Sonntag, 26. April 2009
Ich wage es und schreibe über die Finanzkrise
Nennt mich naiv und kurzsichtig, aber ich sehe noch nicht, dass es uns in diesem Land irgendwie schlechter geht bisher. Aus meinem Bekanntenkreis jedenfalls haben nur Leute Geld verloren, die auch welches übrig hatten - und in irgendwelche Sachen geparkt, von denen sie keine Ahnung haben. Nun gut.
Interessant fand ich die Beobachtung eines Freundes, der meinte: Wirklich Angst haben die Leute, die in großen Firmen arbeiten, quasi die kleinen Leute aus großen Firmen.
Könnte es nicht sein, dass die Finanzkrise (jedenfalls für uns hier in Deutchland) nichts anderes ist als die nächste Stufe der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Ich meine: so wie bei Hartz IV. Da war ja die allgemeine Entrüstung auch nicht der Tatsache geschuldet, dass man mit Hartzt IV nun schlechter leben würde als vorher mit Sozialhilfe - sondern der Tatsache, dass nun Menschen in den Genuss der Sozialleistungen kamen, die sich meilenweit darüber erhaben dünkten.
Und jetzt: Was befürchten die Verängstigten? Doch nichts anderes als einen Status, in dem wir anderen (sich mit mehreren Jobs, freiberuflich, befristet usw. Durchhangelnden) selbstverständlich schon zehn Jahre leben. Oder?

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Lehrer zweiter Klasse, Teil 10: Methodisches
So begann die Arbeit in meinem Bereich. Wollte man nun die Methode beschreiben, mit der ich Menschen das Alphabet beibrachte – da hatte mein Arbeitgeber in seinem Konzept immerhin eine Idee vorgebracht: dass es nämlich erlaubt und sinnvoll sei, deutsche und ausländische Analphabeten gemeinsam zu unterrichten (wobei der Begriff Analphabet sehr weit gefasst wurde: wer auf einer deutschen oder türkischen Schule immerhin die Mindestzeit mitgeschleift wurde, beherrscht in der Regel das lateinische Alphabet, in meinem Kurs landete er trotzdem). Natürlich fand das mein Arbeitgeber sinnvoll, weil es ökonomisch angebracht war und insofern auch der Arge in den Kram passte.
Aber so ist das: Jeder entwirft sein Konzept aus seinen Bedürfnissen heraus. Und manchmal kann das ja sogar passen: Jedenfalls fand ich das pädagogisch gar nicht abwegig, dass in meinem Kurs die deutschen ehemaligen Sonderschüler auch mal als klug dastehen konnten, weil ihnen nämlich der deutsche Alltagsgrundwortschatz durchaus vertraut war. Da konnten sie die Ausländer belehren, und diese konterten, indem sie häufig die Regeln der deutschen Grammatik schneller begriffen. Ein schönes Geben und Nehmen.
Und da fühlte ich mich wieder bestätigt: Ich war ganz unten, und ganz unten funktionierte es. Schon im Fortgeschrittenen-Kurs nebenan war das anders: Der iranische Ingenieur, der russische Jugendliche mit Knasterfahrung und der deutsche Sonderschüler mit acht Klassen hatten sich herzlich wenig zu sagen.
Ich fühlte mich auch bestätigt, weil hier die üblichen methodischen Tricks versagten und meine Klientel mit ihrem Chaos scheinbar meine gehassten pädagogischen Lehrer ins Unrecht setzte.
Der besagte Landarbeiter (ein „echter“ Analphabet übrigens) war von meinem Vorvorgänger (bezeichnenderweise wechselten hier die Lehrer schneller als die Schüler) bewegt worden, die Buchstaben aus Knete zu formen, um sie sich sinnlich erfahrbar zu machen. Natürlich ohne Erfolg. Ich war sehr erheitert, dass dieser beschränkte, sehr gutwillige Fünfzigjährige hier also offenbar ein paar Wochen Knetfigürchen gebastelt hatte, und versuchte es nun meinerseits mit der Ganzwortmethode, an die ich mich noch aus dem Studium flüchtig erinnerte, weil sie einst irgendwelche ideologischen Flügelkämpfe in der Grundschulpädagogik ausgelöst hatte: Ich ließ den Mann Memory-Kärtchen auswendig lernen – auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort. Und brachte ihn tatsächlich dazu, dass er nach zwei - drei Wochen viele der Wörter als sogenanntes Wortbild und sogar einige Anfangsbuchstaben sicher erkennen konnte.
Nur bei dem „Arzt“-Bildchen gab es Probleme – weil er immer wieder vergaß, dass der „Dokter“ ja „Arzt“ zu nennen sei und folglich mit „A“ beginne. Allerdings helfen ja auch die Anfangsbuchstaben noch nicht weit: Woher seine Lebensgefährtin kommt – Peru oder Portugal – das brachte er immer wieder durcheinander. Insofern hatte meine Chefin – der die deutsche Sprache piepegal war – letztendlich Recht: Sie sprach von „sozialer Stabilisation“ und meinte damit, dass ein Mensch, der jeden Tag einer Beschäftigung nachgeht (und seien es Knetfiguren), anstatt zu Hause rumzuhängen, signifikant weniger säuft.
... nun, sollte hier ein Grundschul- oder DaF-Pädagoge mitgelesen haben, wird er vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über so viel unprofessioneller Stümperei. Aber genau das will ich erklären: Stümperei ist das nicht – es ist Dilettantismus! Und zwar im edelsten Sinne, so wie ihn Alfred Lichtwark verstand (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Lichtwark): Ich hatte keine Ahnung von irgendwas – ich hatte nur eine Erfahrung. Als Kind einer elitären Schicht (deren Privilegien ich nicht mochte und die es auch nicht mehr gibt) war ich als Jugendlicher in die Fänge der NVA geraten, wie ich hier schon berichtet habe – und da haben mich die Prolls gerettet, die Heavy-Metal-Fans – und es war damals schon so, dass meine Bildung und ihr Chaos eine ganz gute Mischung ergaben. Das ist ein rückwärtsgewandter, ein konservativer Ansatz. Aber er funktioniert. Liebe Pädagogen, glaubt es mir: Ich habe Menschen etwas beigebracht! Als letzte Woche N., mein Sorgenkind aus dem derzeitigen Kurs (aus Afrika, nie zur Schule gegangen, kann nach einem Jahr langsam kurze Sätze entziffern, und zu mehr wird sies nicht bringen) stolz erzählte, dass sie beim Hausmeister war, und er hat verstanden, dass die kleine Lampe im Flur kaputt ist, da hat sich ihr Stolz ganz und gar auf mich übertragen.

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