Sonntag, 24. Juli 2022
Von der Fehlbarkeit des Papstes
Als der Papst Franziskus sein Amt antrat, war ich wie viele begeistert von dessen sympathischer Ausstrahlung und der offenkundigen Reformwilligkeit. Ich bin zwar kein Christ, aber als Europäer ist mir doch die christliche Kultur nahe, und wenn es da positive Entwicklungen gibt, freut mich das. Natürlich gab es ein wütendes Aufheulen unter den konservativen Katholiken, und der Ratzinger wollte auch nicht raus aus seinem Gehäuse da im Vatikan, als wollte er trotz Rücktritt lieber mal noch kontrollieren, ob der der Neue da keinen Unfug macht. Ich dachte aber: Das macht er schon, der Franziskus, der stößt jetzt Veränderungen an.

In letzter Zeit jedoch werden die Proteste der Papst-Gegner leiser und vor allem: Von Franziskus selbst kommen deutliche Zeichen sturer Reformunwilligkeit. Zuletzt vor kurzem, als der Vatikan verlauten ließ, dass dem Synodalen Weg in Deutschland untersagt ist, irgendwelche strukturell relevanten Vorschläge zu machen. (Das kam jetzt zwar nicht vom Papst persönlich, aber von der Behörde, der er vorsteht, die seine Position vertritt.) Von jemandem, der außerhalb der katholischen Kirche steht, ist das kaum fassbar: Die Verlautbarungen des Synodalen Wegs kommen so ängstlich, so devot daher, immer bemüht, keinen Bischof in seiner Macht auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, vom Papst ganz zu schweigen. Schwer zu glauben, dass schon diese leisen Regungen demokratischer Willensbildung eine Abmahnung des obersten Dienstherren hervorrufen.

Habe ich mich also in Franziskus getäuscht? Dazu muss man natürlich den Menschen selber hören: Ich las dieses Interview des Papstes zum Thema, und mir wurde klar: Nein, der Mann ist nett, er ist auch grundsätzlich offen für Neuerungen, nur hat er im Moment gänzlich andere Probleme - die er auch deutlich ansprach: Ein nennenswerter, offensichtlich einflussreicher Teil des katholischen Establishments will zurück ins 19. Jahrhundert, erkennt die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht an. Und der Papst ist nicht in der Lage, die zu stoppen! Er kann nichtmal den seit 70 Jahren bestehenden Status Quo sichern (übrigens auch dank der Zersetzungsarbeit seiner Vorgänger Wojtyla und Ratzinger), da ist an Neuerungen natürlich gar nicht zu denken.

Und hier ist der Punkt, wo Franziskus meiner Meinung nach falsch handelt: Er will den Laden zusammenhalten, das Schlimmste verhindern. Sehr ehrenhaft, aber meines Erachtens vergebliche Liebesmüh. Er erinnert mich an Intellektuelle im Realsozialismus, wie zum Beispiel Christa Wolf. Auch die wusste irgendwann genau, dass das Projekt nicht zu retten ist, dem sie sich verschrieben hatte und dem sie ihren Status verdankte. In einem ZEIT-Interview von 2005 sagte sie, dass in ihrer Kritik einen Schritt weiterzugehen bedeutet hätte, dass sie das Land verlassen muss, und das wollte sie nicht. In dieser Situation sehe ich auch Franziskus. Und wenn ich mal träumen darf: Was wäre das für ein Zeichen, wenn der Mann sich mal ehrlich machen würde und sagen: Ich schaffe es nicht, ich verlasse diese Kirche!

... link (9 Kommentare)   ... comment


<