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Donnerstag, 3. Mai 2007
Armeezeit, Teil 11
damals, 23:30h
Am Ort der Übung angekommen, wurden große Zelte errichtet, eine Gulaschkanone aufgestellt und ein großes Loch für die Latrine gebuddelt. Vor der Kälte schützte wiederum ein kleiner Ofen, der die Nacht über von einem Soldaten in Betrieb gehalten wurde. Am Tage waren wir mit den Kanonen beschäftigt, aber da scharf geschossen wurde, musste alles absolut sicher vor sich gehen, d.h. vorsichtig, langsam, ohne Hektik - und mit ewigen Wartezeiten in der zaghaften Märzsonne, bis ein verantwortlicher Offizier alles ordnungsgemäß kontrolliert hatte.
Abends wurde gesoffen. Es dauerte Tage, bis mir klar wurde, wo der Schnaps herkam und das Bier, das kanisterweise in den Zelten auftauchte. Offenbar gab es in dem nur einen Kilometer entfernten Dorf eine Kneipe, die an der Hintertür gute Geschäfte machte. Gerade eben sei Hasi losgegangen, um Nachschub zu holen, verriet man mir. Die Nachricht kränkte mich etwas, denn sie bewies mir, dass ich geträumt hatte - und einen üblichen Ausschlupf in die Freiheit übersehen. Ich ging sofort los, um meinem Kumpel zu folgen. Der Weg war nicht zu verfehlen, die Nacht sternklar und kalt. Einmal zwang ein entgegenkommender Geländewagen mich kurzzeitig zum Verstecken; aber davon abgesehen verlief mein Gang ganz ungestört. Natürlich war Hasi längst nicht mehr an der Kneipe. Ich traf nur einen angetrunkenen fremden Offizier, der sich hier ebenfalls versorgte - und zurück im Zeltlager einen aufgeregten Leutnant, der mein Verschwinden bemerkt hatte. Ich erzählte ihm etwas von seelischen Nöten und einer einsamen halben Stunde am nahen Elbufer. Zum Glück befriedigte ihn die Antwort. Ich wurde mit der Mahnung entlassen, mich künftig ordnungsgemäß abzumelden - und natürlich mich im Falle neuer seelischer Krisen vertrauensvoll an meine Vorgesetzten zu wenden. Zurück im Zelt, schlug mir Fröhlichkeit entgegen. Man hatte zugehört und gelacht. „Nimm erst mal`n Schluck Tee!" rief mir Hasi zu und streckte mir die schnapsgefüllte Feldflasche entgegen.
Abends wurde gesoffen. Es dauerte Tage, bis mir klar wurde, wo der Schnaps herkam und das Bier, das kanisterweise in den Zelten auftauchte. Offenbar gab es in dem nur einen Kilometer entfernten Dorf eine Kneipe, die an der Hintertür gute Geschäfte machte. Gerade eben sei Hasi losgegangen, um Nachschub zu holen, verriet man mir. Die Nachricht kränkte mich etwas, denn sie bewies mir, dass ich geträumt hatte - und einen üblichen Ausschlupf in die Freiheit übersehen. Ich ging sofort los, um meinem Kumpel zu folgen. Der Weg war nicht zu verfehlen, die Nacht sternklar und kalt. Einmal zwang ein entgegenkommender Geländewagen mich kurzzeitig zum Verstecken; aber davon abgesehen verlief mein Gang ganz ungestört. Natürlich war Hasi längst nicht mehr an der Kneipe. Ich traf nur einen angetrunkenen fremden Offizier, der sich hier ebenfalls versorgte - und zurück im Zeltlager einen aufgeregten Leutnant, der mein Verschwinden bemerkt hatte. Ich erzählte ihm etwas von seelischen Nöten und einer einsamen halben Stunde am nahen Elbufer. Zum Glück befriedigte ihn die Antwort. Ich wurde mit der Mahnung entlassen, mich künftig ordnungsgemäß abzumelden - und natürlich mich im Falle neuer seelischer Krisen vertrauensvoll an meine Vorgesetzten zu wenden. Zurück im Zelt, schlug mir Fröhlichkeit entgegen. Man hatte zugehört und gelacht. „Nimm erst mal`n Schluck Tee!" rief mir Hasi zu und streckte mir die schnapsgefüllte Feldflasche entgegen.
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Sonntag, 29. April 2007
Armeezeit, Teil 10
damals, 23:54h
Gleich am ersten Tag nach der Rückkehr in die Kaserne, wenige Stunden nach dem offiziellen Ende des Urlaub in der Sonntagnacht um 24 Uhr, sollte unsere Einheit für eine Woche auf ein Übungsgelände bei Rathenow fahren. Die Aktion begann - wie alle größeren oder kleineren Übungsfahrten - mit einem Alarm, der kurz vor dem üblichen Weckruf um 6 Uhr ausgelöst wurde. Man muss sich das nicht so schlimm vorstellen, wie es klingt, immerhin wussten wir von dem Alarm, hatten unsere Sachen schon bereitgelegt und konnten, als der Pfiff ertönte, trotz Übermüdung die geforderten Zeiten einhalten - 4 Minuten, um mit vollständiger Ausrüstung an der Waffenkammer zu erscheinen, 15 Minuten bis zu den Fahrzeugen beim Wagenpark. Ein bisschen Angst hatte ich nur wegen Michael, unserem Lastwagenfahrer: Ich hatte ihn am Kasernentor getroffen, als ich kurz vor Mitternacht eintraf, und er war vollkommen betrunken gewesen. Aber er fuhr millimetergenau rückwärts, bis die Kanone in die Anhängerkupplung einrastete, die wir anderen hielten, genauer als bei den Übungen vorher, wir konnten gar nicht überrollt werden.
Und als die Kanone daran hing und wir auf der Ladefläche saßen, begann das lange Warten. Erst gegen Mittag verließen wir die Kaserne. Kurz darauf trafen wir an der Verladerampe ein, und auch hier dauerte es wieder Stunden, bis alles - Fahrzeuge, Kanonen, Mannschaften - ordnungsgemäß auf die Eisenbahn verladen war. Das Ganze hatte etwas von Rucksackurlaub. Meist stand der Zug irgendwo im Gelände und wartete. Wir lagerten im Waggon auf den Holzpritschen, löffelten das kalte, geschmacksneutrale Dosenfutter, das reichlich vorhanden war und erhitzten unsern Tee am Ofen in der Wagenmitte. Zum Austreten oder wenn man mal allein sein wollte, gab es das Brachland am Bahndamm. Man musste keine Angst haben zurückzubleiben. Die Pfiffe und das Geschrei, die die Weiterfahrt ankündigten, konnte man nicht überhören.
Und als die Kanone daran hing und wir auf der Ladefläche saßen, begann das lange Warten. Erst gegen Mittag verließen wir die Kaserne. Kurz darauf trafen wir an der Verladerampe ein, und auch hier dauerte es wieder Stunden, bis alles - Fahrzeuge, Kanonen, Mannschaften - ordnungsgemäß auf die Eisenbahn verladen war. Das Ganze hatte etwas von Rucksackurlaub. Meist stand der Zug irgendwo im Gelände und wartete. Wir lagerten im Waggon auf den Holzpritschen, löffelten das kalte, geschmacksneutrale Dosenfutter, das reichlich vorhanden war und erhitzten unsern Tee am Ofen in der Wagenmitte. Zum Austreten oder wenn man mal allein sein wollte, gab es das Brachland am Bahndamm. Man musste keine Angst haben zurückzubleiben. Die Pfiffe und das Geschrei, die die Weiterfahrt ankündigten, konnte man nicht überhören.
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Samstag, 28. April 2007
Armeezeit, Teil 9
damals, 23:43h
Im Januar stellte ich mir selbst ein Programm auf für das neue Jahr. Ich hatte mich jetzt eingelebt - so weit, so gut - jetzt wollte ich auch wieder näher an mich denken; ich suchte einen Anknüpfungspunkt an die Zeit vorher, als Schüler, zu Hause, als denkender Mensch. Ich ließ mir Bücher mitbringen von zu Hause, sogar ein bisschen Latein wollte ich wiederholen – und ich wollte auch wieder was schreiben. Soldat war ich jetzt, manchmal hatte ich Freizeit, und in der wollte ich sein wie früher, ein bisschen wenigstens. Komisch, dass das nicht gelang. An Büchern las ich vorzugsweise über den Krieg: Barbusse "Das Feuer", Remarque "Im Westen nichts Neues" und einen dokumentarischen Roman über die militärischen Aktionen Fidel Castros. Wenn ich schreiben wollte, richtig literarisch schreiben, gelang es mir nur entsetzlich sentimental. Das einzige, was funktionierte, war eine kleine Sammlung über den Alltag hier. Zuhause, das Zuhause meines einsamen Schreibtisches, die Gedichtbände, das Tagebuch, all das fiel mir jetzt wieder ein, schmerzhaft ein, aber ich bekam es nicht zu fassen.
Ende Februar gab es endlich Urlaub. Alle Soldaten der Einheit durften zehn Tage nach Hause. Ich fuhr zu den Eltern, sie waren sanft und gut zu mir, das Essen schmeckte märchenhaft. Einen Tag fuhr ich nach Dresden, um mir eine Edvard-Munch-Ausstellung anzusehen und mich mit einer Freundin zu treffen. Ihre Gefühlsseligkeit befremdete mich. Wieder zu Hause, an einem faulenzerischen Vormittag vorm Bücherregal, traf ich auf ein Rilke-Gedicht mit dem Titel „Der Auszug des verlorenen Sohnes": „Nun fortzugehn von alledem Verworrenen, das unser ist und uns doch nicht gehört ..." Diese Begegnung war das einzige, was mich bewegte.
Ende Februar gab es endlich Urlaub. Alle Soldaten der Einheit durften zehn Tage nach Hause. Ich fuhr zu den Eltern, sie waren sanft und gut zu mir, das Essen schmeckte märchenhaft. Einen Tag fuhr ich nach Dresden, um mir eine Edvard-Munch-Ausstellung anzusehen und mich mit einer Freundin zu treffen. Ihre Gefühlsseligkeit befremdete mich. Wieder zu Hause, an einem faulenzerischen Vormittag vorm Bücherregal, traf ich auf ein Rilke-Gedicht mit dem Titel „Der Auszug des verlorenen Sohnes": „Nun fortzugehn von alledem Verworrenen, das unser ist und uns doch nicht gehört ..." Diese Begegnung war das einzige, was mich bewegte.
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Freitag, 27. April 2007
Armeezeit, Teil 8
damals, 20:26h
Um zehn Minuten vor Zwölf hielt ich es nicht mehr aus. Ich wagte es, die Räume unserer Einheit zu verlassen. Und tatsächlich gab es unten, im Fernsehraum des Stabs, eine wirkliche Silvesterfeier. Auch war ich nicht, wie ich gedacht hatte, der einzige „Glatte" hier unten - drei meiner Kameraden waren klüger gewesen und schon länger ins fröhliche Geschehen integriert. Und offenbar fand das auch der diensthabende Stabsoffizier ganz in der Ordnung. Ein Stab, das wurde mir sofort klar, war nicht nur der Ort, wo stellvertretend für das ganze Fußvolk gedacht, geschrieben und gerechnet wurde - sondern auch gefeiert. Wo man auch in Uniform ein Mensch blieb. Ich kam ins Gespräch mit einem zukünftigen Medizinstudenten, einem Menschen, dem man den Abiturienten ansah: seine Uniform wirkte wie eine etwas kindische, nicht sehr echte Verkleidung, die sein unsoldatisches Wesen gar nicht ernsthaft verdecken sollte. Dass er als Schreiber hier unten im Stab arbeitete, war logisch. Wenn so einer überhaupt in einer Kaserne denkbar war, dann hier. Es ehrte mich, dass er, der bald entlassen werden sollte, erwog, mich zu seinem Nachfolger zu machen. Aber seine Frage nach guten Schreibmaschine-Fähigkeiten verneinte ich wahrheitsgemäß. Darauf zog er sein Angebot zurück.
Aus dem Fernseher, der einzigen Licht- und dominierenden Tonquelle im Fernsehraum ertönte jetzt der Countdown zum Jahresende. Alle grölten mit, mit möglichst betrunkener Stimme. Danach gab es Umarmungen, Hochrufe auf den bevorstehenden Entlassungstermin und immer wieder bedauernde Worte für uns Glatte. Offenbar war unsere Anwesenheit als Garant der Fröhlichkeit unbedingt nötig. Ich konterte, indem ich mutig auf den diensthabenden Hauptmann zuschritt und ihm zum Neuen Jahr gratulierte. Der reagierte jovial. Die Umstehenden lachten. Silvester war gerettet.
Aus dem Fernseher, der einzigen Licht- und dominierenden Tonquelle im Fernsehraum ertönte jetzt der Countdown zum Jahresende. Alle grölten mit, mit möglichst betrunkener Stimme. Danach gab es Umarmungen, Hochrufe auf den bevorstehenden Entlassungstermin und immer wieder bedauernde Worte für uns Glatte. Offenbar war unsere Anwesenheit als Garant der Fröhlichkeit unbedingt nötig. Ich konterte, indem ich mutig auf den diensthabenden Hauptmann zuschritt und ihm zum Neuen Jahr gratulierte. Der reagierte jovial. Die Umstehenden lachten. Silvester war gerettet.
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Donnerstag, 26. April 2007
Armeezeit, Teil 7
damals, 18:52h
So kam Weihnachten heran. Mich und einige andere hatte man schon in der Adventszeit in den Urlaub geschickt, damit wir zu den Feiertagen wieder zurück waren und die anderen fahren konnten. Mir war das gleich, Weihnachten zu Hause konnte mir so wenig geben wie der Urlaub im frühen Dezember. Ich war Soldat. Zu Hause, bei meinen Eltern, meinen Geschwistern verstand niemand meine Erlebnisse, noch weniger als ich selbst. Meine Urlaubstage vergingen, auch wenn ich es mir nicht eingestand, mit dem Warten auf die Rückkehr. In der Kaserne hatte man Weihnachten zwar auch keine Beschäftigung - man lag einfach auf dem Bett herum, hörte kuchenessend Radio und wartete, dass der Tag verging - aber man war, wo man hingehörte. Und es tat gut, hier, am Ort der Hetze und des Geschreis, einmal Ruhe zu erleben, für Stunden und halbe Tage entbunden zu sein von uniformierten Dienstpflichten. Ja, wenn das Essengehen nicht gewesen wäre und das Aufstehen, die mit Trillerpfeife, „Frühsport" und „Marschordnung" den Alltag in Erinnerung riefen, hätte man von Ferientagen reden können. Als danach die Urlauber wiederkamen und uns bedauern wollten, um Erlebnisse aus der Freiheit zum besten geben zu können, winkten wir ab.
Dann fuhr die zweite Gruppe, zu Silvester. Ich gehörte zu den wenigen, die zum zweiten Mal dablieben und als schon Feiertagserfahrene in die erneute Freizeitphase gingen. Als am Silvesterabend um zehn Uhr abends wie jeden Tag der „Nachtruhe!"- und „Licht-aus!"-Pfiff ertönte, hielt ich mich nicht an diesen Befehl. Aber auch unter den verbissen Aufbleibenden fühlte ich mich nicht wohl - es wurde zu wenig geredet, zu falsch gelacht, wir waren wohl wach, aber Silvester war das nicht.
Dann fuhr die zweite Gruppe, zu Silvester. Ich gehörte zu den wenigen, die zum zweiten Mal dablieben und als schon Feiertagserfahrene in die erneute Freizeitphase gingen. Als am Silvesterabend um zehn Uhr abends wie jeden Tag der „Nachtruhe!"- und „Licht-aus!"-Pfiff ertönte, hielt ich mich nicht an diesen Befehl. Aber auch unter den verbissen Aufbleibenden fühlte ich mich nicht wohl - es wurde zu wenig geredet, zu falsch gelacht, wir waren wohl wach, aber Silvester war das nicht.
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Mittwoch, 25. April 2007
Armeezeit, Teil 6
damals, 22:19h
Es hatte übrigens tatsächlich eine Postenkontrolle gegeben in dieser Nacht, nicht bei mir, sondern auf der anderen Seite, am hinteren Zaun des Regimentsgeländes. Soldat Kapling, einer von meinen Kameraden, der den Postenbereich drei hinter den Heizhäusern bewachen sollte, hatte in seiner Panik und da er von der Möglichkeit einer solchen Kontrolle noch nicht gehört hatte, einen Warnschuss abgefeuert und unseren Kompaniechef zu Tode erschreckt. Als sich diese Neuigkeit herumsprach am Morgen, gehörte ich schon zu den Wissenden, die lauthals lachten über den ängstlichen Anfänger.
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Mittwoch, 25. April 2007
Armeezeit, Teil 5
damals, 00:21h
Als ich dann zum ersten Mal allein auf meinem Posten stand, war es schon lange dunkel. Ich hatte 300 Meter Zaun zu bewachen, und zwar indem ich einen Trampelpfad auf- und nieder laufen musste, der sich zwischen dem stacheldrahtbekrönten Regimentszaun und dem Gebüsch an dessen Innenseite dahinschlängelte. Ich verfluchte meine Ausrüstung - den Stahlhelm, der aufs Hirn drückte, die Kalaschnikow, die an der Schulter, die Munitionstasche, die am Gürtel zerrte - denn ohne das hätte ich den Aufenthalt sicher genießen können. Es war so unglaublich still, der Spätherbstsabend bewölkt und milde. Durch den Zaun sah man auf die Straße, die in den Ort hinein führte, ihre Laternen funzelten eine angenehme Provinzstädtchenatmosphäre in den Abend. Mir war eigentlich auch klar, dass die in der Wachbelehrung beschworenen feindlichen Spione nicht auftauchen würden, die wir mit „Halt! Wer da?", mit Warn- und nötigenfalls auch gezielten Schüssen zu vertreiben hätten. Allerdings hatten die Älteren von gelegentlichen Kontrollen erzählt, mit denen unsere eigenen Offiziere unsere Wachsamkeit testen würden. Aber das sollte wohl eher selten vorkommen. Dennoch war es die Möglichkeit einer solchen Kontrolle, die mich nicht wagen ließ, den Helm abzusetzen. Nur brav den Weg abzulaufen, hatte ich schon bald aufgegeben. Bei einer Gruppe von Kiefern, die mir nett vorkam, trat ich gelangweilt von einem Fuß auf den anderen, starrte auf die Straße und versuchte in träumerische Stimmung zu kommen, als am Ende meines Postenbereichs eine einzelne Gestalt erschien. Zuerst war ich nicht sicher, ob mich nicht meine Augen getäuscht hatten (es war schon vollständig dunkel geworden), dann ergriff mich Panik. Bei einer Postenkontrolle sollten die doch immer zu mehreren kommen. Aber wer sonst konnte sich hier spätabends am Zaun entlang drücken? Vielleicht doch irgendetwas ganz Ungewöhnliches? In meiner Not hielt ich mich ans Reglement und trat der Gestalt mit einem „Halt! Wer da?" in den Weg. Der andere lachte und machte einen Spruch über die Dummheit der „Glatten". Ich war blamiert, und zwar durch den benachbarten Posten, der gekommen war, um mich zu einem Umtrunk in seinen Postenbereich einzuladen. Er hatte von außerhalb des Zaunes, von Soldaten mit der offiziellen Genehmigung, heute Abend die Kaserne zu verlassen, einen Einkaufsbeutel voller Bier- und Schnapsflaschen entgegengenommen, der bald von innen abgeholt werden sollte. Nicht ohne Stolz über das gelungene Geschäft bat er mich, bei der Vertilgung des vereinbarten Wegezolls mitzuhelfen. Und dieser Stolz übertrug sich auf mich. Ich gehörte jetzt auch dazu. Es war zwar nur ein kleines Bier, so eine kleine, braune und dickhalsige 0.33l-Flasche und ein Schluck grässlich schmeckender klarer Schnaps, dann kamen schon Gestalten im Trainingsanzug durchs Gesträuch gekrochen, das ihrige zu holen. Aber die Einweihung galt.
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Montag, 23. April 2007
Armeezeit, Teil 4
damals, 22:30h
Schon nach fünf Wochen wurde ich zum ersten Mal zum Wachestehen eingeteilt. Eine Wache dauerte 24 Stunden, von 18 Uhr bis 18 Uhr. Ich glaube, in dieser Nacht begann ich Soldat zu sein. Wir waren fünf oder sechs frisch Einberufene - „Glatte", wie man uns nannte - die schon mittags aus den Lächerlichkeiten des normalen Tagesablaufs herausgelöst wurden. Die anderen, die Mit-„Glatten", machten sich nach dem Essen an die Fortsetzung des üblichen Tagwerks, das darin bestand, unter der Anleitung hysterischer Unteroffiziere Räumlichkeiten oder Geräte zu putzen, Exerzierübungen durchzuführen oder sogenannte „Schützenlöcher" zu graben, flache, grabähnliche Mulden, die angeblich vor angenommenem feindlichem Beschuss retten sollten. Wir aber, die aus unerfindlichen Gründen Ausgewählten, begannen diesen Nachmittag zwischen erfahrenen Soldaten in einem überheizten Schulungsraum. Die Veranstaltung hieß „Wachbelehrung", ein wichtigtuerischer Feldwebel verlas Paragrafen vor der dösenden Menge. Auch die darauffolgende Ausgabe von echter, scharfer Munition schien die meisten nicht zu beeindrucken, ganz zu schweigen vom offiziellem Inkrafttreten unseres Wachdienstes, zu der ein Offizier uns antreten ließ, um uns mit gekünsteltem Pathos das Wort „Vergatterung" entgegenzuschreien. Aber uns Neuen war doch mulmig.
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Donnerstag, 19. April 2007
Armeezeit, Teil 3
damals, 23:13h
Dass es Geschrei und Gebrüll gab in den nächsten Tagen, versteht sich von selbst. Jeder von uns hatte schon Schauermärchen über die „Grundausbildung" gehört und war bemüht, sie glimpflich zu überstehen. Nachher sollte es ja besser werden. Auch ich verschloss mich, so gut es ging. Ich schwieg, wo möglich, schlief zur vorgeschriebenen Stunde sofort ein und kam allen Anweisungen mechanisch nach. In den Wartezeiten, die einen großen Teil des Tages einnahmen, träumte ich mich davon, über den Zaun, in den Himmel, bis zu den Spitzen der Kiefern, die überall herumstanden. Es gab Leute - meist Männer, die ein paar Jahre älter waren als ich - die über das Essen schimpften oder von zu Hause erzählten. Mir ging es wie Michael, der am ersten Sonntag, dem ersten Tag mit einigen Stunden offiziell zugeteilter Freizeit, ewig am Fenster stand und mit dummem, unbewegtem Gesicht ins Freie starrte, während die anderen an den Tischen saßen und Briefe schrieben. Zwei Tage später, am achten Tag meines Hierseins, durfte ich mich wegen Verstopfung ärztlich untersuchen lassen. Das war keine große Sache, das verabreichte Abführmittel tat sehr bald seine Wirkung und weitere Probleme blieben aus - aber es war mein erste Entfernung von der Truppe, nur eine Stunde, nur einmal über den Hof bis zum Arzt und auch mit dienstlicher Erlaubnis - und doch ein unbestreitbar individueller Gang.
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Dienstag, 17. April 2007
Armeezeit, Teil 2
damals, 23:36h
Vom Rest des Tages weiß ich nur noch wenig. Es gab eine lange Fahrt mit der Bahn, auf der kein Wort fiel. Dann die Ankunft in einem dunklen Flur, wo gezählt und gewartet wurde, immer wieder, wo wir herumstanden, während aufgeregte Uniformierte sortierten, organisierten, ihre Listen abhakten und endlich allen Angekommenen die Haare schnitten, egal wie kurz diese schon waren.
Dann bekamen wir Uniformen. Wieder langes Warten - vor einem Tresen, hinter dem Soldaten hektisch auf- und abrannten, um immer neue Kleidungsstücke aus den Tiefen des Gebäudes hervorzuholen und diese dem gerade Betroffenen in Sekundenschnelle und nach Augenmaß zuzuteilen. Zum Abendessen gingen wir schon als Soldaten, d.h. in schlecht sitzenden kratzigen Einheitssachen, zu einer offenbar exakt vorgeschriebenen Zeit und in einem Pulk, der so etwas wie das legendäre „in Reih und Glied" vorstellen sollte. In langen Reihen an Bänken sitzend, öden Teegeruch in der Nase, probierten wir, was uns da zugeteilt worden war. Aber eh wir uns versahen, ertönte ein Pfiff und die hinter den Bänken auf und ab laufenden, uns offenbar vorgesetzten Soldaten mahnten zum Aufstehen und bedeuteten uns, die übriggebliebenen Reste am Ausgang zu entsorgen.
Dann bekamen wir Uniformen. Wieder langes Warten - vor einem Tresen, hinter dem Soldaten hektisch auf- und abrannten, um immer neue Kleidungsstücke aus den Tiefen des Gebäudes hervorzuholen und diese dem gerade Betroffenen in Sekundenschnelle und nach Augenmaß zuzuteilen. Zum Abendessen gingen wir schon als Soldaten, d.h. in schlecht sitzenden kratzigen Einheitssachen, zu einer offenbar exakt vorgeschriebenen Zeit und in einem Pulk, der so etwas wie das legendäre „in Reih und Glied" vorstellen sollte. In langen Reihen an Bänken sitzend, öden Teegeruch in der Nase, probierten wir, was uns da zugeteilt worden war. Aber eh wir uns versahen, ertönte ein Pfiff und die hinter den Bänken auf und ab laufenden, uns offenbar vorgesetzten Soldaten mahnten zum Aufstehen und bedeuteten uns, die übriggebliebenen Reste am Ausgang zu entsorgen.
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