Sonntag, 4. Oktober 2009
Zum Tag der deutschen Einheit: Ein Zitat zur Wiedervereinigung
„Immer wenn das Neue in die alternde Vorstellungswelt der Menschen bricht, glauben sie, oder doch ihre Dichter, eine Art Himmel habe sich der Erde zugeneigt und umfange sie lebend – gewillt, ein endlich glückliches Geschlecht zu zeugen. Durch die ganze Geschichte der Menschheit gehen diese hohen Zeiten, bei denen die meisten Menschen jedoch nur als Zufallsgäste mit an der Hochzeitstafel saßen, ganz unten, zumeist an den für Arme, Bettler und Landstreicher bereitgestellten Sondertischen auf der Tenne. Doch auch sie sprachen nachher stets gern von den köstlichen Gerichten in den kostbaren Gefäßen auf den festlichen Tafeln, obwohl sie weder davon gekostet noch sie auch nur gesehen hatten.“
An dieser Stelle unterbreche ich das Ehm-Welk-Zitat aus dem Jahr 1952, denn was nun folgt, ist aufklärerisch-sozialistischer Kitsch: „Sie erlagen der Kraft der Legende. Welche Kraft weiterzeugend dort am stärksten wirksam wird, wo von anderen Menschen die Kraft der Vernunft zur Zerstörung einer Legende entfaltet wird.“ Als wäre die Legende das Schlimme! Das ist sie nicht. Sie ist sicher nicht die Wahrheit. Aber ihre Zerstörung bringt ebenso wenig Wahrheit hervor, sondern nur eine neue Legende, und eine erbärmliche noch dazu. Wer glaubt, die „Zerstörung der Legende“ verhelfe zu Wahrheit und Vernunft, der lese ruhig weiter den SPIEGEL. Was wir brauchen, ist nicht Legendenlosigkeit, sondern Teilhabe an der Legendenbildung. Deshalb gibt es Blogs, und deshalb schreib ich. Und deshalb hab ich auch die Geschichte meines Jahrs 1989 an den NDR verschenkt, der sie demnächst hier (http://www.ndr.de/grenzenlos/) in Internet und Buch erzählen will.
Meine Frau fragte übrigens dieser Tage, wieso bei der Erinnerung an die Wiedervereinigung grundsätzlich über den Osten erzählt wird. Zu einer Vereinigung gehören doch eigentlich zwei.

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Und weshalb
erzählen Sie sie nicht (auch) hier? Oder haben Sie dem armen NDR die Exclusivrechte geschenkt?

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Natürlich nicht und vielen Dank für das Interesse: Ich greife die Idee auf. Demnächst in diesem Theater.
(und das, obwohl die Konkurrenz-Version beim NDR schon online ist)

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"pure vernunft darf niemals siegen"

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Meine Frau fragte übrigens dieser Tage, wieso bei der Erinnerung an die Wiedervereinigung grundsätzlich über den Osten erzählt wird. Zu einer Vereinigung gehören doch eigentlich zwei.

Nun ja, der Kollaps der DDR war ja wohl das entscheidendere Moment in der Geschichte. Gemessen daran herrschte im Westen doch auch nach den Wendejahren ein höheres Maß an Kontinuität. Wir haben in unserer Bürogemeinschaft im Spätjahr 89 eine "rübergemachte" Halbtags-Sekretärin eingestellt, die im Sommer vor dem Mauerfall noch mit Mann und Kind geflohen war, das wars auch schon, ansonsten haben wir (meine Familie, meine Freundin, meine kleine Bürogemeinschaft, die ab 1990 als kleine GmbH firmierte) größtenteils weitergemacht wie vor dem Mauerfall. Klar haben wir uns auch Gedanken gemacht, was das nun alles heißt, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, aber große praktische Auswirkungen hatte das ganze erst mal überhaupt nicht, insofern gibt es da auch nicht viel zu erzählen, Und ich könnte mir vorstellen, dass andere im Westen das ähnlich erlebt/empfunden haben.

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... was ja der Beweis dafür ist, dass es eben doch keine Vereinigung war, sondern ein Beitritt (nach Artikel 23, der eigentlich für das Saarland und die polnischen Ostegebiete vorgesehen war). Schade (aber da können Sie nix für).

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Sicher nicht,
und ich denke, der Westen hat enorme Chancen verpasst, dazuzulernen und die Dinge der DDR in unser System zu übernehmen, die einigermaßen funktioniert haben. So sehr mich der Zuwachs an persönlicher Freiheit für die Menschen drüben gefreut hat, hatte ich gleichzeitig die Sorge, dass der Brocken doch zu groß ist als dass der Westen ihn schlucken könnte, ohne selber Schaden zu nehmen. Zum anderen ahnte ich, dass es dem Kapitalismus (den ich im Grunde eigentlich immer mit Einschränkungen bejaht hatte) nicht gut tun würde, wenn die Systemkonkurrenz komplett wegbricht.

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