Mittwoch, 5. Januar 2011
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (ein Feminismus-Bericht)
damals, 00:06h
Meine Schwiegermutter ist eine stille, schmale Frau von 80 Jahren, die Medikamente verabscheut, Umarmungen und herzliche Nähe meidet und normalerweise mit Fontane, Siegfried Lenz und einer Katze in ihrer altersgerechten Wohnung bleibt. Meine Frau hätte ja lieber eine richtige Mutter, aber mir ist sie gerade recht so. Diesmal war sie zu Weihnachten bei uns, eine sehr entspannte Angelegenheit, da wir meine harmoniesüchtigen Eltern auf das emotional weniger aufgeladene Silvester verschieben und einfach mit einem pflegeleichten Gast zu Hause bleiben konnten. Ich war schon am zweiten Weihnachtsfeiertag so ausgeschlafen, dass ich vor meiner Frau wach wurde und schonmal bei Deutschlandfunk in der Küche mit den Frühstücksvorbereitungen anfing.
Im Radio war von der heiligen Familie die Rede. Barbara Vinken, deren Beruf mit „Postfeministin“ angegeben wurde, lieferte eine spannende Kritik einer typisch deutschen, protestantischen Familienvorstellung, die der Frau das Körperliche als heilig, häuslich und moralisch zuweist, während der Mann ins feindliche Leben hinauszutreten hat. Das leuchtete mir gleich ein – ich kenne es gut aus meiner Kindheit: Meine Mutter war immer zu Hause und die einzige in der Familie, die immer sagte und sagen durfte, was sie dachte – denn sie vertrat ja die Moral (als wir Kinder aufgeregt und ängstlich aus der Schule kamen: „Breschnew ist gestorben!“, meinte sie nur: „Ach, ist die alte Ratte tot.“), während mein Vater als Berufstätiger und Angestellter immer tendenziell im Unrecht war, sobald er das Haus verließ. Wenn er abends zurückkam, besprach er mit meiner Mutter, ob und inwieweit sein Handeln als Direktor eines staatlichen Unternehmens moralisch vertretbar war. An dieser Konstellation war also nicht nur die DDR schuld, sondern auch der Protestantismus.
Also, dass dieses Familienmodell nervt, verstehe ich. Wie aber anders? Vinken empfahl, wie für eine deutsche Prostentantenhasserin üblich, die französische Alternative. Dort sind, erklärte sie, aus historischen Gründen Elemente der Adelskultur stärker ins moderne Selbstverständnis eingeflossen: die Vorstellung von der edlen Frau, die sich nicht übers Kinderkriegen, sondern über ihre Rolle als Herrin definiert, zu der eine intellektuelle Ausbildung und gesellschaftliches Handeln gehören – in heutiges Deutsch übersetzt: die Frau als Berufstätige, die Aufgaben der Kinderaufzucht minimiert und delegiert. („Ich bin eine Französin. Wir stillen nicht!“ erklärte mir vor Jahren eine Kollegin, als ich sie fragte, wie sie den Berufseinstieg so schnell nach der Geburt hingekriegt habe.) Die Frau also, die sich wie der Mann durch die Berufskarriere legitimiert. Allerdings ist diese Selbstdefinition nicht weniger protestantisch als die als heilige Mutter, wie die Interviewerin ganz richtig anmerkte.
Sie merken schon: Ich stehe dem Postfeminismus (schon das Wort ist schrecklich) von Barbara Vinken skeptisch gegenüber. Da scheint sich ein guter Grundimpuls (die Empörung über die Ungleichbehandlung von Frauen) ins Uneigentliche und Akademische zu verflüchtigen. Als ich im Internet nachblätterte, fiel mir wieder ein, dass ich schonmal eine Magisterarbeit bei Barbara Vinken lektoriert habe, eine ehrgeizige, sehr kluge, aber ziellose Arbeit über Kleist, bei der am Ende rauskam, dass die Marquise von O. an ihrer Vergewaltigung selber schuld war: Feminismus, der sich vor lauter Intellektualität in sein Gegenteil verkehrt. Natürlich kann man eine Professorin nicht für die Arbeiten ihrer Studenten verantwortlich machen. Aber es ist so ein Eindruck.
Mir fiel im Internet auch auf, dass Vinken nur die Nr. 2 gewesen war – vor ihr (da hatte ich das Radio noch gar nicht angehabt) war natürlich ein männlicher Professor interviewt worden, Albrecht Koschorke, ein ebenso kluger, akademischer, aber sehr defensiver Mensch. Nicht mal, als die Interviewerin den groben Fehler beging zu behaupten, das Patriarchat sei vorbei, widersprach er – sondern flocht nur sanft relativierende Äußerungen in die folgenden Antworten ein. Und zur Vorherrschaft des Mannes meinte er, nicht der Mann habe die Vorherrschaft, sondern nur der Mann, der sich perfekt ins patriarchalische System einfüge. Richtig.
Nur: Ist es nicht auffällig, wie sich die Protagonisten verhalten? Die Frau kämpferisch, in einer Hassliebe dem herrschenden patriarchalen Protestantismus verfallen (ihr Hass und ihre Wut sind die Eintrittskarte in dieses System) – der Mann dagegen defensiv, relativierend, abwartend (diese Defensive ist, wie er selber bekennt, seine Eintrittskarte als Mann).
Das sind seit den sechziger Jahren die eingeübten Geschlechterrollen: Zum familiären Weihnachtsprogramm gehörte auch „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Sie kennen es vielleicht: Aschenbrödel ist eine mädchenhafte Schönheit, eine adlige, ganz unfrauliche Erscheinung, die das Schönheitsideal meiner Generation geprägt hat. Als Mutter kann man sich dieses Aschenbrödel wahrlich nicht vorstellen, als Königin schon eher.
Ja, aber, lieber Prager Filmstudio, liebe Barbara Vinken – was sollen wir machen: Wir sind erwachsen geworden und keine Könige, stattdessen Väter und Mütter, die auf bürgerliche Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Verachtung von Körper und Fraulichkeit bringt uns wenig, am wenigsten bringt sie uns irgendeine Befreiung der Frau. Und wenn es um das revolutionäre Potential im Weiblichen geht – dann doch bitte nicht „Berufstätigkeit“ oder gleichberechtige Karriere. Sondern eher so wie mein Freund T. nach „Drei Haselnüsse ...“ bemerkte: „Saxana ist doch besser.“ Saxana, das Mädchen auf dem Besenstiel. Deren Naturell könnte auch im Berufsalltag nützlich sein.
Im Radio war von der heiligen Familie die Rede. Barbara Vinken, deren Beruf mit „Postfeministin“ angegeben wurde, lieferte eine spannende Kritik einer typisch deutschen, protestantischen Familienvorstellung, die der Frau das Körperliche als heilig, häuslich und moralisch zuweist, während der Mann ins feindliche Leben hinauszutreten hat. Das leuchtete mir gleich ein – ich kenne es gut aus meiner Kindheit: Meine Mutter war immer zu Hause und die einzige in der Familie, die immer sagte und sagen durfte, was sie dachte – denn sie vertrat ja die Moral (als wir Kinder aufgeregt und ängstlich aus der Schule kamen: „Breschnew ist gestorben!“, meinte sie nur: „Ach, ist die alte Ratte tot.“), während mein Vater als Berufstätiger und Angestellter immer tendenziell im Unrecht war, sobald er das Haus verließ. Wenn er abends zurückkam, besprach er mit meiner Mutter, ob und inwieweit sein Handeln als Direktor eines staatlichen Unternehmens moralisch vertretbar war. An dieser Konstellation war also nicht nur die DDR schuld, sondern auch der Protestantismus.
Also, dass dieses Familienmodell nervt, verstehe ich. Wie aber anders? Vinken empfahl, wie für eine deutsche Prostentantenhasserin üblich, die französische Alternative. Dort sind, erklärte sie, aus historischen Gründen Elemente der Adelskultur stärker ins moderne Selbstverständnis eingeflossen: die Vorstellung von der edlen Frau, die sich nicht übers Kinderkriegen, sondern über ihre Rolle als Herrin definiert, zu der eine intellektuelle Ausbildung und gesellschaftliches Handeln gehören – in heutiges Deutsch übersetzt: die Frau als Berufstätige, die Aufgaben der Kinderaufzucht minimiert und delegiert. („Ich bin eine Französin. Wir stillen nicht!“ erklärte mir vor Jahren eine Kollegin, als ich sie fragte, wie sie den Berufseinstieg so schnell nach der Geburt hingekriegt habe.) Die Frau also, die sich wie der Mann durch die Berufskarriere legitimiert. Allerdings ist diese Selbstdefinition nicht weniger protestantisch als die als heilige Mutter, wie die Interviewerin ganz richtig anmerkte.
Sie merken schon: Ich stehe dem Postfeminismus (schon das Wort ist schrecklich) von Barbara Vinken skeptisch gegenüber. Da scheint sich ein guter Grundimpuls (die Empörung über die Ungleichbehandlung von Frauen) ins Uneigentliche und Akademische zu verflüchtigen. Als ich im Internet nachblätterte, fiel mir wieder ein, dass ich schonmal eine Magisterarbeit bei Barbara Vinken lektoriert habe, eine ehrgeizige, sehr kluge, aber ziellose Arbeit über Kleist, bei der am Ende rauskam, dass die Marquise von O. an ihrer Vergewaltigung selber schuld war: Feminismus, der sich vor lauter Intellektualität in sein Gegenteil verkehrt. Natürlich kann man eine Professorin nicht für die Arbeiten ihrer Studenten verantwortlich machen. Aber es ist so ein Eindruck.
Mir fiel im Internet auch auf, dass Vinken nur die Nr. 2 gewesen war – vor ihr (da hatte ich das Radio noch gar nicht angehabt) war natürlich ein männlicher Professor interviewt worden, Albrecht Koschorke, ein ebenso kluger, akademischer, aber sehr defensiver Mensch. Nicht mal, als die Interviewerin den groben Fehler beging zu behaupten, das Patriarchat sei vorbei, widersprach er – sondern flocht nur sanft relativierende Äußerungen in die folgenden Antworten ein. Und zur Vorherrschaft des Mannes meinte er, nicht der Mann habe die Vorherrschaft, sondern nur der Mann, der sich perfekt ins patriarchalische System einfüge. Richtig.
Nur: Ist es nicht auffällig, wie sich die Protagonisten verhalten? Die Frau kämpferisch, in einer Hassliebe dem herrschenden patriarchalen Protestantismus verfallen (ihr Hass und ihre Wut sind die Eintrittskarte in dieses System) – der Mann dagegen defensiv, relativierend, abwartend (diese Defensive ist, wie er selber bekennt, seine Eintrittskarte als Mann).
Das sind seit den sechziger Jahren die eingeübten Geschlechterrollen: Zum familiären Weihnachtsprogramm gehörte auch „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Sie kennen es vielleicht: Aschenbrödel ist eine mädchenhafte Schönheit, eine adlige, ganz unfrauliche Erscheinung, die das Schönheitsideal meiner Generation geprägt hat. Als Mutter kann man sich dieses Aschenbrödel wahrlich nicht vorstellen, als Königin schon eher.
Ja, aber, lieber Prager Filmstudio, liebe Barbara Vinken – was sollen wir machen: Wir sind erwachsen geworden und keine Könige, stattdessen Väter und Mütter, die auf bürgerliche Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Verachtung von Körper und Fraulichkeit bringt uns wenig, am wenigsten bringt sie uns irgendeine Befreiung der Frau. Und wenn es um das revolutionäre Potential im Weiblichen geht – dann doch bitte nicht „Berufstätigkeit“ oder gleichberechtige Karriere. Sondern eher so wie mein Freund T. nach „Drei Haselnüsse ...“ bemerkte: „Saxana ist doch besser.“ Saxana, das Mädchen auf dem Besenstiel. Deren Naturell könnte auch im Berufsalltag nützlich sein.
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