Donnerstag, 26. Mai 2011
Aus gegebenem Anlass: Lesetipp Hans Fallada
damals, 22:33h
Beim Aufbau-Verlag ist eine „vollständige“ Ausgabe von „Jeder stirbt für sich allein“ erschienen. Das Beiwort verspricht so eine Art Directors-Cut-Atmosphäre, obwohl ich glaube, dass der Schein trügt. Aber das ist vermutlich noch gar nicht der „gegebene Anlass“. Vielmehr scheint es eine Neu-Übersetzung desselben Romans ins Englische zu sein, die zum Bestseller wurde und so dazu führte, dass man sich auch im deutschen Sprachraum Hans Falladas erinnert. Nun, auf diese Aufmerksamkeitswelle möchte ich aufspringen.
Meine letzte Fallada-Lektüre ist ein paar Jahre her. Auf dem Bücherflohmarkt der örtlichen Gemeinde fiel mir ein Taschenbuch mit kurzen Fallada-Erzählungen in die Hände. Und diese Texte waren großartig: einfach, aber intensiv erzählt, realititätsnah, nachdenklich machend. Ich habe dann die „Geschichten aus der Murkelei“ zu Gute-Nacht-Geschichten für meinen Sohn gemacht mit großem Erfolg und mir auch ein paar Fallada-Romane vorgenommen: zunächst einmal „Kleiner Mann, was nun?“, das ich schonmal als Jugendlicher gelesen hatte, dann „Bauern, Bonzen, Bomben“ (weil das meine Mutter immer empfiehlt) und endlich “Wir hatten mal ein Kind“. So richtig überzeugt hat mich keiner der Romane, so dass Nr. 4 meiner Liste, „Der Trinker“, ungelesen liegen blieb.
Aber alle drei Bücher waren nur so halb gut: In „Wir hatten mal ein Kind“, das ich als Ganzes gesehen etwas sentimental fand, gibt es viele wunderbare Einzelepisoden. In „Kleiner Mann, was nun?“ finde ich den Beginn, die pommersche Kleinstadt-Atmosphäre, sehr gut getroffen. Und in „Bauern, Bonzen, Bomben“ hat mich weniger das historisch sicher interessante Thema (eine Revolte von rechts) berührt (anders als Göbbels, der davon begeistert war), sondern viel mehr das alter ego des Autors, das sich als arme, aufrecht sich bemühende, aber moralisch etwas zweifelhafte Person durchs Leben müht und natürlich genau dort scheitert, wo sie glaubt, das große Los gezogen zu haben. Ab dem Moment, wo sie stirbt, hatte mir das Buch nichts mehr zu sagen.
Also, was ich toll finde an Fallada, das ist sein Grundthema: das Elend des kleinen Mannes, das gar nicht in seiner Armut besteht, sondern in der gemeinen Tatsache, dass seine moralische Standfestigkeit viel leichter in Versuchung gerät als die des saturierten Normalbürgers . Und dieses Thema lässt sich vermutlich viel intensiver in kleinen Skizzen darstellen als in großen Romanen. Lesen Sie mal „Länge der Leidenschaft“ (eine Geschichte über die Liebe einer jungen Frau zu einem Betrüger) oder „Schmuggler und Gendarm“ (über einen vitalen Ganoven und eine arme Wurst von einem Gendarmen).
Oder machen Sie`s wie ich: Lesen Sie eine Fallada-Biografie. Wenn es eine gute ist wie die hier, werden Sie gerührt sein. Falladas Leben hat Romanqualitäten, und er war selbst dieser immer wieder strauchelnde kleine Mann: Er kam von oben (sein Vater war Richter am Reichsgericht), fiel nach ganz unten (Schießerei, Drogen, Betrügereien und Gefängnis), rappelte sich einigermaßen auf (fand eine robuste Frau aus dem Arbeitermilieu und sogar einen wohlwollenden Lektor – Rowohlt), aber blieb zeitlebens versucht vom Bösen (glaubte z.B. , Goebbels überlisten zu können, was natürlich schief ging), konnte von den Drogen nicht lassen (vielleicht auch dadurch erwarb er sich die Verehrung Johannes R. Bechers, der ebenso wie Fallada durch Drogen aus seiner großbürgerlichen Existenz gestürzt war einst und Fallada an seinem Lebensende vor den Karren der sowjetischen Kulturpolitik spannte).
Merkwürdig, dass es nun gerade dieses, vom späteren DDR-Kulturminister Becher in Auftrag gegebene, Buch ist, das nun zum Besteller wird: „Jeder stirbt für sich allein“. Ich werd es nicht nochmal lesen. Fallada hat Wichtigeres zu sagen als getreuliche Nazi-Aufarbeitung. Ich probiere es demnächst mit dem „Trinker“, der schon zum Lesen auf meinem Nachttisch bereit liegt. Und ich werde Ihnen berichten, ob sich meine Hoffnung erfüllt, dass er es nun endlich ist, der lang gesuchte, richtig gute Fallada-Roman.
Meine letzte Fallada-Lektüre ist ein paar Jahre her. Auf dem Bücherflohmarkt der örtlichen Gemeinde fiel mir ein Taschenbuch mit kurzen Fallada-Erzählungen in die Hände. Und diese Texte waren großartig: einfach, aber intensiv erzählt, realititätsnah, nachdenklich machend. Ich habe dann die „Geschichten aus der Murkelei“ zu Gute-Nacht-Geschichten für meinen Sohn gemacht mit großem Erfolg und mir auch ein paar Fallada-Romane vorgenommen: zunächst einmal „Kleiner Mann, was nun?“, das ich schonmal als Jugendlicher gelesen hatte, dann „Bauern, Bonzen, Bomben“ (weil das meine Mutter immer empfiehlt) und endlich “Wir hatten mal ein Kind“. So richtig überzeugt hat mich keiner der Romane, so dass Nr. 4 meiner Liste, „Der Trinker“, ungelesen liegen blieb.
Aber alle drei Bücher waren nur so halb gut: In „Wir hatten mal ein Kind“, das ich als Ganzes gesehen etwas sentimental fand, gibt es viele wunderbare Einzelepisoden. In „Kleiner Mann, was nun?“ finde ich den Beginn, die pommersche Kleinstadt-Atmosphäre, sehr gut getroffen. Und in „Bauern, Bonzen, Bomben“ hat mich weniger das historisch sicher interessante Thema (eine Revolte von rechts) berührt (anders als Göbbels, der davon begeistert war), sondern viel mehr das alter ego des Autors, das sich als arme, aufrecht sich bemühende, aber moralisch etwas zweifelhafte Person durchs Leben müht und natürlich genau dort scheitert, wo sie glaubt, das große Los gezogen zu haben. Ab dem Moment, wo sie stirbt, hatte mir das Buch nichts mehr zu sagen.
Also, was ich toll finde an Fallada, das ist sein Grundthema: das Elend des kleinen Mannes, das gar nicht in seiner Armut besteht, sondern in der gemeinen Tatsache, dass seine moralische Standfestigkeit viel leichter in Versuchung gerät als die des saturierten Normalbürgers . Und dieses Thema lässt sich vermutlich viel intensiver in kleinen Skizzen darstellen als in großen Romanen. Lesen Sie mal „Länge der Leidenschaft“ (eine Geschichte über die Liebe einer jungen Frau zu einem Betrüger) oder „Schmuggler und Gendarm“ (über einen vitalen Ganoven und eine arme Wurst von einem Gendarmen).
Oder machen Sie`s wie ich: Lesen Sie eine Fallada-Biografie. Wenn es eine gute ist wie die hier, werden Sie gerührt sein. Falladas Leben hat Romanqualitäten, und er war selbst dieser immer wieder strauchelnde kleine Mann: Er kam von oben (sein Vater war Richter am Reichsgericht), fiel nach ganz unten (Schießerei, Drogen, Betrügereien und Gefängnis), rappelte sich einigermaßen auf (fand eine robuste Frau aus dem Arbeitermilieu und sogar einen wohlwollenden Lektor – Rowohlt), aber blieb zeitlebens versucht vom Bösen (glaubte z.B. , Goebbels überlisten zu können, was natürlich schief ging), konnte von den Drogen nicht lassen (vielleicht auch dadurch erwarb er sich die Verehrung Johannes R. Bechers, der ebenso wie Fallada durch Drogen aus seiner großbürgerlichen Existenz gestürzt war einst und Fallada an seinem Lebensende vor den Karren der sowjetischen Kulturpolitik spannte).
Merkwürdig, dass es nun gerade dieses, vom späteren DDR-Kulturminister Becher in Auftrag gegebene, Buch ist, das nun zum Besteller wird: „Jeder stirbt für sich allein“. Ich werd es nicht nochmal lesen. Fallada hat Wichtigeres zu sagen als getreuliche Nazi-Aufarbeitung. Ich probiere es demnächst mit dem „Trinker“, der schon zum Lesen auf meinem Nachttisch bereit liegt. Und ich werde Ihnen berichten, ob sich meine Hoffnung erfüllt, dass er es nun endlich ist, der lang gesuchte, richtig gute Fallada-Roman.
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damals,
Donnerstag, 1. September 2011, 01:12
Der Trinker
Da hat mich meine Ahnung nicht getrogen – „Der Trinker“ ist mein Fallada-Buch: Ein furioses erstes Drittel lässt den Leser den Absturz aus der Innenperspektive erleben. Schmerzlich treffend, wie sich hier jemand selbst belügt und – je mehr er sich selbst belügt – immer mehr die Orientierung verliert, was außerhalb seines nie ganz nüchternen Ichs eigentlich so abläuft. Notwendige Folge: noch mehr Enttäuschungen, noch mehr Suff, noch mehr Chaos und Zerstörungswut – bis zur Raserei. Dann die Lethargie der Gefängniszeit mit allen alltäglichen – Gemeinheiten an und unter den Gefangenen – ganz großartig geschildert, der Mann wusste, was er schreibt: wie hier die Orientierungslosigkeit und das Misstrauen weitergehen, teilweise sogar sehr berechtigt – bis der Ich-Erzähler in einer „Heil“-Anstalt endet, die irgendwo zwischen Sicherheitsverwahrung und Euthanasie angesiedelt ist. Und zum Schluss nochmal ein dramatischer Effekt, indem eine Retterfigur auftaucht, vom Trinker aber nicht als solche erkannt wird – und endlich die letze Enttäuschung, ein letzter Absturz in die Selbstaufgabe. Ein Buch, das mich keine Seite kalt gelassen hat.
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