Mittwoch, 14. Mai 2008
Jörgs Geschichte, letzter Teil
damals, 23:58h
Einmal will er mich gar nicht mehr sehen, sondern liegt nur da mit seinem Teddy im Arm und schüttelt den Kopf. Ich bin wütend. Geh raus und streife durch das dunkle, kalte Elmshorner Innenstadt, die schon wie tot daliegt, obwohl die Geschäfte noch offen haben. Irgendwo schütt ich zwei Bier, die den Frust dämpfen und mich redselig machen: Ich steh dann noch eine Viertelstunde an seinem Bett und schwatze irgendwelchen Blödsinn, ohne Punkt und Komma. Da sieht Jörg mir doch zu und lächelt und bettet sich, als ich gehe, gemütlich zum Einschlafen.
Eines Morgens ein Anruf aus Elmshorn: Das Fieber würde jetzt gar nicht mehr runtergehen und ob ich noch mal kommen könne und ich sollte mir schon mal Gedanken machen über die Beerdigung. Es ist kurz vor Weihnachten. Jörg ist nur noch ein Schatten, der den Kopf wegdreht, als ich mich nähere. Ich bin völlig gelähmt und weiß nicht, was ich tun soll. Wenn es zuende geht, sollen sie mich anrufen. Aber da bin grad zu Hause bei den Eltern, meine Mutter geht ans Telefon, ich bin unterwegs. Und bei dem zweiten Anruf am andern Morgen schlaf ich noch. Nachher stehen meine Mutter und meine Schwester heulend in der Küche: „Jörg ist tot.“
Ich hätte es gern gehabt, daß er in Hamburg beerdigt wird. Aber das bezahlt das Sozialamt nicht. Also Elmshorn, das er nicht kennt, nie wahrgenommen hat. Am Tag der Beerdigung - eine Feier gibt es mangels Angehöriger nicht - verpaß ich den Zug, wahrscheinlich ist mir alles zu viel. Jedenfalls treffe ich ein, als der Sarg schon in der Erde ist, drei Friedhofsgärtner sind mit Schaufeln und einem Minibagger am Zubuddeln. Im Hintergrund dröhnt die Autobahn. Eine „stille Beerdigung“, ein namenloses Gräberfeld am Arsch der Welt.
Also, falls ihr mal in der Gegend seid - Jörg liegt auf dem städtischen Friedhof von Elmshorn in Kölln-Reisik, Grabfeld F, Abteilung IV, GrabNr. 83. Und grüßt ihn von mir, er erinnert sich bestimmt.
Eines Morgens ein Anruf aus Elmshorn: Das Fieber würde jetzt gar nicht mehr runtergehen und ob ich noch mal kommen könne und ich sollte mir schon mal Gedanken machen über die Beerdigung. Es ist kurz vor Weihnachten. Jörg ist nur noch ein Schatten, der den Kopf wegdreht, als ich mich nähere. Ich bin völlig gelähmt und weiß nicht, was ich tun soll. Wenn es zuende geht, sollen sie mich anrufen. Aber da bin grad zu Hause bei den Eltern, meine Mutter geht ans Telefon, ich bin unterwegs. Und bei dem zweiten Anruf am andern Morgen schlaf ich noch. Nachher stehen meine Mutter und meine Schwester heulend in der Küche: „Jörg ist tot.“
Ich hätte es gern gehabt, daß er in Hamburg beerdigt wird. Aber das bezahlt das Sozialamt nicht. Also Elmshorn, das er nicht kennt, nie wahrgenommen hat. Am Tag der Beerdigung - eine Feier gibt es mangels Angehöriger nicht - verpaß ich den Zug, wahrscheinlich ist mir alles zu viel. Jedenfalls treffe ich ein, als der Sarg schon in der Erde ist, drei Friedhofsgärtner sind mit Schaufeln und einem Minibagger am Zubuddeln. Im Hintergrund dröhnt die Autobahn. Eine „stille Beerdigung“, ein namenloses Gräberfeld am Arsch der Welt.
Also, falls ihr mal in der Gegend seid - Jörg liegt auf dem städtischen Friedhof von Elmshorn in Kölln-Reisik, Grabfeld F, Abteilung IV, GrabNr. 83. Und grüßt ihn von mir, er erinnert sich bestimmt.
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Dienstag, 13. Mai 2008
Jörgs Geschichte, Teil 5
damals, 19:12h
Es kommt, wie es kommen muß: Auch der Psychologe verliert die Geduld, und da in Elmshorn grad ein Platz frei ist, fällt die Entscheidung schnell. Die Überfahrt findet statt an einem Montagnachmittag, damit ich dabei sein kann. Die Krankenwagenfahrer sind nett und gut gelaunt, helfen beim Sachenschleppen und hätten auch Jörg, der sich gar nicht bewegt, auf ihre Schultern genommen, wenn die die Aktion überwachende Schwester nicht sofort eingegriffen hätte: „Herr Heuer kann selber laufen.“ Er will es bloß nicht. Daß er einfach seine Beine nicht mehr bewegt, ist sein letzter Widerstand.
Die Fahrt geht kreuz und quer durch Hamburg, aus dem Fahrerhaus ertönen laute Oldies. Jörg wird munter: lauscht nach der Musik, linst neugierig aus dem Fenster. Sein Hamburg. Als ich sage: „Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wo wir sind.“ lacht er ganz wie früher: „Aber ich.“ Dann kommt bald die Autobahn und irgendwann Elmshorn.
Für mich sind es Abenteuertouren. Der Herbst wird kühler, nasser und schöner, ich fahr über die Dörfer und bei Wischhafen mit der Elbfähre, egal wie das Wetter ist. Wenn ich dann ins „Haus Flora“ eintrete in Elmshorn, läuft mir die Nase. Jörg sitzt immer im Speisesaal vor einer leeren Tasse Kaffee. Da sitzt er den ganzen Tag, versichern die Schwestern, und zu allem, was darüber hinausgeht, und sei es nur Waschen und Klogang, müsse er jeden Tag wieder mühsam überredet werden. Als ich ihm den CD-Player mit seiner Lieblings-CD bringe, die wir im Krankenhaus vergessen hatten, nimmt er die Scheibe in die Hand und betrachtet sie versonnen. Die schillernden Regenbogenfarben auf der Rückseite interessieren ihn. Musikhören will er nicht. Ein andermal bring ich ihm ein „Kleines-Arschloch“-Buch, weil ihm doch Lesen zu anstrengend ist. Er freut sich, weil er Comics immer gemocht hat. Aber dann muß er lange mit der Lesebrille hantieren, und die Spruchblasen muß ich ihm trotzdem noch vorlesen, es ist einfach zu mühsam. Nach langem Fragen erfahre ich, daß er doch noch einen Wunsch hat: noch mal in seiner Wohnung nach dem Rechten sehen, vielleicht eine Pflanze mitnehmen für Elmshorn. Aber zum Bahnfahren ist er schon zu schwach, und ein Auto hab ich nicht. Die Pfleger sagen, daß ihn in zwei Wochen ein Krankenwagen mitnehmen könne, der sowieso fährt. Daraus werden dann drei Wochen, und da ist er schon bettlägerig und kann nicht mit.
Die Fahrt geht kreuz und quer durch Hamburg, aus dem Fahrerhaus ertönen laute Oldies. Jörg wird munter: lauscht nach der Musik, linst neugierig aus dem Fenster. Sein Hamburg. Als ich sage: „Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wo wir sind.“ lacht er ganz wie früher: „Aber ich.“ Dann kommt bald die Autobahn und irgendwann Elmshorn.
Für mich sind es Abenteuertouren. Der Herbst wird kühler, nasser und schöner, ich fahr über die Dörfer und bei Wischhafen mit der Elbfähre, egal wie das Wetter ist. Wenn ich dann ins „Haus Flora“ eintrete in Elmshorn, läuft mir die Nase. Jörg sitzt immer im Speisesaal vor einer leeren Tasse Kaffee. Da sitzt er den ganzen Tag, versichern die Schwestern, und zu allem, was darüber hinausgeht, und sei es nur Waschen und Klogang, müsse er jeden Tag wieder mühsam überredet werden. Als ich ihm den CD-Player mit seiner Lieblings-CD bringe, die wir im Krankenhaus vergessen hatten, nimmt er die Scheibe in die Hand und betrachtet sie versonnen. Die schillernden Regenbogenfarben auf der Rückseite interessieren ihn. Musikhören will er nicht. Ein andermal bring ich ihm ein „Kleines-Arschloch“-Buch, weil ihm doch Lesen zu anstrengend ist. Er freut sich, weil er Comics immer gemocht hat. Aber dann muß er lange mit der Lesebrille hantieren, und die Spruchblasen muß ich ihm trotzdem noch vorlesen, es ist einfach zu mühsam. Nach langem Fragen erfahre ich, daß er doch noch einen Wunsch hat: noch mal in seiner Wohnung nach dem Rechten sehen, vielleicht eine Pflanze mitnehmen für Elmshorn. Aber zum Bahnfahren ist er schon zu schwach, und ein Auto hab ich nicht. Die Pfleger sagen, daß ihn in zwei Wochen ein Krankenwagen mitnehmen könne, der sowieso fährt. Daraus werden dann drei Wochen, und da ist er schon bettlägerig und kann nicht mit.
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Freitag, 9. Mai 2008
Jörgs Geschichte, Teil 3
damals, 21:37h
Einmal paßt mich der Krankenhauspsychologe ab, bittet mich in mein Zimmer und läßt mich erstmal erzählen. Ihm scheint die Geschichte zu gefallen, wie wir uns kennengelernt haben trotz aller Unterschiedlichkeit. „Das ist ja schön, wie Sie sich da einfach gefunden haben.“ Dann erzählt er mir, was wirklich ansteht: Anderthalb Jahre Lebenserwartung hat der Mensch durchschnittlich nach dem Ausbruch von Aids, und für Jörg zählt die Zeit (was ich nicht wußte, obwohl ich es mir hätte zusammenreimen können) seit der schlimmen Lungenentzündung vor einem Jahr. Nun gut, es können auch schon mal drei Jahre werden, aber mehr ist sehr unwahrscheinlich. Auf seinen nahen Tod müßt ich mich gefaßt machen. Natürlich ist die nächste Frage, wie diese Monate aussehen könnten. Also wenn es weiter so rasant bergauf geht wie im Moment, meint der Psychologe, könnte er noch mal für eine Zeit nach Hause, ein Pflegedienst könnte täglich nach ihm sehen. Danach wäre ein Pflegeheim angebracht, es gibt da ein Haus in Elmshorn, das recht gut sein soll, da es überwiegend für jüngere Leute da ist.
Jörg selbst ist das Thema Zukunft nicht sehr lieb, von selbst spricht er nicht drüber. Und ich bin befangen. Der Psychologe meint ja, ich solle ihm einfach was erzählen, eine kleine Aufmunterung, ein Gespräch jede Woche, mehr müßte ich gar nicht tun, das wäre schon sehr viel. Aber wie, wenn er mich bloß noch mit großen Augen anstarrt, der von uns beiden immer derjenige mit den großen Sprüchen gewesen ist, und ich derjenige, der seine neuen Theorien beurteilen und seine neu erfundenen Gerichte probieren mußte? Da Jörg nichts sagt, fällt auch mir wenig ein. Was interessieren meine Schulgeschichten? Außerdem ist er ewig müde, antwortet einsilbig, nach einer Stunde spätestens mag er gar nicht mehr sprechen, manchmal dreht er plötzlich einfach den Kopf weg und macht die Augen zu. Und ich bin immer leicht beleidigt, schließlich bin ich eine gute Stunde mit dem Moped unterwegs gewesen durch den kalten Herbst, und der Rückweg im Dunkeln steht mir noch bevor. Die Sache bedrückt mich, ich schaff es einfach nicht, den Fröhlichen zu spielen.
„Sie müssen wissen“, sagt der Psychologe, „daß er stirbt. Sterben ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozeß, der sehr lange dauern kann. Er ist einfach nicht mehr der Mensch, den Sie kannten - das können Sie auch nicht verlangen - sondern er zieht sich langsam zurück auf immer einfachere Lebensfunktionen.“
Einmal, als ich gerade gehe, treff ich den Psychologen auf dem Flur, auch er in Eile. „Aber Ihnen geht´s soweit gut?“ fragt er im Vorübergehen. Ich bestätige. „Ja, man sieht’s.“ Dann steh ich in der dunklen Bernhard-Nocht-Straße und heule. Und weiß gar nicht, ob um mich oder um Jörg.
Jörg selbst ist das Thema Zukunft nicht sehr lieb, von selbst spricht er nicht drüber. Und ich bin befangen. Der Psychologe meint ja, ich solle ihm einfach was erzählen, eine kleine Aufmunterung, ein Gespräch jede Woche, mehr müßte ich gar nicht tun, das wäre schon sehr viel. Aber wie, wenn er mich bloß noch mit großen Augen anstarrt, der von uns beiden immer derjenige mit den großen Sprüchen gewesen ist, und ich derjenige, der seine neuen Theorien beurteilen und seine neu erfundenen Gerichte probieren mußte? Da Jörg nichts sagt, fällt auch mir wenig ein. Was interessieren meine Schulgeschichten? Außerdem ist er ewig müde, antwortet einsilbig, nach einer Stunde spätestens mag er gar nicht mehr sprechen, manchmal dreht er plötzlich einfach den Kopf weg und macht die Augen zu. Und ich bin immer leicht beleidigt, schließlich bin ich eine gute Stunde mit dem Moped unterwegs gewesen durch den kalten Herbst, und der Rückweg im Dunkeln steht mir noch bevor. Die Sache bedrückt mich, ich schaff es einfach nicht, den Fröhlichen zu spielen.
„Sie müssen wissen“, sagt der Psychologe, „daß er stirbt. Sterben ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozeß, der sehr lange dauern kann. Er ist einfach nicht mehr der Mensch, den Sie kannten - das können Sie auch nicht verlangen - sondern er zieht sich langsam zurück auf immer einfachere Lebensfunktionen.“
Einmal, als ich gerade gehe, treff ich den Psychologen auf dem Flur, auch er in Eile. „Aber Ihnen geht´s soweit gut?“ fragt er im Vorübergehen. Ich bestätige. „Ja, man sieht’s.“ Dann steh ich in der dunklen Bernhard-Nocht-Straße und heule. Und weiß gar nicht, ob um mich oder um Jörg.
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Dienstag, 6. Mai 2008
Jörgs Geschichte, Teil 2
damals, 22:37h
Am nächsten Tag. Jörg sieht schon besser aus, spricht aber immer noch nicht. Ich werde zur behandelnden Ärztin gebeten. Wir sitzen in einem engen Zimmerchen voll medizinischer Geräte. Sie ist ungefähr so alt wie ich, blond mit einem runden Gesicht, sehr gutaussehend und spricht einen südlichen Dialekt. „Und Sie sind der Freund?“ - „?“ - „... ich meine, der Partner.“ Die Verwechslung ist mir peinlich Ihr nicht. Sie erklärt sachlich, was los ist, daß er wirklich nicht sprechen kann. Toxoplasmose, heißt das und ruft irgendwelche Lähmungen hervor. Er hatte mal wieder die vorbeugenden Medikamente nicht genommen, und dann muß es wohl ganz plötzlich gekommen sein. Wie es weitergeht, könne keiner voraussagen: ob und wie weit er sich erholt. Zum Schluß frage ich sie, wo sie herstammt. Sie lacht. „Aus München.“
Einmal die Woche fahr ich jetzt immer hin, meistens dienstags, da paßt es mir ganz gut. „Ach, ich gucke meistens aus dem Fenster“, erzählt er mir (dann nach ein paar Tagen medikamenten-Einnahme war die Sprache natürlich wieder da), „z. B. die Lampen da auf dem Astra-Schild am Brauereihochhaus, weißt du, daß die sich gestern von der Mitte nach oben bewegt haben irgendwie? Ich würd auch gern wissen, was eigentlich auf dem Bild da drüben an der Wand drauf ist. Ich finde, es sieht aus wie Donald Duck.“ In Wirklichkeit ist ein Stilleben mit Blumen.
Einmal die Woche fahr ich jetzt immer hin, meistens dienstags, da paßt es mir ganz gut. „Ach, ich gucke meistens aus dem Fenster“, erzählt er mir (dann nach ein paar Tagen medikamenten-Einnahme war die Sprache natürlich wieder da), „z. B. die Lampen da auf dem Astra-Schild am Brauereihochhaus, weißt du, daß die sich gestern von der Mitte nach oben bewegt haben irgendwie? Ich würd auch gern wissen, was eigentlich auf dem Bild da drüben an der Wand drauf ist. Ich finde, es sieht aus wie Donald Duck.“ In Wirklichkeit ist ein Stilleben mit Blumen.
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Jörgs Geschichte, Teil 1
damals, 13:14h
Wochentags am Nachmittag mit dem Moped in Hamburg. Ich hab nicht viel Zeit, muß in die StUB wegen Fachliteratur für meine 11. Klasse in Geschichte. Aber zwei Stunden für Jörg sind schon drin - ich hab über einen Monat nichts von ihm gehört. Ich kauf zwei Astra an meinem alten Kiosk in der Silbersackstraße - sie kosten immer noch nur 1,65. Jörg reagiert nicht auf das vereinbarte Zeichen: dreimal Klingeln, auch beim zweiten Mal nicht. Von seinen Ausflügen ist er doch sonst abends immer wieder da. Zumal jetzt, wo er nicht mehr radfahren kann. Als ich grad das Moped wieder abschließe, öffnet sich die Tür. Im ersten Moment erkenn ich ihn gar nicht: das Gesicht eingefallen, die Augen tief in die Höhlen zurückgetreten. Unter dem Bademantel und den Jogginghosen skeletthaft abgemagerte Füße. Solche Menschen hab ich bisher nur in Dokumentarfilmen über KZs gesehen. Er muß sich die halbe Treppe zur Wohnung mühsam am Geländer hochhangeln. Plumpst wortlos in einen Sessel im Wohnzimmer. Ich bin verwirrt, sage irgendwelche Floskeln. Dann: „Willst du nicht sprechen oder kannst du nicht?“ Bei Jörg weiß man nie. Er lächelt höhnisch. Ich mach vor Verlegenheit erstmal die Biere auf. Jörg hat enorme Mühe, die Flasche zu halten, ist aber offensichtlich glücklich über das Bier. Ich trinke und überleg dabei, was eigentlich los ist. Offenbar hat er lange nichts zu sich genommen. Ich erinnere mich an seine Resignation. Vielleicht wollte er einfach sterben, als er merkte, daß es schlimmer wird, und ich bin ihm dazwischengekommen.
„Ich brauch noch was zu essen.“ sag ich „Soll ich dir was mitbringen?“ Seine Augen leuchten. Ich nehm den Schlüssel und lauf los zur Reeperbahn. Was ist zu tun? Auf jeden Fall kann ich ihn heut abend nicht alleinlassen. Also Marina anrufen und sagen, daß ich morgens nicht zum Kollegiumsausflug komme. Erst in der dritten Kneipe kann ich telefonieren. Marina nicht zu Hause. Ich ruf Olaf an: „Ruf Marina an, sag, daß ich nicht kommen kann - ein Freund liegt im Sterben.“ Er ist so verwirrt wie ich. Jetzt Essen kaufen. Giros für mich, aber was kann Jörg überhaupt kauen? Ein Straßenverkäufer bietet Salzbrezeln an, maßlos teuer, aber was solls.
Jörg ist ziemlich enttäuscht über die Brezel, weitergetrunken hat er auch nicht, er konnte die Flasche nicht mehr halten. Gierig guckt er auf mein Giros. Also lauf ich in die Küche und schneid ihm die Hälfte von dem Zeug schön in kleine Stücke auf einen Teller und brings ihm. Jetzt kann er auch die Gabel nicht mehr halten. Als ich ihn füttern will, wehrt er ab, dann siegt der Hunger, und ich kann einiges reinstopfen. Dann treff ich Vorbereitungen für die Nacht. Hol die Gästematratze für mich. Sein Bett ist eingepißt, ich bezieh es neu und bring ich ihn ins Bett. Liege noch ewig wach und denke nach. Kein vernünftiger Gedanke außer: das Bier - was wenn er wieder einpinkelt? Gott sei Dank hör ich, wie er sich irgendwann zum Klo schleppt.
Morgens ist mir klar, daß ich doch einen Krankenwagen holen muß. Ich meine, ich kann ihn doch nicht einfach sterben lassen, auch wenn er es vielleicht will und nur weil er Krankenhäuser haßt. Natürlich frag ich ihn, ob das in Ordnung ist. Er nickt.
Die Leute vom Rettungswagen sind unmöglich: „Aber das ist doch ein Pflegefall, kein Notfall! Den dürfen wir nicht mitnehmen.“ - „Aber was soll ich mit ihm machen. Ich muß heut mittag nach Hause. Ich kann ihn doch nicht hier liegenlassen.“ Die Leute haben die Idee, im Zimmer nach der Adresse seines Arztes zu suchen, finden sie auch, aber der Arzt ist im Urlaub, und es läuft nur der Anrufbeantworter. Auf mein Betteln erklären sie sich bereit, ins Hafenkrankenhaus zu fahren, vielleicht daß die was mit ihm anfangen können. Und so ist es auch: Das Hafenkrankenhaus weiß, daß drei Häuser weiter im Tropeninstitut eine Aids-Ambulanz ist. Wir fahren hin, und es stellt sich heraus, daß Jörg dort in der Kartei steht und aufgenommen werden kann. Die Rettungsleute werfen ihn mit nacktem Unterkörper auf ein Bett dort, die Bettdecke nehmen sie wieder mit. Und ich verschwinde unter Zurücklassung meiner Telefonnummer sowie des Versprechens, morgen wiederzukommen. In Harburg komm ich grad noch rechtzeitig zur Geschichtsexkursion, wo mich Armin und Olaf löchern, was eigentlich los gewesen ist.
„Ich brauch noch was zu essen.“ sag ich „Soll ich dir was mitbringen?“ Seine Augen leuchten. Ich nehm den Schlüssel und lauf los zur Reeperbahn. Was ist zu tun? Auf jeden Fall kann ich ihn heut abend nicht alleinlassen. Also Marina anrufen und sagen, daß ich morgens nicht zum Kollegiumsausflug komme. Erst in der dritten Kneipe kann ich telefonieren. Marina nicht zu Hause. Ich ruf Olaf an: „Ruf Marina an, sag, daß ich nicht kommen kann - ein Freund liegt im Sterben.“ Er ist so verwirrt wie ich. Jetzt Essen kaufen. Giros für mich, aber was kann Jörg überhaupt kauen? Ein Straßenverkäufer bietet Salzbrezeln an, maßlos teuer, aber was solls.
Jörg ist ziemlich enttäuscht über die Brezel, weitergetrunken hat er auch nicht, er konnte die Flasche nicht mehr halten. Gierig guckt er auf mein Giros. Also lauf ich in die Küche und schneid ihm die Hälfte von dem Zeug schön in kleine Stücke auf einen Teller und brings ihm. Jetzt kann er auch die Gabel nicht mehr halten. Als ich ihn füttern will, wehrt er ab, dann siegt der Hunger, und ich kann einiges reinstopfen. Dann treff ich Vorbereitungen für die Nacht. Hol die Gästematratze für mich. Sein Bett ist eingepißt, ich bezieh es neu und bring ich ihn ins Bett. Liege noch ewig wach und denke nach. Kein vernünftiger Gedanke außer: das Bier - was wenn er wieder einpinkelt? Gott sei Dank hör ich, wie er sich irgendwann zum Klo schleppt.
Morgens ist mir klar, daß ich doch einen Krankenwagen holen muß. Ich meine, ich kann ihn doch nicht einfach sterben lassen, auch wenn er es vielleicht will und nur weil er Krankenhäuser haßt. Natürlich frag ich ihn, ob das in Ordnung ist. Er nickt.
Die Leute vom Rettungswagen sind unmöglich: „Aber das ist doch ein Pflegefall, kein Notfall! Den dürfen wir nicht mitnehmen.“ - „Aber was soll ich mit ihm machen. Ich muß heut mittag nach Hause. Ich kann ihn doch nicht hier liegenlassen.“ Die Leute haben die Idee, im Zimmer nach der Adresse seines Arztes zu suchen, finden sie auch, aber der Arzt ist im Urlaub, und es läuft nur der Anrufbeantworter. Auf mein Betteln erklären sie sich bereit, ins Hafenkrankenhaus zu fahren, vielleicht daß die was mit ihm anfangen können. Und so ist es auch: Das Hafenkrankenhaus weiß, daß drei Häuser weiter im Tropeninstitut eine Aids-Ambulanz ist. Wir fahren hin, und es stellt sich heraus, daß Jörg dort in der Kartei steht und aufgenommen werden kann. Die Rettungsleute werfen ihn mit nacktem Unterkörper auf ein Bett dort, die Bettdecke nehmen sie wieder mit. Und ich verschwinde unter Zurücklassung meiner Telefonnummer sowie des Versprechens, morgen wiederzukommen. In Harburg komm ich grad noch rechtzeitig zur Geschichtsexkursion, wo mich Armin und Olaf löchern, was eigentlich los gewesen ist.
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