Donnerstag, 3. Juli 2008
Aufarbeitung mentaler Defizite
Als ich Kind war, wohnte ich in Potsdam und der Heilige See lag keine 200m zu unserm Zuhause entfernt. Natürlich gingen wir im Sommer baden.
Wir wohnten auf der Parkseite des Sees und hatten die Wahl: entweder verbotenerweise einfach innerhalb des Parks ins Wasser zu gehen – dann aber Vorsicht vor der „Parkeule“ und die Sachen möglichst im Gebüsch versteckt – oder die Benutzung der öffentlichen Badestelle am Parkausgang, wo es kein Gras gab, stattdessen pubertierende Jugendliche, vor denen man natürlich Angst hatte.
Die jährlich zu absolvierende Mutprobe bestand darin, einmal über den See zu schwimmen. Weg von den Jugendlichen, über den weiten, tiefen See. Am andern Ufer gab es Wassergrundstücke mit Bootsstegen, auf denen man sich vor dem Rückweg stolz und frierend ausruhen konnte. Mutprobe übrigens nicht nur wegen der Entfernung, sondern auch weil der See stank. Wasserschlucken machte keinen Spaß.
Später kam ich dann selber in die Pubertät, was bis Mitte Zwanzig andauerte und meinen Aktionsradius erweiterte: Ich habe dann in vielen branden- und mecklenburgischen Seen gebadet, und überall traf ich wieder auf dieselben zwei Probleme: die Jugendlichen lärmten und die Seen stanken.
Dann kam das Jahr 1989 und ich wurde erwachsen. Ich ging nach Westdeutschland – Günter Jauch und seinesgleichen kauften sich Villen am Heiligen See.
Jetzt wohne ich in Hamburg, im biederen Bahrenfeld, und radle jeden Morgen an der einen Seite in die reichen Viertel an der Alster rein und an der anderen Seite wieder raus. Nachmittags den gleichen Weg wieder zurück, und wenn ich Zeit und Muße hab, nehm den Weg an der schönen Aussicht - nein, natürlich französisch, wie mans für vornehm hielt, als die Straße bebaut wurde: an der Bellevue entlang, der zwei Minuten länger dauert.
Und da passierte es, gestern, als ich an den Joggern und Seglern vorbeifuhr: Der vertraute Geruch zog mir wieder in die Nase – die Alster stank, nicht anders als eben ein x-beliebiger Binnensee in der deutschen Provinz stinkt.
Und zu Hause – Kinderlärm: Mein Sohn war mit den „großen Jungs“ unten im Vorgarten der Nachbarn unterwegs. Nun sind die zwischen vier und zehn und pubertieren noch lange nicht. Aber unsere Nachbarn – sie Hippie und er Albaner – verwandeln jetzt schon ihren Vorgarten in ein lautes Paradies: mit Plantschbecken, Grill und Kicker, ungeachtet der Straßenkreuzung, von der aus ihnen das ganze Viertel zuguckt. Und die Haustür ist seit Wochen tagsüber nicht mehr abgeschlossen. Dass manchmal Fahrräder geklaut werden, nun, damit muss man leben.
Also, wenn das so ist, wenn die Alster stinkt und Bahrenfeld lebt, dann soll mein Kleiner in die Pubertät kommen und die Nachbarjungen auch: Ich freu mich drauf.

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Was für ein wunderschöner und bejahender Beitrag. Der Heilige See stinkt übrigens zurzeit kein Bisschen – ich war erst letzte Woche dort und hab mit die Jauch und Joop-Villen aus der Ferne angesehen - und auch die anderen brandenburgischen See-Juwelen strotzen vor guter Wasserqualität (was sich bei fortschreitendem Sommer ändern dürfte), aber die Teenies lärmen auch heute noch nach bestem Können ;-). Alles wird besser (nichts wird gut ;-)).
Schöne Grüße

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Badeseen konnte man in letzter Zeit ja wirklich gut gebrauchen...
Der Uni-See hierzulande war übrigens verhältnismäßig sauber - statt pubertierender Teenager traf man allerdings eher zu viele Senioren an (jedenfalls für meinen Geschmack).

Zwischendurch tat´s dann auch das heimische "Ronululu" - jedenfalls besser als das Horner Bad, das ich doch sehr "old fashioned" vorfand (wenngleich besser besucht).

Hoffentlich war´s das nun nicht schon mit dem Sommer - frei nach dem Motto: die Semesterferien beginnen, der Sommer hört auf.

Liebe Grüße,
HRW

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I was so much older then I'm younger than that now
Vielen Dank für die freundlichen Kommentare. Vor allem freut mich, dass Lady Woodstock also am Heiligen See wandelt. Genießen Sie die Schönheit des Ortes! Solange es diese Orte gibt und diese Wasser, da kann man sich immer wieder aus der Depression herausschreiben ans Sommerlicht. Und ich war glücklich, dass Sie das honorieren.
Was allerdings die Senioren anbetrifft, lieber Haruwa, da sollten wir nicht die Nase rümpfen – sie werden uns bald näher sein als die Teenies. Dennoch kann ich verstehen, dass du das Horner Bad in Bremen „old fashioned“ findest: Man kann nirgends so altmodisch jung sein wie in Bremen, das war schon so, als der Sänger von „Element of Crime“ noch mit Frank Lehmann durchs Viertel stiefelte.
Also Gott sei Dank, dass wir nicht mehr jung sind. Und jetzt, da wir keine Lead-Sänger geworden sind und auch keine Professoren und unsere Texte weder bei Eichborn noch im roten UTB-Cover erscheinen, so hab ich doch Lust „schön“ zu schreiben – warum nicht hier im Blog?

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