Dienstag, 16. Oktober 2007
Die Tagung, Teil 2 und Ende
damals, 22:06h
Mir leuchtete das ein, ich hätte gern noch ein paar Für- und Gegenargumente gehört, aber es war ja schon spät, die Zeit überschritten, man musste sich schnell noch über Reisekostenabrechnung und Tagungsband verständigen, bevor es zum gemeinsamen Abendessen ging. Ich war ja nur Gast und ging allein zu meinem Rad. Als ich nach Hause fuhr, wurde ich an der Ecke Wilhelm-Kaisen-Brücke – Osterdeich vom Straßenrand aus angerufen: Astrid und ihr Freund mit Fahrrädern, Christian war auch dabei, er schob einen Kinderwagen mit der kleinen Johanna. Das war schön, wir freuten uns alle. Aber es war dunkel und kalt, die Gruppe löste sich bald auf. Als mich Astrid zum Abschied am Arm fassen wollte, war ich schon aufs Rad gestiegen.
Der Sonntag war das beste. Ich hatte mich eingewöhnt in meinem Stuhl und saß gemütlich da und genoss die Vorträge: über den „Weiberroman“, den ich kenne und liebe, auch einen schönen Überblick über die Popliteraten inklusive geistesgeschichtlicher Einordnung. E.s Vortrag bildete den Abschluss der Tagung. Es ging auf Sonntag Mittag, man lehnte sich zurück, um ein paar kluge Worte über Michel Houellebecq, den Modeautor unserer Tage, zu hören. Als die Moderatorin des Tages wie üblich den Redner vorstellen wollte, wurde sie von E. unterbrochen: Das wäre doch nicht nötig. Seine Auszeichnung bestand darin, nicht vorgestellt werden zu müssen. Und er enttäuschte nicht: Sachlich und farbig, mit ins Ohr gehender Leichtigkeit näherte er sich diesen selbst- und menschenhasserischen Texten, erleichterte Verstehen und weckte Wohlwollen, ohne den Autor zu überschätzen. Es schien mir, als übertrage sich E.s eigenes Verstehenwollen der sperrigen Materie sympathethisch auf seine Zuhörer. Aber natürlich nicht auf Professor A. Der fragte in der anschließenden Diskussion seinen gleichaltrigen Kollegen, wie denn das möglich sei, was er eben gehört habe, dieses identifizierende Lesen von Anti-68er-Literatur durch einen 68er. Wahrscheinlich durfte die Konferenz nicht enden, bevor nicht dieser Gegenschlag getan war. E. schluckte. „Was soll der Analysant sagen, wenn der Analytiker gesprochen hat?“ konterte er dann, und das verschaffte seiner Verteidigungsrede einen sicheren Ort. Dann mauerte er weiter: 68er sei er in dem Sinne ja nie gewesen ... er stockte, eine Sekunde kämpfte er sichtlich mit sich. Dann argumentierte er plötzlich ganz anders: „Ich finde das keinen Verrat ...“ – „Verrat habe ich nicht gesagt.“ warf A. ein – „... wenn ich das, was ich damals mit Marquis Posa gedacht habe, nämlich dass man nie um Haaresbreite von seiner Überzeugung abweichen dürfe, wenn ich das jetzt nicht mehr finde.“ Einen Augenblick nur gab es ein erstauntes Schweigen in der Runde ob dieses Bekenntnisses, dann hatte wieder der Lektor das Wort und es wurde scharf geschossen: Es müsse doch auch gesagt werden dürfen, wie der unbewusste Hedonismus der 68er zur Ausweitung der kapitalistischen Kampfzone geführt habe. Oder so. Ich beugte mich vor, um das Gesicht des Redners in den Blick zu bekommen – er saß heute ganz hinten, noch hinter A., der sich mit linker Bescheidenheit mitten ins Publikum platziert hatte. Ich beugte mich vor, aber ich fuhr gleich zurück, um nicht der schönen Blonden ins Auge blicken zu müssen, die direkt neben dem Lektor saß. Im Zurücklehnen nahm ich nur noch kurz wahr, wie A. langsam und mit verachtungsvoller Würde den Kopf zur Seite wendete, um nach hinten, um dem Lektor ins Gesicht zu sehen.
Der Sonntag war das beste. Ich hatte mich eingewöhnt in meinem Stuhl und saß gemütlich da und genoss die Vorträge: über den „Weiberroman“, den ich kenne und liebe, auch einen schönen Überblick über die Popliteraten inklusive geistesgeschichtlicher Einordnung. E.s Vortrag bildete den Abschluss der Tagung. Es ging auf Sonntag Mittag, man lehnte sich zurück, um ein paar kluge Worte über Michel Houellebecq, den Modeautor unserer Tage, zu hören. Als die Moderatorin des Tages wie üblich den Redner vorstellen wollte, wurde sie von E. unterbrochen: Das wäre doch nicht nötig. Seine Auszeichnung bestand darin, nicht vorgestellt werden zu müssen. Und er enttäuschte nicht: Sachlich und farbig, mit ins Ohr gehender Leichtigkeit näherte er sich diesen selbst- und menschenhasserischen Texten, erleichterte Verstehen und weckte Wohlwollen, ohne den Autor zu überschätzen. Es schien mir, als übertrage sich E.s eigenes Verstehenwollen der sperrigen Materie sympathethisch auf seine Zuhörer. Aber natürlich nicht auf Professor A. Der fragte in der anschließenden Diskussion seinen gleichaltrigen Kollegen, wie denn das möglich sei, was er eben gehört habe, dieses identifizierende Lesen von Anti-68er-Literatur durch einen 68er. Wahrscheinlich durfte die Konferenz nicht enden, bevor nicht dieser Gegenschlag getan war. E. schluckte. „Was soll der Analysant sagen, wenn der Analytiker gesprochen hat?“ konterte er dann, und das verschaffte seiner Verteidigungsrede einen sicheren Ort. Dann mauerte er weiter: 68er sei er in dem Sinne ja nie gewesen ... er stockte, eine Sekunde kämpfte er sichtlich mit sich. Dann argumentierte er plötzlich ganz anders: „Ich finde das keinen Verrat ...“ – „Verrat habe ich nicht gesagt.“ warf A. ein – „... wenn ich das, was ich damals mit Marquis Posa gedacht habe, nämlich dass man nie um Haaresbreite von seiner Überzeugung abweichen dürfe, wenn ich das jetzt nicht mehr finde.“ Einen Augenblick nur gab es ein erstauntes Schweigen in der Runde ob dieses Bekenntnisses, dann hatte wieder der Lektor das Wort und es wurde scharf geschossen: Es müsse doch auch gesagt werden dürfen, wie der unbewusste Hedonismus der 68er zur Ausweitung der kapitalistischen Kampfzone geführt habe. Oder so. Ich beugte mich vor, um das Gesicht des Redners in den Blick zu bekommen – er saß heute ganz hinten, noch hinter A., der sich mit linker Bescheidenheit mitten ins Publikum platziert hatte. Ich beugte mich vor, aber ich fuhr gleich zurück, um nicht der schönen Blonden ins Auge blicken zu müssen, die direkt neben dem Lektor saß. Im Zurücklehnen nahm ich nur noch kurz wahr, wie A. langsam und mit verachtungsvoller Würde den Kopf zur Seite wendete, um nach hinten, um dem Lektor ins Gesicht zu sehen.
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