Samstag, 8. September 2007
Willkommen in der New Economy - Ossi als Westloser
Ich erinnere mich an ein Betriebsfest. Natürlich musste ich kommen, ich hatte keine Lust und also kam ich zu spät. Ich war zuvor noch nie im Hauptsitz unseres Unternehmens gewesen. Man muss dazu sagen, dass das Unternehmen eigentlich eine Unternehmensgruppe war, und keiner stieg durch, wozu eigentlich was gehört. Jedenfalls keiner der – wie ich – erst kürzer dazu Gehörenden. Es handelte sich um ein Unternehmen der Weiterbildungsbranche, also eine der Firmen, die im Zuge von Hartz IV in das Gebiet unverhoffter Schwierigkeiten, aber auch unerwarteter Chancen geraten sind.
Ich kam also an – und das Ankommen war schon symptomatisch. Ich kenne sonst keine S-Bahn-Linie, die um sieben Uhr abends so überfüllt ist. In dieser Gegend der Stadt bin ich bisher nur gewesen, um (zu miserablen Konditionen) meinen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Einmal war ich zu einem Vorgespräch bei einem Psychotherapeuten in dieser Straße, aber allein die Tatsache, dass sich seine Praxis in Sichtweite zu meinem Arbeitgeber befindet, ließ mich bald Abstand nehmen.
Die Firma residierte offenbar in einem denkmalgeschützten Gebäude mit Backsteinschick von 1913 (außen). Innerlich hatte man das Gebäude auch schon 1913 in Stahlskelettbauweise errichtet (die Backsteinfassade also nur Dekoration), auch jetzt (nach der Bombardierung im 2. Weltkrieg) war es innen büro-0/8/15.
Hinter dem Haupthaus, in einer alten Lagerhalle, machte man Party. Als ich kam, sprach gerade der Geschäftsführer. Er verkündete, dass er die Blumensträuße, die er gestern auf einer Messe bekommen habe, jetzt direkt an verdiente Mitarbeiter weiterleiten wolle. Das geschah auch. Das Publikum applaudierte pflichtschuldigst. Dann gab es Grillfleisch und Bier und Wein.
Ich erinnerte mich an Bernd Begemanns „Ich komme um zu kündigen“ und seinen Satz „Zum Betriebsfest gab es Bier und Bockwurst und rassistische Witze“ – Tja, damals waren die Fronten noch klar. Jetzt war das anders. War nun unsere Firma ausbeuterisch, weil sie schlecht bezahlte, oder war das der Not der Situation geschuldet?
Ich saß zwischen meiner Chefin, einer eher massigen Büromieze, die sich für den Abend Locken in ihr Blond gedreht hatte, und meiner Kollegin, mit der ich die Skurrilitäten unserer Kunden durchhechelte. Dann ging sie – die mit ihrem Freund und ihren Schwiegereltern irgendwo in der Provinz wohnt – und die mit dem Gehalt sicher nicht klarkäme, würden nicht die Schwiegereltern das Haus und die Wohnung besitzen.
Ich sagte „Tschüß“ und wechselte nach draußen zu den Rauchern: die taffe (oder schreibt man "toughe"?) Frau Hocker und Ihre Bürokraft mit dem Namen Nada Ichweißnichtwie („Nada“ pflegte meine Sommersonja http://zeitnehmer.blogger.de/stories/886818/ zu sagen, wenn sie nein meinte) – bei denen hatte ich meine ersten Stunden für dieses Unternehmen abgeleistet hatte – wir redeten über Filme, irgendeine der Dozentinnen liebte Tarantino, Frau Hocker Woody Allen, Frau Nada natürlich Kusturica, und als sich herausstellte, dass ich „Als Papa auf Dienstreise war“ kannte, bei dem ihre Klassenkameradin eine Statistenrollen innegehabt hatte ... wie schön war das bei den Prolls!
Nachher spielte der DJ in Anbetracht der Altersstruktur der Mitarbeiter noch ACDC und „Radar Love“ – und ich konnte schön den Alkohol austanzen.
Hmh, komisch – soll das nun bedeuten, dass man in diesem Milieu nun (unterbezahlt auf Honorar) bei den Prollchaoten aus Ost-Deutschland oder –europa reinpasst, nicht aber bei den fest angestellten und minimal besseer bezahlten und überangepassten Wessilosern?
Eine Erzählung über meine Erfahrungen in diesem Bereich in den letzten Jahren soll demnächst Klarheit in diese Frage bringen.

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Guten Tag, BRD!
Da gab es einen Kindergeburtstag. Es war ein vierter Geburtstag, und es war etwas ganz Neues, dass die Kinder ohne Elternbegleitung dableiben konnten. Aber kurz bevor die Kleinen abgeholt wurden, trafen sich die Eltern ja doch – und saßen noch eine halbe Stunde auf der Terrasse. Da konnte ich mich nicht mehr verstecken und musste meine berufliche Situation offenbaren. Ich überbrückte die peinliche Situation ( ich war der Schlechtverdienendste der Runde) mit Anekdoten aus meinen alltäglichen Erlebnissen. Da sagte Juan, der Vater des derzeit besten Freundes meines Sohnes: „Schreib das auf! Das wird ein Bestseller!“ Natürlich hoffe ich, dass er Recht hat. Ihr seid das Testpublikum.

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