Mittwoch, 24. Juli 2013
Die Reue der Unmündigen: „In jenen Tagen“ von Helmut Käutner
Vor über 20 Jahren sah ich „In jenen Tagen“ von Helmut Käutner und war begeistert. Später las ich, der Film sei sentimental und verharmlose die Nazi-Vergangenheit, mit der er sich beschäftigt. Ich war irritiert. Erst jetzt sah ich den Film wieder und stellte fest, dass die Wahrheit (meine Wahrheit von heute) irgendwo dazwischen liegt.
Der Film zeigt uns als Rahmenhandlung zwei Männer in der typischen Trümmerfilmlandschaft, die ein Auto ausschlachten. Einer von beiden, der als intellektuell Gekennzeichnete, kann kaum arbeiten, da er depressiv über die Bosheit der Menschen nachsinnt, angesichts der ihn umgebenden Landschaft kein ganz unsinniger Gedanke. Jetzt widerspricht ihm das Auto und erzählt in Episoden von guten Menschen, die ihm in den zwölf dunklen Jahren seit seiner Herstellung im Januar 1933 doch begegnet sind: eine schöne, in ihrer Naivität berührende und durch die neorealistische Einfachheit und Klarheit der filmischen Umsetzung äußerst wirksame Idee. Ich mag sie einfach, diese karge, herbe Kunst der späten vierziger Jahre: Wolfgang Borchert, den frühen Böll, die Trümmerfilme, diese kurze Zeitspanne des Minimalismus, bevor die Kunst wieder anspruchsvoll und arrogant wurde. Mir gefiel auch der Blickwinkel der Episoden: immer aus der Sicht argloser Untertanen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die sich wundern und gar nicht wahrhaben wollen, in was für einen Schlamassel sie da geraten sind. Halte ich für ziemlich realistisch.
Merkwürdig nur, dass gleich in drei der sieben Episoden Nazigegner als konkurrierende Liebhaber auftreten, denen die Kamera halb eifersüchtig, halb bewundernd folgt. Gleich in der ersten Episode wird der neue Wagen einer reichen Frau geschenkt, und die lässt sich damit auch kaufen von dem banal-fröhlichen Biedermann, der sie umgarnt. Doch dann tritt der Konkurrent auf, ein schroffer, unnahbarer Grübler, der schon auf der Flucht vor den Nazis ist, und die Frau entscheidet sich spontan, diesem doch zu folgen. Der nächste ist ein moderner Komponist, der eine Affäre mit der Frau seines Freundes hat, und als gleichzeitig rauskommt, dass er als „entartet“ verfolgt wird, verzeiht frau (nämlich die Tochter des Hauses) ihm die Eskapade. Endlich der Widerstandskämpfer, der verhaftet und „auf der Flucht erschossen" wird, wobei sich herausstellt, dass er im Begriff war, mit der Schwester seiner Frau, die seine Geliebte war, in die Schweiz zu fliehen. Auch ihm wird verziehen.
Täter treten in dem Film nicht auf, alle sind irgendwie gut, und Nazigegner zudem auch sexy (und natürlich männlich). Die Nazis sind unsichtbar, aber allgegenwärtig, eine anonyme, diffuse Bedrohung, und wir, aus deren Blickwinkel erzählt wird und die alles eigentlich nicht kapieren, wir ertragen das Leid als gerechte Strafe für unsere Doof- und Biederkeit. Dieser filmische Ansatz ist jetzt sicher nicht besonders mutig und aufklärerisch schon gar nicht. Aber er ist wahr und ehrlich: die Reue der Unmündigen.

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