Dienstag, 21. August 2007
Was war die DDR? Nachgereichte Zeitungskritiken
damals, 19:14h
Also, theoretisieren wir über die DDR. Es geht um zwei Zeitungsartikel – falls Ihr sie nicht gelesen habt: Reinhard Jirgl fordert in der NNZ die restlose Bestrafung der damaligen SED-Chefs und beklagt, wie milde die hohen DDR-Bonzen (wenn überhaupt) bestraft wurden; Uwe Tellkamp jongliert in der FAZ ironisch mit diversen Klischees der DDR-Erinnerung – alles anlässlich der etwas künstlichen Feuilleton-Debatte um Schießbefehl und Birthlers Gauck-Behörde.
Mit meiner Frau, die ja ebenfalls Ex-Ossi ist, sinnierte ich jedenfalls über die Frage, warum es uns völlig egal ist, ob es den Schießbefehl nun als generelles Schriftstück gegeben hat oder nicht. Vielleicht Erfahrungen von damals. Das Lächerlichste und Verlogenste, was es gab, waren die Schriftstücke. Das Gefährlichste die bestehenden Strukturen, persönlichen Kontakte, Verbindungen.
Und deshalb war mir Jirgl so fremd. Sein Ruf nach restloser juristischer Aufarbeitung ist mir fremd. Komisch, dass er das so sehr fordert. Denn seine Beschreibung dessen, was die DDR war, gefiel mir: diese sehr persönliche Aussage, dass Angst einerseits und Wut über ein Unschuldig-Bestraft-Sein andererseits für viele von uns die wichtigsten Triebfedern des Handelns waren. Aber Angst und Wut besiegt man doch nicht durch Rache! Da kommt doch meist das Gegenteil von dem raus, was man eigentlich wollte. Das beste Beispiel dafür ist die „rumänische Lösung“, die er anspricht (und insgeheim gutheißt?): die öffentliche Erschießung des Parteivorsitzenden. Mag sein, dass ein gedemütigtes Individuum daraus eine kurzzeitige Befriedigung ziehen kann. Aber es macht nichts wieder gut. Im Gegenteil: Der politisch Gebildete weiß inzwischen, dass diese Erschießung von Ceaucescu damals nur dazu diente, durch Opferung des Königs den Hofstaat zu retten. Diese Art Aufarbeitung war eine Verhinderung von Aufarbeitung.
Insofern: Wie schlimm ist es wirklich, dass ein paar alte Männer vielleicht aufgrund politischer Rücksichten zu milde bestraft wurden? Vielleicht ist es sogar gut so – weil man vielleicht dadurch die DDR leichter vergisst, je schneller, desto besser. Und Jirgls Vergleich mit den Nürnberger Prozessen hinkt: ein paar Hundert Tote sind etwas anderes als ein paar Millionen. Schlimm war meines Erachtens nicht die Größe der Verbrechen, sondern deren lange Dauer. Die Verseuchung der Kultur, der Mentalität, die Etablierung von Angst und Ohnmachtsgefühlen als Grundmotivation.
Deshalb gefiel mir Tellkamp besser. Der fragte erst gar nicht nach dem Schießbefehl und dessen eventueller juristischer Relevanz, sondern setzte da an, wo es spannend wird, an der Frage: Was war die DDR? Und hatte gleich aus dem Bauch heraus eine gute Antwort: ein „paternalistisches Projekt“: „Bei Wohlverhalten Belohnung, bei Abweichung >die Instrumente<“. Leider schämte er sich offenbar gleich darauf über seine so klare Antwort und verwischte sie wieder, indem er ein Feuerwerk aus DDR-Klischees entfachte, das sehr lustig zu lesen ist (und das ich jedem zum Nachlesen empfehle). Aber wie es den Ironikern so geht: Er will alle Klischees entwerten, kann aber am Ende aus rhetorischen Gründen nicht umhin, eines dieser Klischees doch zu akzeptieren, natürlich das blödeste und angepassteste: die DDR als „Turmbau in Atlantis“.
Nein, nicht die Utopie ist Schuld, dass aus der DDR nichts wurde! Eher das Fehlen von Utopie. Für mich war es ein ängstliches halbes Ländchen, entstanden als Abfallprodukt einer totalitären Teilung Europas. Und jetzt schlaf wohl, kleines Ländchen. Ich schick dir ein Gedicht hinterher und ein Foto und dann erzähl ich nur noch von meinem Westleben (sofern mir das gelingt).
Mit meiner Frau, die ja ebenfalls Ex-Ossi ist, sinnierte ich jedenfalls über die Frage, warum es uns völlig egal ist, ob es den Schießbefehl nun als generelles Schriftstück gegeben hat oder nicht. Vielleicht Erfahrungen von damals. Das Lächerlichste und Verlogenste, was es gab, waren die Schriftstücke. Das Gefährlichste die bestehenden Strukturen, persönlichen Kontakte, Verbindungen.
Und deshalb war mir Jirgl so fremd. Sein Ruf nach restloser juristischer Aufarbeitung ist mir fremd. Komisch, dass er das so sehr fordert. Denn seine Beschreibung dessen, was die DDR war, gefiel mir: diese sehr persönliche Aussage, dass Angst einerseits und Wut über ein Unschuldig-Bestraft-Sein andererseits für viele von uns die wichtigsten Triebfedern des Handelns waren. Aber Angst und Wut besiegt man doch nicht durch Rache! Da kommt doch meist das Gegenteil von dem raus, was man eigentlich wollte. Das beste Beispiel dafür ist die „rumänische Lösung“, die er anspricht (und insgeheim gutheißt?): die öffentliche Erschießung des Parteivorsitzenden. Mag sein, dass ein gedemütigtes Individuum daraus eine kurzzeitige Befriedigung ziehen kann. Aber es macht nichts wieder gut. Im Gegenteil: Der politisch Gebildete weiß inzwischen, dass diese Erschießung von Ceaucescu damals nur dazu diente, durch Opferung des Königs den Hofstaat zu retten. Diese Art Aufarbeitung war eine Verhinderung von Aufarbeitung.
Insofern: Wie schlimm ist es wirklich, dass ein paar alte Männer vielleicht aufgrund politischer Rücksichten zu milde bestraft wurden? Vielleicht ist es sogar gut so – weil man vielleicht dadurch die DDR leichter vergisst, je schneller, desto besser. Und Jirgls Vergleich mit den Nürnberger Prozessen hinkt: ein paar Hundert Tote sind etwas anderes als ein paar Millionen. Schlimm war meines Erachtens nicht die Größe der Verbrechen, sondern deren lange Dauer. Die Verseuchung der Kultur, der Mentalität, die Etablierung von Angst und Ohnmachtsgefühlen als Grundmotivation.
Deshalb gefiel mir Tellkamp besser. Der fragte erst gar nicht nach dem Schießbefehl und dessen eventueller juristischer Relevanz, sondern setzte da an, wo es spannend wird, an der Frage: Was war die DDR? Und hatte gleich aus dem Bauch heraus eine gute Antwort: ein „paternalistisches Projekt“: „Bei Wohlverhalten Belohnung, bei Abweichung >die Instrumente<“. Leider schämte er sich offenbar gleich darauf über seine so klare Antwort und verwischte sie wieder, indem er ein Feuerwerk aus DDR-Klischees entfachte, das sehr lustig zu lesen ist (und das ich jedem zum Nachlesen empfehle). Aber wie es den Ironikern so geht: Er will alle Klischees entwerten, kann aber am Ende aus rhetorischen Gründen nicht umhin, eines dieser Klischees doch zu akzeptieren, natürlich das blödeste und angepassteste: die DDR als „Turmbau in Atlantis“.
Nein, nicht die Utopie ist Schuld, dass aus der DDR nichts wurde! Eher das Fehlen von Utopie. Für mich war es ein ängstliches halbes Ländchen, entstanden als Abfallprodukt einer totalitären Teilung Europas. Und jetzt schlaf wohl, kleines Ländchen. Ich schick dir ein Gedicht hinterher und ein Foto und dann erzähl ich nur noch von meinem Westleben (sofern mir das gelingt).
... comment