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Dienstag, 27. November 2018
So war das, Teil 10
damals, 21:25h
Kerstin sah ich bald wieder. Ich traf sie auf dem Weihnachtsmarkt, als ich leicht gestresst mein Rad zwischen Buden und Menschen durchschob. Einer dieser Menschen war sie. Ich erkannte es an der ganz typischen Krümmung ihres Nackens, mit der sie sich über ein heißes Getränk beugte und pustete. Offenbar war sie allein. Ihr schwarzes Haar quoll unter einer Strickmütze hervor und lag wie vergessen als loser Zopf auf dem Kragen ihrer Jacke. Als ich sie ansprach, wandte sie sich um. Aus ihren Augen blitzte etwas Böses, ihre Mundwinkel zuckten. Ich versuchte es mit banalen Nettigkeiten, ich wollte nicht anknüpfen an neulich. Kerstin sagte nichts, während ich redete und dabei mit starren Augen versuchte, einen Kontakt herzustellen. „Ich werde umziehen.“ sagte Kerstin plötzlich. „Du willst weg?“ Ich war erstaunt, das war das Letzte, das ich erwartet hätte. „Nein, wieso? Ich hab eine Wohnung gefunden, hier in Merseburg.“ Ihre Haltung straffte sich, sie sah mich direkt an. „Ich verstehe. Du denkst, ihr habt hier die Hoheit über die Schwarzwohnungen. Und ich, wenn ich nicht mehr im Wohnheim wohnen will, ich soll verschwinden. Ich verschwinde aber nicht. Knut hat mir einen Tipp gegeben: ein fast leer stehendes Haus. Gleich hier um die Ecke. Wir haben schon ein Schloss eingebaut. Der Nachbar, der da noch wohnt, ist auch einverstanden.“ Es entstand eine Pause. „Hast du eigentlich meinen Brief bekommen?“, meinte sie dann. „Den Zettel in meinem Briefkasten? Ja.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Unmut stieg in mir hoch. „Eine hübsche Geschichte. Schade, dass es so nicht gewesen ist.“ - „Ja, schade.“, sagte Kerstin.
Zu dieser Wohnungsgeschichte hätte ich Knut gern mal befragt. Aber die Gelegenheit ergab sich nicht, Knut war nie wirklich da, immer auf dem Sprung. „Was machst du eigentlich, wenn du weg bist?“, fragte ich ihn einmal in der Frühstückspause, zu seinen Diensten erschien er regelmäßig. Er antwortete nicht sofort. „Du kennst mich.“, meinte er dann, „ich halt das manchmal nicht aus, euer Schneckentempo hier. Weißt du, was in Dresden los ist grade?! Und in Berlin? Ich muss da einfach vorbeigucken manchmal … aber weißt du, das ist nur eine Phase. Eigentlich will ich in Merseburg bleiben. Ich muss das auch mit einer eigenen Wohnung endlich in Angriff nehmen, das geht doch so nicht weiter.“ Ich sah ihn fragend an. „Lass mir ein paar Wochen Zeit, Mario. Dann sehn wir klarer.“
Das tat ich. Aber anders wurde es nicht. Eher schlimmer: Knut war weniger und weniger da. So schmerzhaft, wie vorher manchmal seine Präsenz gewesen war, war jetzt seine Abwesenheit. Dabei wohnte er immer noch bei Erik und mir. Aber man wusste überhaupt nicht mehr, wann er da war und wann nicht. Häufig kam er irgendwann nachts, ging am Morgen zur Arbeit und verschwand danach wieder. Ich erinnere mich an einen Morgen, als ich ihn überraschend morgens in der Küche traf. Im Halbschlaf hatte ich ihn wohl nachts rumpeln gehört, als er kam, aber das hatte mein Bewusstsein nicht erreicht. „Guten Morgen!“ erscholl es, als ich die Küchentür öffnete. Er saß mit einer Tasse in der Hand am Fenster, er wirkte ernst, ganz anders als seine Stimme. Ich murmelte einen verschlafenen Gruß. „Knut an seinem freien Tag frühmorgens in der Küche – da staunst du!“ Das tat ich tatsächlich, war aber zu müde, es zu zeigen. „Ich hab einen Termin beim Chef, Mario. Wollen wir nachher zusammen losgehen?“
Und so geschah es. Es war ein eisiger Morgen, und da ich nicht redete, verstummte bald auch Knut. Erst am Nachmittag, nach der Schicht, verriet er mir, was los ist. Er saß da schon wieder in der Küche und Erik saß neben ihm. Erik war aufgekratzt, Knut eher still. Beides wohl eine Wirkung der Nachricht – Knut hatte gekündigt. Er deutete an, dass in Berlin neue Projekte warteten. „Schade.“, sagte ich, aber eigentlich war ich erleichtert. Das war im Februar 1989, dem später berühmt gewordenen Jahr, in dem sich alle unsere Wege trennen sollten.
Danach ging es auch mit dem Friedenskreis nicht mehr so richtig weiter. Als bekannt wurde, dass Knut plante, sich daraus zurückzuziehen, war es vorbei. Ohne Knut, ohne seine Energie, ging kein Friedenskreis. Wir hatten ja nicht wirklich ein Anliegen, ein Thema, nur diese vage Unzufriedenheit. Wir wussten nichts, hier in Merseburg. Was passierte, worauf wir reagierten, das war in Berlin, wohin Knut jetzt zurückging. Wahrscheinlich sah er es ein. Nach seinem Weggang trafen wir uns noch dreimal. Es waren quälende Abende, ich kann das bestätigen, denn ich war bis zum Schluss dabei.
Zu dieser Wohnungsgeschichte hätte ich Knut gern mal befragt. Aber die Gelegenheit ergab sich nicht, Knut war nie wirklich da, immer auf dem Sprung. „Was machst du eigentlich, wenn du weg bist?“, fragte ich ihn einmal in der Frühstückspause, zu seinen Diensten erschien er regelmäßig. Er antwortete nicht sofort. „Du kennst mich.“, meinte er dann, „ich halt das manchmal nicht aus, euer Schneckentempo hier. Weißt du, was in Dresden los ist grade?! Und in Berlin? Ich muss da einfach vorbeigucken manchmal … aber weißt du, das ist nur eine Phase. Eigentlich will ich in Merseburg bleiben. Ich muss das auch mit einer eigenen Wohnung endlich in Angriff nehmen, das geht doch so nicht weiter.“ Ich sah ihn fragend an. „Lass mir ein paar Wochen Zeit, Mario. Dann sehn wir klarer.“
Das tat ich. Aber anders wurde es nicht. Eher schlimmer: Knut war weniger und weniger da. So schmerzhaft, wie vorher manchmal seine Präsenz gewesen war, war jetzt seine Abwesenheit. Dabei wohnte er immer noch bei Erik und mir. Aber man wusste überhaupt nicht mehr, wann er da war und wann nicht. Häufig kam er irgendwann nachts, ging am Morgen zur Arbeit und verschwand danach wieder. Ich erinnere mich an einen Morgen, als ich ihn überraschend morgens in der Küche traf. Im Halbschlaf hatte ich ihn wohl nachts rumpeln gehört, als er kam, aber das hatte mein Bewusstsein nicht erreicht. „Guten Morgen!“ erscholl es, als ich die Küchentür öffnete. Er saß mit einer Tasse in der Hand am Fenster, er wirkte ernst, ganz anders als seine Stimme. Ich murmelte einen verschlafenen Gruß. „Knut an seinem freien Tag frühmorgens in der Küche – da staunst du!“ Das tat ich tatsächlich, war aber zu müde, es zu zeigen. „Ich hab einen Termin beim Chef, Mario. Wollen wir nachher zusammen losgehen?“
Und so geschah es. Es war ein eisiger Morgen, und da ich nicht redete, verstummte bald auch Knut. Erst am Nachmittag, nach der Schicht, verriet er mir, was los ist. Er saß da schon wieder in der Küche und Erik saß neben ihm. Erik war aufgekratzt, Knut eher still. Beides wohl eine Wirkung der Nachricht – Knut hatte gekündigt. Er deutete an, dass in Berlin neue Projekte warteten. „Schade.“, sagte ich, aber eigentlich war ich erleichtert. Das war im Februar 1989, dem später berühmt gewordenen Jahr, in dem sich alle unsere Wege trennen sollten.
Danach ging es auch mit dem Friedenskreis nicht mehr so richtig weiter. Als bekannt wurde, dass Knut plante, sich daraus zurückzuziehen, war es vorbei. Ohne Knut, ohne seine Energie, ging kein Friedenskreis. Wir hatten ja nicht wirklich ein Anliegen, ein Thema, nur diese vage Unzufriedenheit. Wir wussten nichts, hier in Merseburg. Was passierte, worauf wir reagierten, das war in Berlin, wohin Knut jetzt zurückging. Wahrscheinlich sah er es ein. Nach seinem Weggang trafen wir uns noch dreimal. Es waren quälende Abende, ich kann das bestätigen, denn ich war bis zum Schluss dabei.
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