Samstag, 22. Mai 2021
Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - zuerst das westdeutsche Beispiel
damals, 21:57h
Was mal sich halt so reinzieht, wenn man so ziellos durch die Medien geistert und halt mitnimmt, was einem am Wegrand begegnet ...
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
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damals,
Montag, 5. Juli 2021, 12:23
Korrektur: Ich las gerade anderswo, dass die Prügelstrafe (anders als in der DDR) in Filbingers Heimat erst ab 1973 verboten war - er hat hat also rechtlich korrekt gehandelt. So wie es rechtlich korekt war, als Nazirichter Todesurteile auszusprechen.
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