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Sonntag, 23. Mai 2021
Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - jetzt das ostdeutsche Beispiel
damals, 01:42h
Das soll jetzt kein Ost-West-Vergleich werden, schon allein, weil das Ost-Beispiel fiktional ist, außerdem aus den 1980er Jahren, also 20 Jahre später. Da hat sich das männliche Dominanzverhalten schon sehr gewandelt, weg vom Familienpatriarchen, hin zum revolutionär-egoistischen Einzelkämpfer, wie er zum Beispiel in Joschka Fischer eine Idealverkörperung fand.
Aber hier gehts ja um den Osten. Also: Ich sah gestern "Was wäre wenn", ein Liebesdrama eines ostdeutschen Schriftstellers, der seinen eigenen Roman verdrehbucht hat - Regie führte der Produzent des ostophilen Christian Petzold. Die Geschichte ist folgende: Christiane Paul (hab sie selten so schön in Szene gesetzt gesehen) spielt eine Ärztin ostdeutschen Ursprungs, ihr neuer (westdeutscher) Liebhaber Ronald Zehrfeld schenkt ihr eine Reise nach Budapest, da er weiß, dass sie romantische Jugenderinnerungen an diese Stadt hat. Dort treffen sie fast sofort auf ihre große Jugendliebe, der sie sofort wieder verfällt, bis sie sich nach mancherlei Hin und Her und aus äußerst interessanten Gründen doch wieder für den aktuellen Freund entscheidet.
Was ist nun so verführerisch an dieser Jugendliebe? Das wird in wenigen Rückblenden weniger erlebbar gemacht als grob skizziert: Der Typ ist von vornherein Opposition (seine Mutter ist eine oppositionelle Malerin, sein Vater nach dem Westen verschwunden), er ist unnahbar, lässt sich von der in ihn vernarrten angepassten EOS-Schülerin zwar gern verführen, weiß sie aber auch auf Abstand zu halten. Er macht sein Ding. Da sie seine Sehnsucht nach Westdeutschland nicht teilt, plant er seine Flucht allein, gelangt mit Hilfe seines westdeutschen Halbbruders auf abenteuerliche Weise über die ungarisch-jugoslawische Grenze in die Freiheit - und verlangt dann von ihr, als sie mit genehmigter Westreise in Westberlin ist, dass sie spontan bleiben soll. Was sie nicht tut.
Kein Wunder, dass er Jahrzehnte später, in der Gegenwartshandlung, mehrere Kinder mit mehreren Frauen, aber keine Partnerin hat. Er ist der Draufgänger, der Einzelkämpfer. Aktuell hat er eine Affäre mit einer ungarischen Künstlerin, die das verhasste Orban-Regime nur zu gern verlassen würde, es hält sie nur ihr bodenständiger jugoslawischer Ehemann, der aus der ungarisch-serbischen Grenzregion stammt und seine Heimat nicht verlassen will.
Hier kommt nun Christiane Pauls aktueller Liebhaber ins Spiel: Er ist lieb und nett und bindungsscheu, hat es bisher in keiner Beziehung länger ausgehalten, ist aber immer offen und neugierig. Als sich herausstellt, dass Christiane Pauls Jugendliebe damals über den Heimatort des Jugoslawen floh, fahren alle zusammen dorthin. Bewegendes Déjàvu: der Grenzzaun. Diesmal ist die ungarische aber die privilegierte Seite - sie können rüber. Während die beiden Frauen das tun, wollen die Männer auf Teufel-komm-raus den Zaun überwinden, um vergangene Heldentaten zu simulieren - und tun das auch. Dadurch wird der weiche Zehrfeld zum harten Mann geadelt und Paul kann beruhigt mit ihm in eine gemeinsame Zukunft absegeln. Happy End.
Ist das nicht interessant? Zehrfeld verkörpert den neuen Mann, den kompromissfähigen, neugierig-netten, offenen Mann. Alles, was ihm fehlt, ist ein bisschen Abenteuergeruch. Aber niemand verlangt von ihm, wirklich welche zu bestehen, seine Existenz aufs Spiel zu setzen - er muss nur einstige Abenteuer anderer simulieren. Mit einem bundesdeutschen Pass in der Tasche illegal über die Grenze nach Serbien - ein wunderbares Bild dafür.
Und im Gegenzug (und darauf wollte ich eigentlich hinaus) darf dann der Egoist von einst (wir erinnern uns: der Mann, der das Land verließ, in dem seine Freundin wohnen bleiben wollte, und der sie dann unter Druck setzte, ihr doch nachzufolgen) als freiheitsliebender Revolutionär stilisiert werden.
Aber vielleicht ist die Welt einfach so: Wir lieben die Revolution, die gern autoritär sein darf, wenn sie nur vergangen oder weit genug weg ist, um uns nicht weh zu tun, denn wir lieben die Sicherheit, können sie aber nur ertragen, wenn wir sie uns ein bisschen gefährlich reden.
Aber hier gehts ja um den Osten. Also: Ich sah gestern "Was wäre wenn", ein Liebesdrama eines ostdeutschen Schriftstellers, der seinen eigenen Roman verdrehbucht hat - Regie führte der Produzent des ostophilen Christian Petzold. Die Geschichte ist folgende: Christiane Paul (hab sie selten so schön in Szene gesetzt gesehen) spielt eine Ärztin ostdeutschen Ursprungs, ihr neuer (westdeutscher) Liebhaber Ronald Zehrfeld schenkt ihr eine Reise nach Budapest, da er weiß, dass sie romantische Jugenderinnerungen an diese Stadt hat. Dort treffen sie fast sofort auf ihre große Jugendliebe, der sie sofort wieder verfällt, bis sie sich nach mancherlei Hin und Her und aus äußerst interessanten Gründen doch wieder für den aktuellen Freund entscheidet.
Was ist nun so verführerisch an dieser Jugendliebe? Das wird in wenigen Rückblenden weniger erlebbar gemacht als grob skizziert: Der Typ ist von vornherein Opposition (seine Mutter ist eine oppositionelle Malerin, sein Vater nach dem Westen verschwunden), er ist unnahbar, lässt sich von der in ihn vernarrten angepassten EOS-Schülerin zwar gern verführen, weiß sie aber auch auf Abstand zu halten. Er macht sein Ding. Da sie seine Sehnsucht nach Westdeutschland nicht teilt, plant er seine Flucht allein, gelangt mit Hilfe seines westdeutschen Halbbruders auf abenteuerliche Weise über die ungarisch-jugoslawische Grenze in die Freiheit - und verlangt dann von ihr, als sie mit genehmigter Westreise in Westberlin ist, dass sie spontan bleiben soll. Was sie nicht tut.
Kein Wunder, dass er Jahrzehnte später, in der Gegenwartshandlung, mehrere Kinder mit mehreren Frauen, aber keine Partnerin hat. Er ist der Draufgänger, der Einzelkämpfer. Aktuell hat er eine Affäre mit einer ungarischen Künstlerin, die das verhasste Orban-Regime nur zu gern verlassen würde, es hält sie nur ihr bodenständiger jugoslawischer Ehemann, der aus der ungarisch-serbischen Grenzregion stammt und seine Heimat nicht verlassen will.
Hier kommt nun Christiane Pauls aktueller Liebhaber ins Spiel: Er ist lieb und nett und bindungsscheu, hat es bisher in keiner Beziehung länger ausgehalten, ist aber immer offen und neugierig. Als sich herausstellt, dass Christiane Pauls Jugendliebe damals über den Heimatort des Jugoslawen floh, fahren alle zusammen dorthin. Bewegendes Déjàvu: der Grenzzaun. Diesmal ist die ungarische aber die privilegierte Seite - sie können rüber. Während die beiden Frauen das tun, wollen die Männer auf Teufel-komm-raus den Zaun überwinden, um vergangene Heldentaten zu simulieren - und tun das auch. Dadurch wird der weiche Zehrfeld zum harten Mann geadelt und Paul kann beruhigt mit ihm in eine gemeinsame Zukunft absegeln. Happy End.
Ist das nicht interessant? Zehrfeld verkörpert den neuen Mann, den kompromissfähigen, neugierig-netten, offenen Mann. Alles, was ihm fehlt, ist ein bisschen Abenteuergeruch. Aber niemand verlangt von ihm, wirklich welche zu bestehen, seine Existenz aufs Spiel zu setzen - er muss nur einstige Abenteuer anderer simulieren. Mit einem bundesdeutschen Pass in der Tasche illegal über die Grenze nach Serbien - ein wunderbares Bild dafür.
Und im Gegenzug (und darauf wollte ich eigentlich hinaus) darf dann der Egoist von einst (wir erinnern uns: der Mann, der das Land verließ, in dem seine Freundin wohnen bleiben wollte, und der sie dann unter Druck setzte, ihr doch nachzufolgen) als freiheitsliebender Revolutionär stilisiert werden.
Aber vielleicht ist die Welt einfach so: Wir lieben die Revolution, die gern autoritär sein darf, wenn sie nur vergangen oder weit genug weg ist, um uns nicht weh zu tun, denn wir lieben die Sicherheit, können sie aber nur ertragen, wenn wir sie uns ein bisschen gefährlich reden.
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Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - zuerst das westdeutsche Beispiel
damals, 21:57h
Was mal sich halt so reinzieht, wenn man so ziellos durch die Medien geistert und halt mitnimmt, was einem am Wegrand begegnet ...
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
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