Montag, 26. Oktober 2015
Traum von glänzender Nebensächlickeit
Heute Nacht im Traum stand ich als Abiturient im Vestibül der Schule, das die Form einer dunklen Felsenhöhle hatte. Ich sollte die Gäste begrüßen, die da aus dem Hellen hereinkamen. Der Erste, der kam, war Frank-Walter Steinmeier. Er erkannte mich, begrüßte mich freundlich und sagte einen netten Satz über mein hoffnungsvolles Talent und ging dann weiter in die Höhle. Im Hintergrund hörte ich ihn der Direktorin wiederum meine Fähigkeiten loben.
Aber dann kam von der Seite, aus dem Dunkel, meine Klassenkameradin und ich sah ihre Zukunft vor mir: Sie würde mit Freunden ein Nachrichtenportal im Internet gründen, damit landesweit berühmt werden, jedoch später in Zeiten der Zeitungskrise, pleitegehen und eine neue, unspektakuläre Berufskarriere starten müssen. Da wusste ich, dass auch ich nicht berühmt würde.
In der Wirklichkeit habe ich gerade nach dem Filmbesuch eine spannende, sehr aufschlussreiche Biografie über Fritz Bauer gelesen, die aber dennoch einige tendenziöse Aspekte enthielt. Ich wunderte mich erst, dass so ein kluges, korrektes Buch an unerwarteteten Stellen doch so eine Schlagseite bekommt und nicht mehr ganz aufrecht durch die Meere schifft. Aber natürlich: Als ich im Internet nachlas, wurde bald klar, dass das Buch sich natürlich in einer aufgeheizten kulturpolitischen Debatte positioniert und entsprechend bewusst Schwerpunkte setzen muss. An sich ein recht überflüssiger Streit: Es geht darum, ob das Andenken an Fritz Bauer, ohne Zweifel einen Held (man googele nach), nun eher traditionell antifaschistisch geehrt werden soll oder ob man nach neuer Mode eher das Judentum und das Homosexuelle an ihm betont. Ich beneide einfach die Menschen, die sich mit solch herrlichen Nebensächlichkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen dürfen.
Mich selber hat der Weg nicht in diese Gefilde der Kulturdebatten geführt, und ich bin ihn auch nicht gegangen. Ich bringe jungen Menschen bei, wie man Kommas setzt, wie man einen vernünftigen Text schreibt oder einen Zeitungsartikel versteht – in meinen Augen eine grundsolide Arbeit, leider schlecht bezahlt (im Vergleich zu meinen Kollegen an der staatlichen Schule) und vor allem völlig unspektakulär. Ins Licht der fröhlichen Belanglosigkeiten werde ich wohl nie gelangen.

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aber sie haben die chance, ihren schüler*innen den blick für derlei heiteres treiben zu schärfen und ihnen die teilnahme daran zu ermöglichen. die meisten werden darauf verzichten wollen, diejenigen, denen sich so ein neuer kosmos erschließt, werden es ihnen nie vergessen.
(das ändert zugegebenermaßen nichts an der bezahlung)

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Richtig, auch das ist meine Aufgabe. Heute fragten mich die Erstsemester mitten in der Kommaübung, warum denn Hamburg eigentliche "Freie" und Hansestadt heißt (das kam im Beispielsatz vor), da durfte ich dann mal in interessante Gefilde abschweifen (und das kam auch gut an).
Im richtigen Literaturunterricht bin ich aber derzeit ratlos, denn für die Fachhochschulreife müssen sie dieses schreckliche Buch lesen. "Ist doch super", meinte meine links engagierte Mathe-Kollegin, "da kannst du sie doch wunderbar sensibilisieren, was den Unterschied zwischen Realität und Literatur angeht!" Schön wär`s! Das ginge vielleicht am Gymnasium. Dass diese Dokufiction-"Stories" nicht "echt" sind, das ist für FHR-Techniker zu schwer zu durchschauen. Für die Schulbehörde übrigens auch (nach den Hinweisen zu urteilen, die sie den Lehrenden mitgibt).

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