Samstag, 7. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde
Der folgende Text ist ein Referat meiner Urlaubslektüre, „Magdalena“ von Jürgen Fuchs, einem Erfahrungsbericht über seine Zeit als Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Das Buch ist leider larmoyant, ungerecht und übertrieben, was die Formulierungen betrifft – kurz: kaum lesbar, für einen Wessi schon gar nicht. Entsprechend fand es bei seinem Erscheinen 1998 kaum Aufmerksamkeit, die überregionalen Zeitungen fühlten sich wohl zu Rezensionen verpflichtet, auch zu Mitgefühl, aber kaum zu Verständnis. Das ist schade. Ich finde nämlich, dass die Aussagen und Beobachtungen von Fuchs wissenswert und aufschlussreich sind (für alle Deutschen) – daher fasse ich diese hier zusammen und hoffe auch auf viele Leser für mein Exzerpt, das ich hier häppchenweise als Serie vorlege.

Zunächst zum Autor: Jürgen Fuchs stand seinem Land, der DDR, und dem Sozialismus in seiner Jugend nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Er besaß aber den Mut (oder die Naivität?) in den 70er Jahren in Jena ausgerechnet „Sozialpsychologie“ zu studieren. Das musste schief gehen, jedenfalls für einen ehrlichen und vorurteilsfreien Menschen wie ihn. Er begann mit dem Schreiben von sozial engagierter Lyrik, kam in Kontakt mit Pannach und Kunert (von der bald darauf verbotenen Renft-Combo), Bettina Wegener und Wolf Biermann und wurde deshalb kurz vor Abschluss seines Examens exmatrikuliert. Weitere Stationen: Untermieter bei Robert Havemann in Berlin, Inhaftierung, ein knappes Jahr später Ausbürgerung, dann Sozialarbeiter in Westberlin, Anfang der neunziger Jahre Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Von dieser letzten Station seiner Biografie (Fuchs starb 1999 an Krebs) handelt das Buch.
Das klingt zunächst mal banal und langweilig nach DDR-Bürgerrechtler. Ist aber alles andere als langweilig. Man vergegenwärtige sich die Situation: Da war die Wende und da waren die Stasi-Akten und die Frage: Was tun damit? Die einen wollten alles offenlegen und begannen schon damit und die anderen wollten alles vernichten und begannen auch schon damit. Die neue Ordnungsmacht, der westdeutsche Staat, entschied sich für einen Kompromiss. Eine Behörde wurde geschaffen und die Akten ihr unterstellt, die Bürger sollten dort aber auch Einsicht in sie betreffende unterlagen erhalten können. Chef musste natürlich ein unbelasteter Ossi werden (der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck), Stellvertreter und eigentlicher spiritus rector ein hoher Geheimdienstmann aus dem Westen (der spätere BND-Chef Hansjörg Geiger). Man entschied sich, in größerem Umfang auch alte Stasi-Mitarbeiter bei der neuen Behörde einzustellen – das erleichterte die bürokratischen Abläufe, da die Leute mit der Materie vertraut waren und unbefangen mit dem Material umgingen. Außerdem vermied man so eine unnötige soziale Unruhe unter Leuten, die sich jetzt plötzlich als Täter fühlen mussten. Man verfuhr also ähnlich wie auch 1945, als man mit dieser Methode – beide Augen zudrücken und schuldbewusste Täter flugs in diensteifrige Untertanen des neuen Systems umwandeln – schon gute Erfahrungen gemacht hatte, was die (Wieder-)Herstellung eines handlungsfähigen Staates betrifft.
Natürlich ist dies Vorgehen moralisch einigermaßen fragwürdig. Daher brauchte es irgendwie einen Ausgleich, um wiederum die Opfer zu beruhigen, vielleicht auch, um die resozialisierten Stasis ein bisschen in ihre Schranken zu verweisen. Gauck lud also einige prominente DDR-Bürgerrechtler zu einem Gespräch ein, warb um ihre Mitarbeit. Aber nur Jürgen Fuchs begeisterte sich für die Aufgabe, als Behördenmitarbeiter in den Sumpf zu tauchen. Die anderen lehnten dankend ab. Offensichtlich erleichtert bestärkten sie Fuchs, die Aufgabe allein zu übernehmen. So geschah es. Er wurde eingestellt.

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