Mittwoch, 25. April 2007
Armeezeit, Teil 5
Als ich dann zum ersten Mal allein auf meinem Posten stand, war es schon lange dunkel. Ich hatte 300 Meter Zaun zu bewachen, und zwar indem ich einen Trampelpfad auf- und nieder laufen musste, der sich zwischen dem stacheldrahtbekrönten Regimentszaun und dem Gebüsch an dessen Innenseite dahinschlängelte. Ich verfluchte meine Ausrüstung - den Stahlhelm, der aufs Hirn drückte, die Kalaschnikow, die an der Schulter, die Munitionstasche, die am Gürtel zerrte - denn ohne das hätte ich den Aufenthalt sicher genießen können. Es war so unglaublich still, der Spätherbstsabend bewölkt und milde. Durch den Zaun sah man auf die Straße, die in den Ort hinein führte, ihre Laternen funzelten eine angenehme Provinzstädtchenatmosphäre in den Abend. Mir war eigentlich auch klar, dass die in der Wachbelehrung beschworenen feindlichen Spione nicht auftauchen würden, die wir mit „Halt! Wer da?", mit Warn- und nötigenfalls auch gezielten Schüssen zu vertreiben hätten. Allerdings hatten die Älteren von gelegentlichen Kontrollen erzählt, mit denen unsere eigenen Offiziere unsere Wachsamkeit testen würden. Aber das sollte wohl eher selten vorkommen. Dennoch war es die Möglichkeit einer solchen Kontrolle, die mich nicht wagen ließ, den Helm abzusetzen. Nur brav den Weg abzulaufen, hatte ich schon bald aufgegeben. Bei einer Gruppe von Kiefern, die mir nett vorkam, trat ich gelangweilt von einem Fuß auf den anderen, starrte auf die Straße und versuchte in träumerische Stimmung zu kommen, als am Ende meines Postenbereichs eine einzelne Gestalt erschien. Zuerst war ich nicht sicher, ob mich nicht meine Augen getäuscht hatten (es war schon vollständig dunkel geworden), dann ergriff mich Panik. Bei einer Postenkontrolle sollten die doch immer zu mehreren kommen. Aber wer sonst konnte sich hier spätabends am Zaun entlang drücken? Vielleicht doch irgendetwas ganz Ungewöhnliches? In meiner Not hielt ich mich ans Reglement und trat der Gestalt mit einem „Halt! Wer da?" in den Weg. Der andere lachte und machte einen Spruch über die Dummheit der „Glatten". Ich war blamiert, und zwar durch den benachbarten Posten, der gekommen war, um mich zu einem Umtrunk in seinen Postenbereich einzuladen. Er hatte von außerhalb des Zaunes, von Soldaten mit der offiziellen Genehmigung, heute Abend die Kaserne zu verlassen, einen Einkaufsbeutel voller Bier- und Schnapsflaschen entgegengenommen, der bald von innen abgeholt werden sollte. Nicht ohne Stolz über das gelungene Geschäft bat er mich, bei der Vertilgung des vereinbarten Wegezolls mitzuhelfen. Und dieser Stolz übertrug sich auf mich. Ich gehörte jetzt auch dazu. Es war zwar nur ein kleines Bier, so eine kleine, braune und dickhalsige 0.33l-Flasche und ein Schluck grässlich schmeckender klarer Schnaps, dann kamen schon Gestalten im Trainingsanzug durchs Gesträuch gekrochen, das ihrige zu holen. Aber die Einweihung galt.

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Montag, 23. April 2007
Armeezeit, Teil 4
Schon nach fünf Wochen wurde ich zum ersten Mal zum Wachestehen eingeteilt. Eine Wache dauerte 24 Stunden, von 18 Uhr bis 18 Uhr. Ich glaube, in dieser Nacht begann ich Soldat zu sein. Wir waren fünf oder sechs frisch Einberufene - „Glatte", wie man uns nannte - die schon mittags aus den Lächerlichkeiten des normalen Tagesablaufs herausgelöst wurden. Die anderen, die Mit-„Glatten", machten sich nach dem Essen an die Fortsetzung des üblichen Tagwerks, das darin bestand, unter der Anleitung hysterischer Unteroffiziere Räumlichkeiten oder Geräte zu putzen, Exerzierübungen durchzuführen oder sogenannte „Schützenlöcher" zu graben, flache, grabähnliche Mulden, die angeblich vor angenommenem feindlichem Beschuss retten sollten. Wir aber, die aus unerfindlichen Gründen Ausgewählten, begannen diesen Nachmittag zwischen erfahrenen Soldaten in einem überheizten Schulungsraum. Die Veranstaltung hieß „Wachbelehrung", ein wichtigtuerischer Feldwebel verlas Paragrafen vor der dösenden Menge. Auch die darauffolgende Ausgabe von echter, scharfer Munition schien die meisten nicht zu beeindrucken, ganz zu schweigen vom offiziellem Inkrafttreten unseres Wachdienstes, zu der ein Offizier uns antreten ließ, um uns mit gekünsteltem Pathos das Wort „Vergatterung" entgegenzuschreien. Aber uns Neuen war doch mulmig.

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Donnerstag, 19. April 2007
Armeezeit, Teil 3
Dass es Geschrei und Gebrüll gab in den nächsten Tagen, versteht sich von selbst. Jeder von uns hatte schon Schauermärchen über die „Grundausbildung" gehört und war bemüht, sie glimpflich zu überstehen. Nachher sollte es ja besser werden. Auch ich verschloss mich, so gut es ging. Ich schwieg, wo möglich, schlief zur vorgeschriebenen Stunde sofort ein und kam allen Anweisungen mechanisch nach. In den Wartezeiten, die einen großen Teil des Tages einnahmen, träumte ich mich davon, über den Zaun, in den Himmel, bis zu den Spitzen der Kiefern, die überall herumstanden. Es gab Leute - meist Männer, die ein paar Jahre älter waren als ich - die über das Essen schimpften oder von zu Hause erzählten. Mir ging es wie Michael, der am ersten Sonntag, dem ersten Tag mit einigen Stunden offiziell zugeteilter Freizeit, ewig am Fenster stand und mit dummem, unbewegtem Gesicht ins Freie starrte, während die anderen an den Tischen saßen und Briefe schrieben. Zwei Tage später, am achten Tag meines Hierseins, durfte ich mich wegen Verstopfung ärztlich untersuchen lassen. Das war keine große Sache, das verabreichte Abführmittel tat sehr bald seine Wirkung und weitere Probleme blieben aus - aber es war mein erste Entfernung von der Truppe, nur eine Stunde, nur einmal über den Hof bis zum Arzt und auch mit dienstlicher Erlaubnis - und doch ein unbestreitbar individueller Gang.

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Dienstag, 17. April 2007
Armeezeit, Teil 2
Vom Rest des Tages weiß ich nur noch wenig. Es gab eine lange Fahrt mit der Bahn, auf der kein Wort fiel. Dann die Ankunft in einem dunklen Flur, wo gezählt und gewartet wurde, immer wieder, wo wir herumstanden, während aufgeregte Uniformierte sortierten, organisierten, ihre Listen abhakten und endlich allen Angekommenen die Haare schnitten, egal wie kurz diese schon waren.
Dann bekamen wir Uniformen. Wieder langes Warten - vor einem Tresen, hinter dem Soldaten hektisch auf- und abrannten, um immer neue Kleidungsstücke aus den Tiefen des Gebäudes hervorzuholen und diese dem gerade Betroffenen in Sekundenschnelle und nach Augenmaß zuzuteilen. Zum Abendessen gingen wir schon als Soldaten, d.h. in schlecht sitzenden kratzigen Einheitssachen, zu einer offenbar exakt vorgeschriebenen Zeit und in einem Pulk, der so etwas wie das legendäre „in Reih und Glied" vorstellen sollte. In langen Reihen an Bänken sitzend, öden Teegeruch in der Nase, probierten wir, was uns da zugeteilt worden war. Aber eh wir uns versahen, ertönte ein Pfiff und die hinter den Bänken auf und ab laufenden, uns offenbar vorgesetzten Soldaten mahnten zum Aufstehen und bedeuteten uns, die übriggebliebenen Reste am Ausgang zu entsorgen.

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Sonntag, 15. April 2007
Armeezeit, Teil 1
Treffpunkt 11 Uhr, eine wirklich angenehme Uhrzeit. Ich konnte lang am Frühstückstisch sitzen, mein Vater war längst zur Arbeit, und gemächlich losbummeln. Ich wollte nicht, dass mich jemand von den Eltern hinbrachte. Ich fuhr allein mit der Straßenbahn. Für Anfang November war es warm. Die Sonne schien. Ich schwitzte, weil ich so viel zu schleppen hatte. Als ich ankam, sah ich schon von der Straßenbahnhaltestelle aus die Grüppchen drüben vor dem Stadioneingang. Familien mit Söhnen, demonstrativ knutschende Paare. Doch die meisten waren allein wie ich. Um 5 Minuten vor elf kam ein Uniformierter aus dem Eingang. Ihm folgten eine Handvoll andere, offenbar ihm untergebene Soldaten. Es kam Bewegung in die Grüppchen. Wie der Anlass es verlangt, wurde viel geweint von denen, die zurückbleiben würden. Um Punkt elf Uhr begann der Uniformierte mit dem Vorlesen der Namen. Die Aufgerufenen nahmen ihre Sachen und wurden von den Subalternen zu kleinen Gruppen formiert. Als auch ich in einer solchen Gruppe stand, wurde mir besser. Ich war kein Einsamer mehr, das Winken der Hinterbliebenen konnte auch mir gelten. Wir gingen durchs Tor, geführt von zweien der Uniformierten. Einer von ihnen ging voran, der andre umkreiste uns wie ein Hütehund. Damit begann die Reise.
Wir wurden ums Stadion geführt, über Sportplätze, an Sportlerunterkünften vorbei und dann hinten aus dem Stadiongelände heraus und kleine Straßen entlang. Straßen, die wir kannten, aber die uns nicht mehr erkannten. Wir waren weg. Auch in den Bahnhof gingen wir nicht wie normale Leute. Man führte uns über einen Betriebshof und dann durch eine winzige Seitentür hinein. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, die große Bahnhofstreppe zu benutzen, denn unser Zug stand an einem regulären Bahnsteig, der anders nicht erreichbar war. Aber die meisten Reisenden schauten höflich weg, als wir vorbeikamen. Nur an eine Frau erinnere ich mich, die mich ansah, gerade als wir durch die kleine Tür neben den Fahrkartenschaltern die Halle betraten. Sie sagte sogar etwas, irgendetwas Aufmunterndes, ich weiß es nicht mehr genau, wahrscheinlich „Viel Glück!"

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... oh, jetzt gehts los ...


Solche Maskeraden musste ich damals mitmachen und ich ärger mich heute noch wenn ich daran denke. Dieses "Foto vor der Truppenfahne" sollte übrigens eine "Auszeichnung" für gutes Benehmen darstellen - andere bekamen stattdessen einen Tag Sonderurlaub.
Jetzt folgt aber endlich mein Bericht - in jeweils kurzen Abschnitten (geschrieben hab ich ihn vorher schon als Ganzes) -viel Spaß damit!

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Montag, 9. April 2007
Das Leben der Anderen ...
... darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, wenn man 2007 über die DDR schreibt. Ich möchte aber gleich sagen, dass ich eine andere Perspektive einschlagen möchte als dieser Film. Denn ich bin einer von den „Anderen“, damals in der DDR wie auch heute. Einer von den wirklichen Menschen, über die der Film – egal, ob sie nun Minister sind oder Oppositioneller – nichts als eine paar simple Schwarz-Weiß-Klischees zu sagen hat. Worin der Film gut ist, das interessiert mich nicht: die exakte Rekonstruktion von historischen Machtstrukturen; die Darstellung der Nöte von gesichtslosen Funktionsträgern, die nicht wissen, wohin mit ihren ganz normalen menschlichen Gefühlen; das Erfinden einer „funktionierenden“ Story. Denn als alter Ossi erfüllt mich alles mit Skepsis, was „funktioniert“, und Aussagen über das Große und Ganze glaube ich schon gar nicht – schließlich unterliegt die Deutungshoheit über diese Fragen den Erfolgreichen.
Da fang ich lieber minimalistisch an (besser banal als klischeehaft), wie ihr an dem Foto unten sehen könnt: so eine richtige Oststraßenszene, sollte man meinen, man sieht es ja schon an dem bröckelnden Putz, an den klapprigen Autos, an der beklemmenden frühabendlichen Dunkelheit, wie unfrei und ohnmächtig die Leute gewesen sein müssen, die in diesen Häusern lebten. In der Tat habe ich das Foto 1988 aufgenommen, in der sterbenden DDR. Was man nicht sieht, ist, dass die beiden Häuser von Studenten besetzt waren, von jungen Leuten, die keine Lust hatten, im Studentenwohnheim zu leben mit Fernwärme und fließend Heißwasser, aber ohne Intimsphäre. Natürlich nur, bis sie rausflogen – aber immerhin. Von so was will ich erzählen: vom Leben.
(und dass, wie ich meine Seite eben aufrufe, rechts eine Werbung für „DDR-Kultserien“ auftaucht, ist ein Hohn, so wie die Überschrift „Das DDR-Fernsehen lebt“ eine dreiste Lüge: Das DDR-Fernsehen war immer schon tot!)

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Samstag, 7. April 2007
Guten Abend,
wie es so ist: der eine hört auf, der andere fängt an: Ich habe von einem Bekannten den Hinweis auf "blogger.de" bekommen. Er hat lange hier geschrieben, denkt ans Aufhören - und ich ans Anfangen. Ich will an dieser Stelle demnächst über damals reden, die Zeit in der DDR, die Zeit danach im Westen und die Zeit dazwischen - die Vorstellung beginnt demnächst mit einigen Erinnerungen an die NVA.



Format: jpg, 400×262 Pixel

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