Mittwoch, 1. August 2007
Briefe 15 und 16 - Westreaktionen auf den 9.11.
* von Andreas
14.11.1989 Lieber Martin!
War das schön. Telefonisch einfach kein Durchkommen. Hätte ich dich überhaupt erreicht? So ein Glücksgefühl habe ich noch nie erfahren, ich kann es brieflich auch nicht weitergeben - einfach zu viele Facetten. Nur so viel- Als die Meldung in den heute-Nachrichten des ZDF um 19 Uhr gebracht wurde, war ich die Ruhe selbst. Die Reisefreiheit war ja angekündigt. Da mußte der nächste logische Schritt einfach die Öffnung der Mauer sein. Als dann von der ARD-Tagesschau um 20 h die Bilder aus dem Bundestag gezeigt wurden, das spontane Absingen der 3. Strophe des Deutschlandliedes, blieb ich auch noch ruhig. Ist das die Hymne derer, die sich am Sonntag zuvor auf dem Alex versammelt haben? Wohl nicht, aber kann man es wissen? ...
Gerührt wurde ich durch das Bild von Willy Brandt. Daß der dies erleben durfte! Ich hatte einen Kloß im Hals. Nachts um l h, 10.11.1989. Allein vor dem Kasten, die ersten Bilder der "Besucher vom ändern Stern". Stille Tränen. Warum hat diese blöde ARD dann abgeblendet? Ich legte mich hin. Dicht neben mir das Kofferradio, RIAS auf Kurzwelle, ständig Interviews und Reportagen. Ich blieb wach bis in den frühen Morgen; dachte an dich, an Mechthild und die Deinen, an unser Volk. Deutsche Geschichte im Schnelldurchlauf, persönliche Betrachtungen. Martin, ich weinte stundenlang. Ich fühlte mich zum ersten Mal in der Bundesrepublik als Deutscher ...

* von Peter
Nürnberg, 15.11.89 Lieber Martin, kurz nach Mitternacht ein schneller Brief - die nächsten Tage komme ich nicht zum Schreiben, aber die Zeit verlangt einen Brief an dich.
Du erinnerst dich sicher, wie wir drei uns in Potsdam jener Brücke näherten, so weit wir eben konnten, einer jener abweisend-undurchdringlichen Grenzpunkte. Daran und auch an die wirklich physische Undurchdringlichkeit von Drewitz mußte ich in den letzten Tagen oft denken, wenn ich Zeitung las, mit DDR-Besuchern sprach, selbst schaute, und zwar an einem Grenzübergang nordwestlich von Coburg. Ich hatte Freunde dort besucht, und am Sonntagnachmittag fuhren wir auf Schleichwegen zum "Eisfelder Blick". Ich erwartete Schlimmes und war sehr skeptisch, weil ich mit nationalistischem Getöse, Fahnenschwingen etc. rechnete. Aber die Flachserei über die mit Handtüchern den hunderten und tausenden Trabis zuwinkenden Grenzdörfler wich bald Staunen. Ein paar hundert "Westler" standen zu beiden Seiten der StraBe im blauen Autodunst und winkten der endlos scheinenden Autokarawane zu, die in beiden Richtungen an ihnen vorbeikroch. Gelöste DDR-Grenzposten plauderten mit bayerischen Polizisten und Umstehenden, ich traute meinen Augen nicht. Und das für mich Überraschende war die freundlich-friedfertige Stimmung, die über allem lag. Zudem sah ich erstmals in meinem Leben vor Freude weinende Erwachsene persönlich.
Das Chaos in Coburg will ich nicht näher beschreiben, es wäre nur ein weiterer Bericht ...

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