Freitag, 30. November 2018
So war das, Teil 13
Danach ging jeder seiner Wege. An meinen freien Tagen besuchte ich meinen Cousin in Gera. Ich klapperte ein paar Pflegeheime ab. Bei Onkel und Tante in einem Dachkämmerchen würde ich erstmal wohnen dürfen. Aber es war nicht das Richtige. Obwohl mir einer der Chefs Hoffnung machte. In Gera lag Vorfrühlingsduft in der Luft, es war noch kalt, und eine so schwächliche wie intensive Sonne kitzelte mir die Nase. Bald würde alles aufwachen. Ich konnte jetzt in kein Dachkämmerchen ziehen, in keine Provinzstadt.

Einmal sprach ich mit Erik über die Stimmung im Land, die Atmosphäre der Veränderungen, die immer deutlicher wurde. Man merkte es an der Zahl der Menschen, auch unseres Alters, die die DDR nach Westen verließen, es gab jetzt immer öfter genehmigte Ausreisen, es gab Scheinehen mit Westlern, zunehmend auch genehmigte Besuchsreisen, von denen die glücklich Entflohenen nicht zurückkamen. Wir konnten die Leute verstehen, einerseits. Aber wir fühlten uns auch übertölpelt, abgehängt. „Eigentlich müsste man auch gehen.“, meinte Erik. Ich gab ihm Recht. Wenn ich nur gewusst hätte, wohin. Denn hier war mein Zuhause.

Aber dieses Zuhause gehörte mir nicht mehr. Das verstand ich, als ich Kerstin wiedertraf, beim Tiefen-Keller-Festival. Ich fand das ganze Fest albern. Die Denkmalpfleger hatten die mittelalterlichen Keller unter Merseburg für sich entdeckt, und jetzt machten sie ein Event daraus, ein gewollt lockeres Frühlingsfest mit Imbiss- und Infoständen. Man verteilte Flyer sowie eine Broschüre der Stadtverwaltung, beide verziert mit einer flott skizzierten Karikatur vorne drauf, auf der ein ungelenker Mensch in ein Kellerloch fällt. Ich fand das nicht witzig.

Natürlich wusste ich von den tiefen Kellern. Mein Großvater hatte darin gehockt, als die Bomben fielen. Und jetzt wurde das zum Event-Ort, jeder wollte nach unten kriechen in die alten Gewölbe. Irgendwie musste man da hingehen. Die DDR tat auf einmal, als ob sie lebte, und nun eroberte sie Merseburg. Es war, als nähmen sie es mir.

Am Eingang traf ich unter den Massen auf Kerstin. „Mario!“, rief sie. Ich reihte mich ein. Und ich ging mit ihr zusammen durch die Gewölbe. Sie fand das alles spannend, guckte sich alles an. Erzählte von ihrer Wohnung, von neuen Freunden. Ich wusste nichts dazu zu sagen. Als wir wieder draußen waren, der Moment des Abschieds da war, meinte sie: „Lass uns noch einen Kaffee trinken!“ Ich sagte nein.

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