Dienstag, 10. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 4 und Schluss
Das ist das Tragische an dem Buch, dass einen der subjektiv übersteigerte Blickwinkel des Autors dazu verleitet, seine Beobachtungen nicht ernst zu nehmen. Dabei steht alles drin in dem Buch. Wir lernen den wohlwollenden, aber eitlen Gauck kennen, der gern gute Anzüge trägt und damals schon vom Bundespräsidentenamt träumt, den jovialen, korrekten Dr. Geiger, der Fuchs beschwichtigt, die „Pulloverbande“ der Bürgerrechtsbewegung – und natürlich die Stasi-Typen: die Offiziere, die jetzt Sachlichkeit und Spezialistentum raushängen lassen, die kleinen Aktenträger, die das nun, nach `89, immer noch tun, und die vielen, vielen IM, die sich ihrer Clique immer noch verbunden fühlen und in deren Sinne agieren. Wenn man sich nicht abschrecken lässt von dem larmoyanten Bürgerrechtler-Pathos, wenn man auch die Nebensätze liest, dann ist alles da, was man über die Gauck-Behörde und die DDR-Bürgerrechtler wissen muss, auch die Selbstreflexion, die Zweifel, die Zurücknahme. Fuchs findet ein großartiges Bild für die Situation, in der sich für ihn alles änderte: als er exmatrikuliert, aus der Partei geworfen und damit aus der DDR-Gesellschaft ausgestoßen war. Damals fand er mit Frau und Tochter Unterschlupf in Robert Havemanns Gartenhaus in Grünheide. Und vielleicht wurde er deshalb kurz darauf auch so sehr gequält. Havemann und Biermann konnte man mit letzter Konsequenz nicht an den Kragen, die waren zu prominent, hatten zu gute Kontakte. Aber Fuchs, der musste es ausbaden. Er berichtet vom Zusammenleben in Grünheide, von der Sickergrube, die das alles nicht fassen konnte (die Babywäsche, die Waschmaschinenladungen), vom Sumpf zwischen Gartenhaus und Havemanns Haus. Und endlich auch von Havemanns Berichten für westliche und östliche Geheimdienste, damals in den fünfziger Jahren, bevor er sich lossagte und entsprechend dafür bestraft wurde.
Fuchs selber war frei von solchen Eitelkeiten. Für mich bleibt er ein Held.

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Montag, 9. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 3
Man sieht, es kann nicht gelingen, was Fuchs sich vornimmt. Warum nur tut er es? Wahrscheinlich kann er nicht anders. Mir scheint, er ist zu sehr verletzt, zu tief gedemütigt worden von seinen Häschern, als dass er je von ihnen loskommen kann. Als ich in den achtziger Jahren Anfang zwanzig war und das noch ziemlich verboten, waren Fuchs‘ „Gedächtnisprotokolle“ für mich ein wesentliches Leseerlebnis, die Unvoreingenommenheit, Genauigkeit und Unbestechlichkeit seines Blicks faszinierten mich, und ich vermute, diese Eigenschaften sind auch der Grund, weshalb kein anderer DDR-Regimekritiker – kein Biermann, kein Loest, keine Bohley – von der Stasi mit einem derart infernalischem Hass verfolgt wurde. Fuchs findet u. a. einen IM-Bericht folgenden Inhalts über die Zeit nach seiner Ausbürgerung: Der IM berichtet von einem Gespräch mit dem für Fuchs zuständigen SPIEGEL-Redakteur. Der meint, Fuchs werde langsam paranoid, sehe sich auch im Wedding überall von Stasi umzingelt. Aber er hätte das durch den Staatsschutz prüfen lassen – da seien keine Spitzel in seiner Nähe. Tatsächlich war Fuchs in Westberlin von 40 IM umgeben, einige sägten an seinem Auto, andere zündeten einen Brandsatz vor dem haus, als seine Tochter zur Schule ging.
Ich glaube, man kann – Unbestechlichkeit hin oder her – sowas nicht erleben, ohne ein bisschen die Relationen zu verlieren. Fuchs hofft, dass sich das Blatt gewendet haben könnte. Das hat es tatsächlich, aber er kann nicht verstehen, dass den neuen Eliten stabile Verhältnisse wichtiger sind als eine konsequente Verfolgung der Täter. Und in seiner Wut, dass man nun, in der Bundesrepublik, vieles gelassen unaufgeklärt lässt, verrennt er sich völlig. So ist ein nicht unerheblicher Teil seines Buches dem ungeklärten Tod seines Jenaer Mitstreiters Matthias Domaschk gewidmet. Auch die Staatsanwaltschaft nach der Wende hat den Fall nicht klären können, nun versucht es Fuchs – und scheitert auf der ganzen Linie. Doch was er dabei, quasi unterwegs, noch alles an Details herausfindet, ist dennoch aufschlussreich.
Es war 1981. Die Stasi bekam die Jenaer Oppositionsgruppe einfach nicht unter Kontrolle (etwas in der DDR ganz Ungewöhnliches), stand entsprechend unter Erfolgsdruck. Da reisen zwei davon am Wochenende nach Berlin – zu einer privaten Geburtstagsfeier – aber das weiß die Stasi nicht und argwöhnt schlimme Aktionen, da in Berlin grade ein SED-Parteitag läuft (ganz typisch, dieser Irrtum, wie wichtig die ihre albernen Politshows nahmen, ein Leben jenseits davon konnten sie sich nicht vorstellen). In Jüterbog holen sie die Leute aus dem Zug, schleppen sie ins Bezirksquartier nach Gera, verhören sie zwei Tage und zwei Nächte, müssen aber ihren Irrtum einsehen und sie laufen lassen. Damit sie aber wenigstens irgendeinen Erfolg melden können, pressen sie einem von ihnen, Matthias Domaschk, noch eine IM-Verpflichtungserklärung ab – mit welchen Methoden, das kann später nicht mehr geklärt werden. Eine Stunde später, Domaschk war einige Zeit unbewacht in einem Raum, ist der Mann tot, erhängt. Selbstmord? Fuchs zweifelt daran und findet jede Menge Ungereimtheiten. Zunächst empört ihn, dass alle beteiligten Stasi-Leute sich gegenseitig decken und hält dies für eine besondere Stasi-Infamie. Falsch! Ein solches Verhalten ist, so mies es ist, auch nahe liegend und schon auf vielen Polizeistationen auf der ganzen Welt beobachtet worden, auch auf bundesrepublikanischen. So etwas kann leicht passieren, wenn es nur parteiische Beteiligte gibt, die einander kollegial verbunden sind und die gemeinsam gehandelt haben, so dass keiner ganz ohne Schuld ist. Fuchs beschäftigt sich auch mit der Untersuchung des Falls durch die bundesdeutsche Staatsanwaltschaft Erfurt nach 1990. Er weist nach, dass diese bei der erneuten Vernehmung und Aktenprüfung auf plumpe Stasi-Lügen hereingefallen ist, und er zeigt, dass und warum sie darauf hereinfallen wollte. Natürlich ist das unschön (bei genauerem Hinsehen vermutlich sogar rechtswidrig), aber stasifreundliche Tendenzen bei einer ostdeutschen Staatsanwaltschaft finde ich nicht besonders verwunderlich. Fuchs setzt sich hier selbst ins Unrecht, indem er vergeblich einen Mord zu beweisen versucht, der vermutlich gar keiner gewesen ist. Und er zementiert dieses rhetorische Eigentor, indem er das am Ende der ellenlangen Ausführungen auch eingesteht. Letztendlich lenkt er damit selber von der Tatsache ab, dass die Geschichte von ungesühnten Straftaten wimmelt (von der Freiheitsberaubung durch die Transportpolizei am Beginn bis hin zur Rechtsbeugung durch die Erfurter Staatsanwaltschaft am Ende). Deshalb soll das hier noch einmal betont werden.

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Sonntag, 8. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 2
Warum tut ein Mensch sich so etwas an? Fuchs redete sich ein, seine Gründe seien rein sachlicher Natur. Er wollte Freunden und Mitstreitern so möglichst weit reichende Kenntnis ihrer Stasi-Akten ermöglichen. Er wollte einen Ausgleich schaffen für die von ihm abgelehnte Praxis, dass die Akten vor „Akteneinsicht“ prepariert werden, um Persönlichkeitsrechte anderer zu schützen. Denn niemand kontrolliert den Behördenmitarbeiter, der die Akten sucht und vorbereitet. Dieser kann eine Akte einfach „nicht finden“, (ein Vorgehen, das Alexander Osang in seinem Roman „die nachrichten“ anschaulich schildert), er kann nach eigenem Ermessen Stellen schwärzen, Seiten weglassen usw., wenn etwas zu peinlich für seine ehemaligen Kollegen ist oder gar strafrechtliche Konsequenzen für sie befürchten lässt. Und auch bei den Mitarbeitern der westlichen Dienste, die in der Behörde tätig sind, weiß man nicht, ob sie wirklich nur die Stasis kontrollieren oder nicht auch Informationen über ihre eigenen Arbeitgeber unkenntlich machen (ich denke da z.B. an die, so Gauck, „erhebliche ausgedünnte“ des Agenten Karlheinz Kurras). Fuchs kann hier nachbessern – mit seinem Dienstausweis darf er alles im Original einsehen. Nur: Wie viel kann ein einzelner Mensch wirklich erreichen bei dieser Aufgabe, insbesondere bei der zu erwartenden Gegenwehr?
Man muss sich die Situation vorstellen, in die Fuchs da reinrutscht (er selbst tut das leider gar nicht) - das ist ja schon fast „undercover“: Der Bürgerrechtler wird vom Behördenchef persönlich als einfacher Mitarbeiter eingestellt, um Seilschaften aufzudecken. Natürlich schlägt ihm der blanke Hass entgegen. Schon vor seinem Dienstantritt warnt der Betriebsrat vor zu erwartenden Veröffentlichungen dieses renitenten Menschen. Ihn direkt anzugreifen, wagt man nicht, aber sein vor der Behörde parkendes Auto hat eines Tages kaputte Reifen und Bremsen. Und schließlich, da man Fuchs als Stasi-Jäger nicht loswerden kann, versucht man diese seine Rolle zu manipulieren. Sein direkter Vorgesetzter, Dr. Rolle, vor `89 bei der Akademie der Wissenschaften, ein sicher braver, aber gebildeter DDR-Bürger, findet „zufällig“ belastendes Material über den Bürgerrechtler Jens Reich und übergibt es Fuchs als zu dessen Bereich gehörig. Der fällt zunächst auf den Denunziationsversuch rein, prüft dann aber die Umstände und erkennt: Reich war doch kein IM – anders als (wie sich später herausstellt) der brave Dr. Rolle. Erfolgreicher ist Rolles ehemaliger Kollege bei der Akademie der Wissenschaften, Klaus Richter, ausgebildeter Stasi-Agent, in der Wendezeit kurzzeitig Geschäftsführer der ostdeutschen Grünen, er leitet bei der Gauck-Behörde das Nachbarreferat. Als Richter erfährt, dass Jürgen Fuchs manchmal mit Gesprächen oder Adressen von Unterstützer-Vereinen aushilft, wenn Behördenmitarbeiter mit traumatisierten Antragstellern nicht klarkommen, hat er eine Idee. Um solches individuelles Handeln (und vor allem das Fraternisieren einzelner Mitarbeiter mit Fuchs) wirksam zu unterbinden, schlägt er eine Institutionalisierung vor: Fuchs soll eine Weiterbildung für Behördenmitarbeiter anbieten: „Veranstaltung zu Problemfällen“. Das gelingt: Die betreffenden Mitarbeiter erscheinen ossihaft brav zu den Veranstaltungen und erwarten klare Instruktionen zum Umgang mit „Problemfällen“. Als der Referent stattdessen „angstfreies Miteinander-Reden“, ja sogar „persönliches Sprechen“ empfiehlt, fühlen sie sich überfordert. Augenrollen, Kopfschütteln erfolgen, eine feindselige Atmosphäre entsteht. Fuchs ist als Gefühlsdusel und Hippie, als „Betroffener“ stigmatisiert und somit unschädlich gemacht: „Sie sind Psychologe und waren Betroffener, pardon, sind Betroffener.“ sagt ein Kollege mit schlecht versteckter Verachtung.

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Samstag, 7. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde
Der folgende Text ist ein Referat meiner Urlaubslektüre, „Magdalena“ von Jürgen Fuchs, einem Erfahrungsbericht über seine Zeit als Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Das Buch ist leider larmoyant, ungerecht und übertrieben, was die Formulierungen betrifft – kurz: kaum lesbar, für einen Wessi schon gar nicht. Entsprechend fand es bei seinem Erscheinen 1998 kaum Aufmerksamkeit, die überregionalen Zeitungen fühlten sich wohl zu Rezensionen verpflichtet, auch zu Mitgefühl, aber kaum zu Verständnis. Das ist schade. Ich finde nämlich, dass die Aussagen und Beobachtungen von Fuchs wissenswert und aufschlussreich sind (für alle Deutschen) – daher fasse ich diese hier zusammen und hoffe auch auf viele Leser für mein Exzerpt, das ich hier häppchenweise als Serie vorlege.

Zunächst zum Autor: Jürgen Fuchs stand seinem Land, der DDR, und dem Sozialismus in seiner Jugend nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Er besaß aber den Mut (oder die Naivität?) in den 70er Jahren in Jena ausgerechnet „Sozialpsychologie“ zu studieren. Das musste schief gehen, jedenfalls für einen ehrlichen und vorurteilsfreien Menschen wie ihn. Er begann mit dem Schreiben von sozial engagierter Lyrik, kam in Kontakt mit Pannach und Kunert (von der bald darauf verbotenen Renft-Combo), Bettina Wegener und Wolf Biermann und wurde deshalb kurz vor Abschluss seines Examens exmatrikuliert. Weitere Stationen: Untermieter bei Robert Havemann in Berlin, Inhaftierung, ein knappes Jahr später Ausbürgerung, dann Sozialarbeiter in Westberlin, Anfang der neunziger Jahre Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Von dieser letzten Station seiner Biografie (Fuchs starb 1999 an Krebs) handelt das Buch.
Das klingt zunächst mal banal und langweilig nach DDR-Bürgerrechtler. Ist aber alles andere als langweilig. Man vergegenwärtige sich die Situation: Da war die Wende und da waren die Stasi-Akten und die Frage: Was tun damit? Die einen wollten alles offenlegen und begannen schon damit und die anderen wollten alles vernichten und begannen auch schon damit. Die neue Ordnungsmacht, der westdeutsche Staat, entschied sich für einen Kompromiss. Eine Behörde wurde geschaffen und die Akten ihr unterstellt, die Bürger sollten dort aber auch Einsicht in sie betreffende unterlagen erhalten können. Chef musste natürlich ein unbelasteter Ossi werden (der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck), Stellvertreter und eigentlicher spiritus rector ein hoher Geheimdienstmann aus dem Westen (der spätere BND-Chef Hansjörg Geiger). Man entschied sich, in größerem Umfang auch alte Stasi-Mitarbeiter bei der neuen Behörde einzustellen – das erleichterte die bürokratischen Abläufe, da die Leute mit der Materie vertraut waren und unbefangen mit dem Material umgingen. Außerdem vermied man so eine unnötige soziale Unruhe unter Leuten, die sich jetzt plötzlich als Täter fühlen mussten. Man verfuhr also ähnlich wie auch 1945, als man mit dieser Methode – beide Augen zudrücken und schuldbewusste Täter flugs in diensteifrige Untertanen des neuen Systems umwandeln – schon gute Erfahrungen gemacht hatte, was die (Wieder-)Herstellung eines handlungsfähigen Staates betrifft.
Natürlich ist dies Vorgehen moralisch einigermaßen fragwürdig. Daher brauchte es irgendwie einen Ausgleich, um wiederum die Opfer zu beruhigen, vielleicht auch, um die resozialisierten Stasis ein bisschen in ihre Schranken zu verweisen. Gauck lud also einige prominente DDR-Bürgerrechtler zu einem Gespräch ein, warb um ihre Mitarbeit. Aber nur Jürgen Fuchs begeisterte sich für die Aufgabe, als Behördenmitarbeiter in den Sumpf zu tauchen. Die anderen lehnten dankend ab. Offensichtlich erleichtert bestärkten sie Fuchs, die Aufgabe allein zu übernehmen. So geschah es. Er wurde eingestellt.

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