Freitag, 12. Oktober 2007
Die Tagung, Teil 1
damals, 21:51h
Am Freitag war ja noch alles gut gegangen – die ersten zwei Vorträge hatte ich mir nämlich gespart und war erst zur Abendveranstaltung gekommen, einer Autorenlesung, und da war Nicola in einem langen schwarzen Kleid, ich hatte also eine Frau zum Mich-Festhalten. Wir standen am Büchertisch, ich mischte mich in ihr Gespräch mit dem Buchhändler und gab meine Meinungen zum Besten. Der Buchhändler war beleidigt. Nicola lachte. Dann kam auch Professor E. vorbei und wandte lächelnd ein paar leutselige, allgemeine Worte an die jungen Gäste seiner Veranstaltung.
Samstag war ich allein. Herbstsonne überflutete den wohlbekannten Saal des Gästehauses, die Glastüren ließen den Blick über den Fluss frei, so dass gleich hinter den an der Seite Sitzenden die Gebäude am anderen Ufer zusehen waren: die Häuser am Hafen, die rote Backsteinfront der Martinikirche, das golden blitzende Ziffernblatt der Turmuhr. Zuerst redete Professor A., er trug ein weiches, dunkles Sakko und das gütig-vernünftige Gesicht eines weise gewordenen Aufklärers. Mit überlegener Offenheit wandte er den Diskursbegriff der Jüngeren auf die Literatur der ganz Jungen an. Befragte die Fragwürdigkeit eines Generationenbegriffs, der sich, eine angriffslustige Konstruktion, gegen die emanzipatorischen Ideen seiner eigenen Generation, der 68er, richte. Wenn schon etwas die junge Generation geprägt habe, schloss er, dann die „revolutionsartigen Ereignisse“ des Jahres 1989, in denen er eine Vollendung von 1968 sah. Mir stockte der Atem: Kaum eingewöhnt in die kluge Wärme seines verständnisvollen Tones nun diese Wendung zu selbstbezogener Arroganz, war er mir nur noch der etablierte Westdeutsche, der die Interpretationshoheit über Ostdeutschland behauptet. In das Schweigen im Saal hinein war plötzlich E.s Stimme zu vernehmen. Er eröffnete die Diskussion elegant mit sachlicher Kritik an der Methodik des Vortrags. Den folgenden Emotionsausbrüchen Jüngerer war die Spitze genommen.
Diese Jüngeren bildeten natürlich den Ton auf der Tagung: ein skurriler Mann mit Halbglatze, der darüber spottete, mit 45 Jahren noch als Nachwuchswissenschaftler zu gelten, ein Lektor, der habilitierter Germanist war, Herr P., der an der Uni Landeskunde für Ausländer unterrichtet. Auch Frauen waren einige vertreten, eine von ihnen war die eigentliche Organisatorin der Veranstaltung. Als Wissenschaftlerinnen hatten sie aber eine weniger gewichtige Stimme, was sich vor allem dadurch ausdrückte, dass ihre Beiträge übermäßig höflich gelobt wurden.
Eine von ihnen war Schwedin, d. h. eigentlich war sie scheinbar gar keine Schwedin: Sie hatte in Jena studiert, den Nachnamen verdankte sie wohl ihrem Ehemann, und es war eine Entkommene wie ich. Den Eindruck musste ich jedenfalls haben, da sie ein so tadelloses Deutsch sprach mit einem leichten sächsischen Einschlag, der sich in meiner Wahrnehmung mit ihrer Henna-Kurzhaarfrisur und der metallenen Brille zu einer zwingenden Vorstellung von Schulzeit und Erzieherin verband. Sie sprach über „Kindheitsheimat – ihre Darstellung in den Texten junger ostdeutscher Autoren“. Sie vertiefte sich in diese Geschichten von gebrochenen Biografien, von Gewalterfahrungen, von Macht und Ohnmacht. Sie sprach nicht darüber, wie Literatur funktioniert und was sie auslösen kann, nicht über Freude oder Leid. Sie sprach über Heimat und über kollektive Identität.
Draußen kam die Nacht. Der Moderator stand auf und schaltete das Deckenlicht ein. Das aber funzelte nur und gab dem schwächer werdenden Licht von draußen eine ebenso schwache gelbliche Note. Irgendwann erinnerte sich Professor E. des Dimmers und verwandelte das Zwielicht in Helle. Dann war der Vortrag vorbei. Die Diskussion begann mit einem flammenden Redebeitrag des Lektors, der bei Kiepenheuer & Witsch die Pop-Literatur herausgibt und hier als Anwalt der jüngsten Generation fungierte. Er betonte die Unterschiedlichkeit der besprochenen Texte, ja er feierte sie. Sie im Sinne einer gemeinsamen Identität zusammenzudenken, hielt er für wenig produktiv. Ein anderer Redner stimmte bei: ob das Erzählangebot an die Ostdeutschen, immer wieder solche Viktimisierungsgeschichten über sich darzubieten, nicht sogar eine Falle darstelle.
Samstag war ich allein. Herbstsonne überflutete den wohlbekannten Saal des Gästehauses, die Glastüren ließen den Blick über den Fluss frei, so dass gleich hinter den an der Seite Sitzenden die Gebäude am anderen Ufer zusehen waren: die Häuser am Hafen, die rote Backsteinfront der Martinikirche, das golden blitzende Ziffernblatt der Turmuhr. Zuerst redete Professor A., er trug ein weiches, dunkles Sakko und das gütig-vernünftige Gesicht eines weise gewordenen Aufklärers. Mit überlegener Offenheit wandte er den Diskursbegriff der Jüngeren auf die Literatur der ganz Jungen an. Befragte die Fragwürdigkeit eines Generationenbegriffs, der sich, eine angriffslustige Konstruktion, gegen die emanzipatorischen Ideen seiner eigenen Generation, der 68er, richte. Wenn schon etwas die junge Generation geprägt habe, schloss er, dann die „revolutionsartigen Ereignisse“ des Jahres 1989, in denen er eine Vollendung von 1968 sah. Mir stockte der Atem: Kaum eingewöhnt in die kluge Wärme seines verständnisvollen Tones nun diese Wendung zu selbstbezogener Arroganz, war er mir nur noch der etablierte Westdeutsche, der die Interpretationshoheit über Ostdeutschland behauptet. In das Schweigen im Saal hinein war plötzlich E.s Stimme zu vernehmen. Er eröffnete die Diskussion elegant mit sachlicher Kritik an der Methodik des Vortrags. Den folgenden Emotionsausbrüchen Jüngerer war die Spitze genommen.
Diese Jüngeren bildeten natürlich den Ton auf der Tagung: ein skurriler Mann mit Halbglatze, der darüber spottete, mit 45 Jahren noch als Nachwuchswissenschaftler zu gelten, ein Lektor, der habilitierter Germanist war, Herr P., der an der Uni Landeskunde für Ausländer unterrichtet. Auch Frauen waren einige vertreten, eine von ihnen war die eigentliche Organisatorin der Veranstaltung. Als Wissenschaftlerinnen hatten sie aber eine weniger gewichtige Stimme, was sich vor allem dadurch ausdrückte, dass ihre Beiträge übermäßig höflich gelobt wurden.
Eine von ihnen war Schwedin, d. h. eigentlich war sie scheinbar gar keine Schwedin: Sie hatte in Jena studiert, den Nachnamen verdankte sie wohl ihrem Ehemann, und es war eine Entkommene wie ich. Den Eindruck musste ich jedenfalls haben, da sie ein so tadelloses Deutsch sprach mit einem leichten sächsischen Einschlag, der sich in meiner Wahrnehmung mit ihrer Henna-Kurzhaarfrisur und der metallenen Brille zu einer zwingenden Vorstellung von Schulzeit und Erzieherin verband. Sie sprach über „Kindheitsheimat – ihre Darstellung in den Texten junger ostdeutscher Autoren“. Sie vertiefte sich in diese Geschichten von gebrochenen Biografien, von Gewalterfahrungen, von Macht und Ohnmacht. Sie sprach nicht darüber, wie Literatur funktioniert und was sie auslösen kann, nicht über Freude oder Leid. Sie sprach über Heimat und über kollektive Identität.
Draußen kam die Nacht. Der Moderator stand auf und schaltete das Deckenlicht ein. Das aber funzelte nur und gab dem schwächer werdenden Licht von draußen eine ebenso schwache gelbliche Note. Irgendwann erinnerte sich Professor E. des Dimmers und verwandelte das Zwielicht in Helle. Dann war der Vortrag vorbei. Die Diskussion begann mit einem flammenden Redebeitrag des Lektors, der bei Kiepenheuer & Witsch die Pop-Literatur herausgibt und hier als Anwalt der jüngsten Generation fungierte. Er betonte die Unterschiedlichkeit der besprochenen Texte, ja er feierte sie. Sie im Sinne einer gemeinsamen Identität zusammenzudenken, hielt er für wenig produktiv. Ein anderer Redner stimmte bei: ob das Erzählangebot an die Ostdeutschen, immer wieder solche Viktimisierungsgeschichten über sich darzubieten, nicht sogar eine Falle darstelle.
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haruwa,
Mittwoch, 17. Oktober 2007, 17:26
Generationenfrage
Die ist in der Tat eine sehr brisante - in der Forschung und mehr noch in der Sphäre der politischen Kultur. Vor allem was den Monopolanspruch der "68er" auf autoritative Deutung politischer Vorgänge und historischer Erfahrungsräume betrifft. Darüber sollten wir bei dem einen oder anderen Glas Bier unbedingt auch noch etwas ausführlicher reden.
Übrigens und nebenbei: Handelt es sich bei dieser Nicola hier um "unsere" Nicola??? Im Kleid kann ich sie mir gar nicht vorstellen... Wäre einfach zu - fraulich -für sie...
Übrigens und nebenbei: Handelt es sich bei dieser Nicola hier um "unsere" Nicola??? Im Kleid kann ich sie mir gar nicht vorstellen... Wäre einfach zu - fraulich -für sie...
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damals,
Freitag, 19. Oktober 2007, 23:50
... lass uns beim Bier lieber über anderes reden als die 68er. Ich mag sie nämlich, sofern sie nicht autoritär daherkommen (was öfter vorkommt, als ihnen die allgemeine Meinung zugesteht). Und zum Bier mag ich lieber Sentimentales als Politisches. "Über die Weiber", warum es uns Männern so schlecht geht oder sowas.
... natürlich war es diese Nicola, wer denn sonst?
... natürlich war es diese Nicola, wer denn sonst?
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