da war wirklich schaurig, wenngleich im Grunde ja nichts spektakuläres passiert ist - vielleicht gerade weil es anscheinend so normal war, dass es irgendwann so kippt.

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