Montag, 20. Oktober 2014
NS-Aufarbeitung: Schuld-Klischee und wirkliche Schuld
In der letzten Zeit habe ich zwei Bücher gelesen, in denen Söhne nach ihren Vätern fragen, was die so gemacht haben in der Nazizeit: „Mein Vater, der Deserteur“ von René Freund (sehr gut) und „Heimat. Eine Suche“ von Thomas Medicus (weniger). Jetzt war ich in den Ferien eine Woche wandern im Harz und da stand in der Buchhandlung von Thale etwas dazu Passendes: „Meines Vaters Land“ von Wibke Bruhns, das Buch einer Tochter über ihren Vater in der Nazizeit. Es war wahrscheinlich deshalb dort so prominent ausgelegt, weil Bruhns’ Vater, Johannes G. Klamroth (genannt HG), Harzer war: der Sohn des maßgeblichen Industriellen von Halberstadt am Harz, später selbst ein Harzer Honoratior. Ich nahm mir das Buch gleich mit und las es dieses Wochenende.
Ich mochte daran vor allem das, was Bruhns aus spezifisch weiblicher Sicht mit hineinbringt: die Geburten der Mutter und welche Rolle der Vater dabei spielt, die Ehebruchsgeschichten, sein Charme und seine Aufschneidereien in geselligem Kreise ... Von dieser Seite her nähert sie sich ihrem Vater auf eine Weise, die den Charakter sehr gut deutlich werden lässt: Es war ein konventioneller, etwas labiler Mensch.
In politischer Hinsicht war das Buch leider ziemlich enttäuschend: Die Autorin versucht sich ihren Vater (den sie nie richtig gekannt hat – er wurde, als sie sechs war, im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet) mithilfe platter 68er-Klischees zu erklären: Sie fragt nach der Schuld des Vaters und biegt ihre Beobachtungen dabei auf Teufel komm raus auf das Klischee vom ideologischen Kollektivversagen der Vätergeneration zurecht – wobei sie die tatsächliche Schuld ihres konkreten Vaters glatt übersieht. Da mir dieser Denkfehler symptomatisch zu sein scheint, will ich ihn hier kurz erläutern.
Zunächst die Fakten, soweit ich sie dem Buch entnehmen konnte: J. G. Klamroth pubertiert spät und heftig, der ihm vorgezeichnete Weg als Firmenerbe will ihm gar nicht passen. Das kann man verstehen. In dieser Situation bietet sich ihm als Ausweg die Bewährung als Offizier im Ersten Weltkrieg an: Viel zu jung bekommt er viel zu viel Macht, an der er sich berauscht – seine Aufzeichnungen von der Ostfront sind von einer überheblichen Menschenverachtung gekennzeichnet. Die Autorin, seine Tochter, sieht hier schon eine Brutstätte dessen, was dann im Zweiten Weltkrieg geschieht. Das mag sein. Tatsache ist aber, dass er sich keiner außerordentlichen Kriegsverbrechen schuldig macht und nach dem Krieg – anders als seine Ideologie es nahelegt – auch nicht zu den Freikorps geht, sondern zurück auf den vom Vater vorgezeichneten Berufsweg, inklusive lokalpolitischer Betätigung, die traditionell gemäßigt rechts ist, nicht antibürgerlich rechtsradikal wie die mancher seiner bewunderten Offizierskameraden.
1933, Klamroth ist weder Antisemit noch mag er die Nazis besonders, gibt es, wie man weiß, einen Umsturz in Deutschland, die neuen Machthaber demonstrieren sehr schnell, dass es vorbei ist mit der Demokratie. Klamroth erwägt einen Kompromiss, ein Engagement beim „Stahlhelm“, konsultiert einen Bekannten, der dort im Vorstand tätig ist. Doch letztendlich entscheidet er sich, der deutlichen Aufforderung der neuen Machthaber nachzukommen, und tritt noch schnell vor dem Aufnahmestopp vom 1.Mai 1933 in die NSDAP ein – und, da ihm das allein doch zu blöd und proletarisch ist, auch in die SS, wo er sich als Reiter betätigen will (natürlich merkt er bald, dass er auch da verkehrt ist, und lässt die Sache ruhen). Als nicht verkehrt erweist sich aber das mit der NSDAP - sein guter Bekannter vom „Stahlhelm“ wird im Zuge des „Röhm-Putschs“ erschossen.
Im Krieg wird Klamroth, der aufgrund familiärer Verbindungen gut Dänisch kann, als Spionageoffizier nach Dänemark geschickt. 1941 bewirbt er sich an die Ostfront, wo er an verantwortlicher Stelle zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wird. 1944 wird er im Zusammenhang mit dem 20. Juli verhaftet, und, da er von den Putschplänen wusste, ermordet.
Aber wie beurteilt nun Wibke Bruhns dieses Leben ihres Vaters? Zunächst zieht sie eine Verbindungslinie von den militaristischen Großmachtphantasien des jungen Offiziers aus dem Ersten Weltkrieg zu seinem Eintritt in die SS 1933. Das ist sicher richtig, Ob, wie sie meint, auch die Tatsache, dass Klamroth so überschnell seinen Frieden mit den Nazis gemacht hat, damit zusammenhängt, da bin ich mir schon nicht so sicher.
Überhaupt: Seitenlang kann sie sich darüber empören, dass im Hause ihrer Eltern Hitler-Lieder gesungen wurden – so als bestände darin die eigentliche Schuld. Bruhns will uns weismachen, dass 1936/37 alle glücklich waren, bei den Klamroths wie in ganz Deutschland: „Man kann Autos kaufen zu moderaten Preisen ... Siedlungen über Siedlungen von Arbeiterhäuschen werden gebaut, die auch bezahlbar sind.“ Also, meine beiden Großväter (der eine eher rechts und der andere eher links) konnten die Nazis nicht leiden, so viel Kultur hatten sie schon (und J.G. Klamroth vermutlich auch). Barlach schuf seine berühmte Plastik „Das schlimme Jahr 1937“. Und vernünftige Arbeiterwohnungen wurden in den von Bruhns als so unsicher gekennzeichneten 20er Jahre Jahren, glaube ich, mehr gebaut als später zu Hitlers Zeiten.
Vor allem aber: Während Klamroths kritikloses, teilweise in der Tat übereifriges Sich-Einlassen mit dem Naziregime ziemlich dämonisiert wird von Bruhns („Großer Gott, ich dachte, ich hätte meinen Ekel und meinen Zorn verbraucht in all den Jahren, mein Entsetzen über die Gleichgültigkeit, die Anbiederei“), fällt ihr Urteil über die Kriegsverbrechen, die er später wirklich verübt, milde, ja verharmlosend aus: Klamroth hat 1942-43 die Erschießung etlicher Partisanen zu verantworten. Bruhns schreibt dazu: „Ich weiß nicht, wie ich mich dazu verhalten soll ... Soll ich mich empören, dass HG sie erschießen lässt? Keine Besatzungsarmee der Welt lässt sie gewähren und im Krieg schon gar nicht.“ Und später sogar offen lobend: „In dem einen Jahr hat er einen gut funktionierenden Laden dort installiert.“
Nimmt Bruhns in ihrer auch sonst manchmal spürbaren Aktengläubigkeit die Selbstschutz-Lüge Ihres Vaters (die Russen würden „zu diesem Weg gepresst, an dessen Ende nach völkerrechtlichen Bestimmungen der Tod durch Erschießen steht“) für bare Münze? Oder nimmt sie ihn bewusst in Schutz?
So oder so: Das Ende vom Lied ist, dass eine irgendwie allgemein böse Naziideologie den großen Dämon darstelllt, hinter dem konkrete Verbrechen einzelner Menschen, die aus dieser Ideologie heraus geschahen, verblassen. Das hat Wibke Bruhns sicher nicht gewollt, aber so wirkt es.
Das ist heute nicht anders, und wenn Sie mich kennen, wissen Sie, dass ich an den NSU-Skandal denke. Auch hier erkenne ich dieses Denkmuster: Da heißt es doch allgemein, gerade auch von links, schuld an dem Desaster sei die Tatsache, dass die Behörden auf dem rechten Auge blind gewesen seien. Und es sei alles nur passiert, weil die Polizisten, die Gesellschaft also letztendlich wir alle irgendwie viel zu rassistisch denken. Das ist alles nicht verkehrt. Aber es verschleiert den Blick auf konkrete Schuld: Da mögen doch Polizisten und Verfassungsschutzmitarbeiter denken, wie sie wollen. Es kommt darauf an, ob sie sich von solchem Denken zu Straftaten hinreißen lassen oder ob ihnen rechtsstaatliche Normen mehr wert sind als ihre privaten Ressentiments. Denn der NSU-Terror ist nicht passiert, weil alle weggesehen haben. Im Gegenteil: Er ist passiert, weil viele den Tätern aktiv geholfen haben. Und das ist strafbar und gehört ermittelt und bestraft. Und in diesem dringenden Auftrag hilft allgemeines Lamentieren über Rassismus nicht weiter, sondern nur konkrete Arbeit. Gott sei Dank gibt es Menschen, die diese Arbeit tun.

... link (5 Kommentare)   ... comment


<