Montag, 4. November 2013
Polemik des Tages: "spielzeugfrei"
Vor ein paar Tagen erheiterte mich wieder einmal eine Laternenpfahlwerbung: Eine „Kinderstube Altona“ empfiehlt sich als „spielzeugfreie“ KITA.
Da ich das Handy fürs Fotografieren nicht dabei hatte, googelte ich nach (natürlich nicht mit Google!), um Euch den Schwachsinn zu verlinken. Zu meinem Schrecken musste ich feststellen, dass das kein Altonaer Ausrutscher ist, sondern offenbar eine richtige pädagogische Mode. Es soll schon eine ganze Reihe KITAs geben, in denen es tatsächlich nur selbstgebasteltes Spielzeug geben darf. Und das Ganze soll laut pädagogischem Konzept der „Suchtprävention“ dienen.
Also, wenn irgendetwas die Sucht nach Kommerzspielzeug anfeuert, dann doch, dass man ein dreijähriges Kind zwingt, sich nur mit den wackligen Elaboraten zu beschäftigen, die es selbst schon herstellen kann. Welches Kind sägt sich seine Bauklötze selber? Ich meine: Nichts gegen Basteln. Und vor allem nichts gegen den Versuch, die Flut überflüssiger Spielwaren von den eigenen Kindern fernzuhalten. (Auch im Kindergarten meines Sohnes waren natürlich manche Spielzeugarten tabu.) Aber zwischen zu viel Spielzeug und gar kein Spielzeug, da muss es doch irgendwo noch einen Weg geben, wenn man irgendeine Zuneigung zu Kindern empfindet, oder? Auch Kindesmissbrauch aus pädagogischer Überzeugung ist Kindesmissbrauch.

... na ja, in einer Welt, die seifenfreie Seifen, politikfreie Politik („Pragmatismus“), alkoholfreies Bier, zuckerfreie Cola und laktosefreie Butter liebt, warum nicht? Wer sich selbst so sehr hasst, der quält auch seine Kinder.

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Muss gestehen, dass ich auch mit den Augen rollte, als ich das erste Mal von solchen Konzepten hörte. Im Dunstkreis der Waldorf-Pädagogik ist dergleichen wohl durchaus üblich.

Hätte ich meiner Tochter auch nicht zugemutet, aber so hoch wie Kindesmisshandlung würde ich das dann doch nicht hängen wollen. Bekannte von uns haben das in ihrem selbstgegründeten Kita-Projekt auch so gehandhabt, und ich hatte nicht den Eindruck, als ob deren Tochter ein Trauma davongetragen hätte, weil es dort nicht das übliche Spielzeug gab. Nun muss man vielleicht dazusagen, dass es sich um Prenzlberg-Eltern innerhalb eines ganz bestimmten Milieus handelt, in dem reformpädagogische Ansätze und ein gewisser alternativer Lebensstil eher der Normalfall sind. Innerhalb dieser Filterblase wird den Kindern vielleicht gar nicht so recht auffallen, was ihnen möglicherweise entgeht.

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Klar kann man die Überkommerzialisierung und die Überschwemmung der Kinder und Kinderzimmer mit Spielzeug kritisieren, aber ich teile Ihre Meinung: Das totale Verbot ist da wohl ein Schuss mit Kanonen auf Spatzen und unnötig.

Ich weiß nun heute nicht, wie es in Kitas aussieht, weil ich halt schon lange keine mehr von innen gesehen habe, aber ich kenne natürlich die überreichliche Auswahl an Spielzeug, die meinen Nichten und Neffen zur Verfügung steht (zuletzt in voller Pracht erlebt, als ich der Schwägerin beim Zusammenpacken für den Umzug half). Dass da längst nicht nur pädagogisch Wertvolles seinen Weg in die Hände der Kinder findet, ist klar. Dafür sorgen schon Großeltern und andere Verwandte, die Schminkkästchen für Siebenjährige schenken und nervig schnarrende Actionfiguren und was es sonst noch für Kram gibt. Da bin ich durchaus der Auffassung, dass so etwas in den Kindergärten nicht sein muss.

Aber das Spielzeug ganz zu verbannen ist Käse. In meinen Augen (ähnlich wie in denen von Herrn Mark) auch nicht unbedingt Kindesmissbrauch, aber letztlich in erster Linie wohl eine Orientierung an den Gedanken der Eltern und Erzieher zum Thema, nicht unbedingt an den Bedürfnissen der Kinder. Nicht ohne einen Hauch Nostalgie erinnere ich mich an meine eigene Kindheit und das versonnene, stundenlange Wühlen in großen Lego-Haufen. Einen Dachschaden habe ich davon nicht zurückbehalten.

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hehe, die spinnen, die "spielzeugfreien". schütten das kind mit dem bade aus, sozusagen. welch einen unterschied macht es, wenn man sich schießgewehr und barbiepuppe aus abfall selbst bastelt? oder irgendeinen waldorfwurzelgnom?
aber so spott ist billig. müsste man sich doch eigentlich besser mit der pädagogischen generallinie dieser leute befassen. was denn da wohl für nachbarschaften auffallen?

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Natürlich, das mit dem "Kindesmissbrauch" war Polemik (vielleicht nicht so angebracht, da es ja auch tatsächlichen Kindesmissbrauch gibt und man den Begriff nicht einfach nur der rhetorischen Wirkung wegen inflationieren sollte). Und wenn man polemisiert, dann gibt es - über den sicher wohlfeilen Spott hinaus - etwas, das einen anpiekst. Bei mir war es genau das, was Sie, Herr mark, mit dem Begriff "Filterblase" andeuten. Ich finde, Kinder gehören der Welt, nicht den Eltern. Natürlich sollten die Eltern den Kindern eine Ideologie mitgeben (und dabei sind reformpädagogische Ideologien sicher nicht die schlechtesten), aber sie sollten sie nicht in diesen Ideologien einsperren. Wenn die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen, dann können wir es nicht ändern - zumindest und vor allem können wir unsere Kinder nicht davor bewahren. Besser wäre es, sie zu befähigen, selbst bewusst mit diesem Unschönen der Welt umgehen zu lernen. Ja, ich weiß, das ist jetzt sehr ideal gesprochen.
... vielleicht weil ich selbst unter solchen Eltern aufgewachsen bin, die verzweifelt versuchten, ihre Kinder vor der nicht ungefährlichen Realität der DDR zu bewahren und ihnen gleichzeitig eine irgendwie konservierte, rein theoretische marxistische Ideologie mitzugeben. Absurd. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Aber das ist eine andere Geschichte.

Erzählen Sie die auch einmal?

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Ich finde, Kinder gehören der Welt, nicht den Eltern.

Das ist ein schöner Satz, der mir für die kommenden Tage sicher noch weiteren Denkstoff liefert. Wir sind keine Anhänger einer restriktiven Bewahrpädagogik, unsere knapp 9jährige Tochter ist schon dreimal alleine nach London geflogen, aber einen Fernseher würde ich ihr deswegen trotzdem nicht ins Kinderzimmer stellen, nur um auf dem Weg mehr "mehr Welt" reinzulassen.

Allein schon die Schule mit Kindern aus zum Teil sehr unterschiedlichen Verhältnissen führt mademoiselle793 immer wieder vor Augen, dass unsere Art und Weise, Dinge zu handhaben, nicht die einzig denkbare ist. Das gilt es eben auszuhalten (und zu verargumentieren), dass es da Kids gibt, deren unterhaltungs- und kommunikationselektronische Grundausstattung meinen eigenen Gerätepark weit überflügelt oder dass manche Mitschüler nur irgendwelche Milchschnitten oder Happy Hippo Snacks und irgendwelche Zuckerplörren als Verpflegung mitbekommen, andere kein Schweinefleisch essen dürfen undundund. Klar wäre es bequemer für uns, wenn da alle so ticken würden wie wir und auch in etwa die gleichen Regeln und Ernährungspläne aufstellten. Aber das gilt es eben auszuhalten, und mit Unterschiedlichkeit klarzukommen gehört zu den impliziten Lerninhalten prominent dazu, wie ich meine (für Eltern und Kinder gleichermaßen).

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"zu verargumentieren" - ja, ich erinnere mich an das schöne Gespräch über den Propheten und die Sommerzeit. Das gehört dazu. Bisschen neidisch bin ich, dass Ihre Tochter schon allein nach London fliegt. So viel Welt traut sich mein Sohn noch nicht.

@arboretum: demnächst gern (muss erstmal überlegen, wie ich schön eine Geschichte draus mache).

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Die glücklichen Umstände, die Töchterlein so zeitig flügge gemacht haben, waren auch sehr speziell. Wenn man mir das ein halbes Jahr vorher gesagt hätte, dass die Kleine in sechs Monaten alleine in eine Flugzeug steigt, hätte ich gesagt, tock, tock! ;-)

Im Moment haben wir grad die Debatte über Inklusion, sie findet es doof, dass mehrere Mitschüler mit irgendwelchen Störungen das Lerntempo der Klasse verlangsamen und deren erratisches Fehlverhalten oft auch pauschal der Klasse angelastet wird. In den Parallelklassen seien weniger Problemkinder (was ich ehrlich gesagt nicht weiß, ob das stimmt), aber das ist ihr gar nicht so einfach zu vermitteln, warum es im Sinne der Gemeinschaft wahrscheinlich doch besser ist, zu versuchen, diese Schüler irgendwie auch mitzunehmen.

Gegen Ende wurde es dann noch ein bisschen albern, da fragte sie, ob man heute eigentlich noch "Behindertenparkplatz" sagen dürfe oder ob das jetzt "Parkplatz mit erhöhtem Förderbedarf" hieße. Von wem sie sowas nur hat. ;-))

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Na, in der Beziehung ist meiner wieder gut dran: Er geht jetzt schon das vierte Jahr in eine sogenannte I-Klasse (für "Integration") und ist mit Kindern, die auch mal unerwartet beißen oder spucken, wohl vertraut.
Er hat dort viel gelernt in puncto Respekt und sozialem Verhalten, auch Sich-behaupten-Können sowie Provokationen und unguten Situationen nonchalant aus dem Wege gehen. Aber jetzt wirds auch langsam Zeit fürs Gymnasium.
Ärgerlicher ist im Moment (daher war ich gestern nicht am Rechner, sondern beim Elternabend) das Verhalten der Schulbehörde, die die Klassenlehrerin Anfang der 4. Klasse (also, wenn die berühmten "Empfehlungen" geschrieben werden) in Rente gehen lässt, eine Nachfolgerin aber erst zwei Wochen später in der Klasse auftauchen lässt und überdies die Mathelehrerin und zweite emotionale Vertrauensperson persönlich total verärgert und dann zwecks Konfliktvermeidung an eine andere Schule weglobt, so dass die jetzt auch noch verschwindet mitten im Schuljahr. So dass jetzt in der Klasse ein Chaos herrscht, das leicht vermeidbar gewesen wäre. Meine Frau hat als Elternvertreterin einen bösen Brief an die Behörde geschrieben, mein Sohn beginnt, alles egal, langweilig und blöd zu finden in der Schule. Bisschen früh, finde ich.

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waaaaas? jep, und in der schule müssen die dann ihre bücher selber schreiben oder was?! ;)

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Vermutlich nicht schreiben, sondern frei gestalten. Jedenfalls kenne ich ein mit meinem Sohn gleichaltriges Walddorfkind, das wunderbare Bilder malt, aber noch nicht richtig lesen kann - während meiner nur Strichmänneken und Schlacht-Pläne kritzelt, aber schon den soundsovielten Harry Potter am Wickel hat.

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kein wunder, dass ihr Sohn grundschule langweilig findet. nur sagen sie ihm mal, dass grundschulpädagogen strichmänneken von über 5-jährigen anlass zu phantasien über entwicklungsverzögerungen, defizite und förderbedarfe geben (was natürlich albern ist).

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Noch ein Argument
Das hier wäre ja sogar ein Argument dafür, die Holzklötze tatsächlich selbst auszusägen. (Hinweis von meinem Freund T.)

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