Dienstag, 22. Mai 2012
Gespenster der Vergangenheit (Rezension zu „Alois Nebel“)
damals, 00:09h
In die seit längerem andauernde Phase der Wiederholungslektüre von Lieblingsbüchern – erst Pamuks „Schnee“, jetzt schon seit einigen Wochen „Ich“ von W. Hilbig – habe ich jetzt mal was Aktuelles eingeschoben, damit ich mich nicht ganz im Selbstreferentiellen verliere, eine Feuilleton-Anregung: "Alois Nebel“, ein „Graphic Novel“ von Jaroslav Rudiš und Jaromir 99.
Es geht um einen tschechischen Bahnbeamten, den die Geister der Vergangenheit heimsuchen – SS-Leute und Verwundete, Häftlinge und Vertriebene. Er wird in der Wendezeit entlassen und in der Psychiatrie entsorgt, trifft dort auf den Stummen, eine verdichtete Inkarnation dieser Vergangenheitsgespenster, und später auf dem Prager Hauptbahnhof – auch dort spukt es natürlich – die Klofrau Kvĕta. Am Ende treten die Autoren selbst auf den Plan und verschaffen ihrem Protagonisten ein Happy End.
Das ist eine wunderbare Geschichte, stimmig und doch geheimnisvoll, anspielungsreich und doch deutlich. Toll fand ich auch die holzschnittartigen Schwarz-Weiß-Bilder: wirkungsvoll, ja heftig, durch ihre starken Kontraste, doch kein bisschen pauschalisierend. Im Gegenteil: Da ich als Comic-Verächter im Lesen von Bildinformationen eher ungeübt bin, habe ich viele Anspielungen gar nicht sofort verstanden, musste öfter vor- und zurückblättern, blieb dabei wieder bei anderen eindrucksvollen Szenen hängen, versank völlig in der erzählerischen Überfülle der Geschichte – und war am Ende umso dankbarer, dass die Autoren mich sicher zu einer absolut sinnvollen Auflösung führten.
Eine Kleinigkeit nur im Nachhinein, die mir nicht so gefiel: Es geht ein bisschen machohaft zu, oder wenigstens kreist alles um die Konflikte der Männer untereinander. Frauen treten nur auf, sofern sie als Opfer, Ehefrau oder böse Mutter dramaturgisch benötigt werden. Nicht, dass die Männer jetzt besonders positiv geschildert wären – die meisten von ihnen sind Täter, Mitläufer, Opfer, Mörder oder Alkoholiker, manchmal sogar mehreres davon. Auch Gott ist ein Mann – er trägt das Auge Gottes auf seiner Baseballkappe – und alles andere als eine erhabene Figur, er hat eher etwas von einem Penner. Als positives Gegenbild dazu steht Alois da, der Vater wird, obwohl er – wie ich finde – schon etwas alt dafür ist.
Aber ich will mal nicht meckern: Die Geister der gewalttätigen patriarchalen Vergangenheit inklusive eines lächerlichen Gottvaters nicht zu leugnen, ihre Anwesenheit unter uns in der Gegenwart zu zeigen, ihnen einen braven, tumben, allerdings im Wahn hellsichtigen, wirklichen Vater als Positivbild gegenüberzusetzen – das ist schon gut so, wohltuend und sinnvoller als vieles, was heutzutage als Vergangenheitsbewältigung daherkommt. Noch besser wäre es natürlich etwas weniger biologistisch gewesen. Aber dazu braucht es wohl einen Gott, der weder Bart noch Baseballkappe trägt.
Es geht um einen tschechischen Bahnbeamten, den die Geister der Vergangenheit heimsuchen – SS-Leute und Verwundete, Häftlinge und Vertriebene. Er wird in der Wendezeit entlassen und in der Psychiatrie entsorgt, trifft dort auf den Stummen, eine verdichtete Inkarnation dieser Vergangenheitsgespenster, und später auf dem Prager Hauptbahnhof – auch dort spukt es natürlich – die Klofrau Kvĕta. Am Ende treten die Autoren selbst auf den Plan und verschaffen ihrem Protagonisten ein Happy End.
Das ist eine wunderbare Geschichte, stimmig und doch geheimnisvoll, anspielungsreich und doch deutlich. Toll fand ich auch die holzschnittartigen Schwarz-Weiß-Bilder: wirkungsvoll, ja heftig, durch ihre starken Kontraste, doch kein bisschen pauschalisierend. Im Gegenteil: Da ich als Comic-Verächter im Lesen von Bildinformationen eher ungeübt bin, habe ich viele Anspielungen gar nicht sofort verstanden, musste öfter vor- und zurückblättern, blieb dabei wieder bei anderen eindrucksvollen Szenen hängen, versank völlig in der erzählerischen Überfülle der Geschichte – und war am Ende umso dankbarer, dass die Autoren mich sicher zu einer absolut sinnvollen Auflösung führten.
Eine Kleinigkeit nur im Nachhinein, die mir nicht so gefiel: Es geht ein bisschen machohaft zu, oder wenigstens kreist alles um die Konflikte der Männer untereinander. Frauen treten nur auf, sofern sie als Opfer, Ehefrau oder böse Mutter dramaturgisch benötigt werden. Nicht, dass die Männer jetzt besonders positiv geschildert wären – die meisten von ihnen sind Täter, Mitläufer, Opfer, Mörder oder Alkoholiker, manchmal sogar mehreres davon. Auch Gott ist ein Mann – er trägt das Auge Gottes auf seiner Baseballkappe – und alles andere als eine erhabene Figur, er hat eher etwas von einem Penner. Als positives Gegenbild dazu steht Alois da, der Vater wird, obwohl er – wie ich finde – schon etwas alt dafür ist.
Aber ich will mal nicht meckern: Die Geister der gewalttätigen patriarchalen Vergangenheit inklusive eines lächerlichen Gottvaters nicht zu leugnen, ihre Anwesenheit unter uns in der Gegenwart zu zeigen, ihnen einen braven, tumben, allerdings im Wahn hellsichtigen, wirklichen Vater als Positivbild gegenüberzusetzen – das ist schon gut so, wohltuend und sinnvoller als vieles, was heutzutage als Vergangenheitsbewältigung daherkommt. Noch besser wäre es natürlich etwas weniger biologistisch gewesen. Aber dazu braucht es wohl einen Gott, der weder Bart noch Baseballkappe trägt.
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