Donnerstag, 3. Januar 2019
Glückliche Leseabende in Sicht
Zum Fest bin ich reich mit Lesematerial beschenkt worden, teils hatte ich mir die Sachen gewünscht, teilweise kamen sie unerwartet. Ich freu mich auf alles - wären Sie nicht auch glücklich bei dieser Zusammenstellung?

* Inger-Maria Mahlke: Archipel
* Marina Leky: Was man von hier aus sehen kann
* Harald Meller/ Uli Michel: Die Himmelsscheibe von Nebra
* Ulli Lust/ Marcel Beyer: Flughunde, graphic novel
* Stephen King: Der Outsider
* Judith Schalansky: Verzeichnis einiger Verluste
* Susanne Röckel: Der Vogelgott
* J. D. Vance: Die Hillbilly-Elegie

Ganz unüblich für mich sind diesmal auch zwei amerikanische Titel dabei, und da ich ja neulich auch "Unschuld" von Jonathan Franzen am Wickel hatte, möchte ich demnächst hier eine USA-Sammelrezension einfügen, wenn ich erst alles gelesen habe.

Nur so viel vorweg: Ich stieß gerade bei Stephan King auf eine Szene, die ich kurz zuvor genau so bei Mariana Leky gelesen hatte: Der Arzt muss den Angehörigen auf dem Krankenhausflur erlären, dass der Patient verstorben ist (wahrscheinlich eine Standard-Szene in Romanen). Also, das war bei Leky um Meilen besser geschildert: zurückhaltend, originell, fast elegant, während King unbeholfen und grob geschnitzt daherkam. Was natürlich nur einen Aspekt betrifft: das Stilistische. Was der jungen Deutschen (jedenfalls im Vergleich mit dem alten Hasen aus USA) an Spannung, an politischem Interesse, ja Durchblick, fehlt, das macht sie locker mit sprachlichem Können wett. Und ich mag beides.

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Mir hat eine Freundin "Die Herrenausstatterin" von Marina Leky geschenkt, aber vor Februar darf ich nicht einmal daran denken, es zu lesen. Es steht so viel Arbeit an. Das ist auch der Grund, warum ich mich noch gar nicht bei den Geschichten mit Knut zu Wort gemeldet habe (habe aber alles gelesen).

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Ach so, ich hatte schon geargwöhnt, dass Sie irgendwas verstimmt hat, z.B. wie ich die arme Kerstin in die Ossi-Schublade geschoben hab, um sie loszuwerden ...

Mein Marina-Leky-Buch war übrigens nicht die große Literatur, hat aber echt Spaß gemacht zu lesen. Vielleicht probieren Sie's einfach mit ein bisschen weniger Arbeit und ein bisschen mehr Leky. Würde mich freuen, wenn Sie sich was Gutes tun.

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Oh nein, das tut mir leid, dass ich so im Ungewissen ließ.

Solange es keine Sterntaler auf mich regnet, kann ich Ihren Rat leider nicht befolgen.

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"Was man von hier aus sehen kann" habe ich schon 2017 durch Zufall auf dem Flohmarkt als Hörbuch gefunden, weil ich mich mit einer Verkäuferin sehr, sehr nett über Krimskrams, Gottunddiewelt und andere flohmarktspezifische Themen unterhalten hatte und sie plötzlich sagte, dass sie mir ganz unbedingt dieses Hörbuch verkaufen wolle, weil, es wäre das tollste Buch, was ihr seit langem untergekommen sei, nur hätte sie es ja jetzt in ihre Mediathek kopiert und könne deshalb die CDs weiterverkaufen und ich müsse es ganz dringlich erwerben, sie würde es mir auch für nur einen Euro verkaufen, aber sie wäre ganz sicher, dass ich das Buch genau so toll finden werde wie sie - und so war es. Ich habe mich stante pede in dieses Buch verliebt. Selten so ein tolles Buch gelesen gehört, ich seufze immer noch innerlich ein bisschen, wenn ich mich an dieses Buch erinnere.
Zu Weihnachten (2017) bekam ich dann das Hardcoverbuch von meiner Mutter geschenkt, mit einer vergleichbaren Lobpreisung wie von jener Flohmarktverkäuferin.
Gelesen habe ich es zwar bis heute nicht, weil ich es ja bereits gehört hatte, und Sie wissen ja, soviele Bücher und sowenig Zeit, aber ich habe natürlich meiner Mutter die Rückmeldung gegeben, dass sie mit dem Gefühl, dieses Buch müsse mir gefallen, genau richtig gelegen habe.
Dieses Jahr bekam ich von meiner Mutter nur eine Karte, in der sie mir mitteilte, was sie mir dieses Jahr nicht zu Weihnachten schenken würde, nämlich ein weiteres Buch dieser Autorin, "Erste Hilfe", weil sie Sorge hätte, ich würde sie für geistig nicht mehr ganz gar halten, wenn sie mir das Buch schenkte und das wäre ihr so unangenehm, dass sie mir lieber gar nichts zu Weihnachten schenkte, oder eben die Mitteilung, dass gar nichts immer noch besser ist als dieses Buch. Sie hatte es auf Empfehlung der Süddeutschen gekauft, tapfer zu Ende gelesen und dann angewidert in Müll gesteckt, weil sie meinte, das wäre echt das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt sei.
Ich habe verständlicherweise keine eigene Meinung zu diesem Buch, vertraue an dieser Stelle aber meiner Mutter vollumfänglich, sie hat viele Macken, aber sie kann sehr gut beurteilen, welche Bücher mir gefallen und welche nicht. Und ich habe in meinem Leben noch kein Buch gemocht, was sie voller Verachtung in Müll gesteckt hat, weil, Buch und Müll in aller Regel für meine Mutter gar nicht denkbar ist. Dann muss es schon wirklich arg kommen. (Eines, was sie vergleichbar schrecklich fand war "Fräulein Smillas Gespür für Schnee").

Alle anderen Bücher von Ihrer Liste kenne ich nicht, weiß aber, ohne es ausdrücklich selber probieren zu müssen, dass Stephen King zu den Autoren gehört, die ich ganz sicher nicht lesen möchte, jeder pflegt halt so seine Vorurteile, aber Handlung in einem Buch finde ich meistens deutlich weniger interessant als den Schreibstil, und wenn ich schon amerikanische Bestsellerautoren lesen würde, dann gleich Harold Robbins, da lernt man wenigstens noch ein paar sehr nützliche Alltagsvokabeln aus dem Leben unter der Gürtellinie. (Ich bleibe dabei, Sprache ist wichtiger als Handlung.)

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Der Stephan King war ganz okay, letztendlich sogar der Schreibstil smpathisch: rauh, klotzig, einfach. Besonders die erste Hälfte, in der es eher krimimäßig zuging, fand ich auch rasend spannend (später, als der Horror überwog, wurds ein bisschen langweilig - "Das Böse ist erzählerisch uninteressant." meint die sehr kluge Regisseurin von "Alles ist gut"), und natürlich, überall, wo Szenen länger ausgeführt wurden, wirkte alles ein bisschen banal und geschwätzig, da der Autor so im Sprachstil halt nicht der Könner ist. Aber allemal besser als der Trash von Jonathan Franzen, an dem ich vorher verzweifelt bin. Harold Robbins sagt mir dagegen gar nichts - wie gesagt, ich bin nicht besonders bewandert in der US-amerikanischen Kulturwelt.
Tja, und Marina Leky hat mir auch nur zu 80-90% gefallen, wahrscheinlich weils doch eher ein Frauenbuch ist. Natürlich ist der Stil wunderbar, so phantasievoll, skurril, empathisch, da geht einem das Herz auf. Mich störte ein bisschen, dass da so gar nichts passiert, dass etwa der unhaltbare Zustand der unglücklichen Liebe des Optikers einfach so als gegeben hingenommen wird über Jahrzehnte (war ja auch sehr praktisch für Selma!) oder der Sohn gegen alle Vernunft im Haus der Mutter bleibt (auch sehr praktisch für Selma), bis ers gar nicht mehr aushält und in seinem Frust alle Familienverantwortlichkeiten zerstört, oder dass über Generationen hinweg immer dasselbe Reh an der selben Ecke steht und auch der Hund nie zu sterben scheint. Als Ausgleich hat ja die Autorin (der das Problem sicher bewusst war) die Protagonistin am Ende auf die Reise geschickt. Meines Erachtens überflüssig, denn die wahren Abenteuer sind im Kopf - wer innerlich unbeweglich ist wie die meisten Figuren in dem Buch, den wird auch die Auslandsreise nicht weiterbringen (ein übrigens typisch westdeutscher Denkfehler, wie ich finde). Andererseits: Real ist unsere Welt ja eher ein bisschen zu hektisch, und da ist dieses unbewegliche Buch natürlich ein Labsal, so als Gegengift.

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Besonders die erste Hälfte, in der es eher krimimäßig zuging, fand ich auch rasend spannend
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Mich störte ein bisschen, dass da so gar nichts passiert, dass etwa der unhaltbare Zustand der unglücklichen Liebe des Optikers einfach so als gegeben hingenommen wird über Jahrzehnte


Sehen Sie, damit haben sie genau die Interessensunterschiede auf den Punkt gebracht.
Ich finde Handlung üblicherweise völlig uninteressant.
Spannende Handlungen sind so weit weg vom echten Leben, dass ich sie meist nur langweilig finde.
Aber die ewige Liebe des Optikers, die finde ich enorm realistisch. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es diesen Menschen in echt gibt.
Überhaupt finde ich all diese schrägen Charaktere samt ihrem kruden Verhalten völlig normal. Ich bin in meinem Leben schon häufig derart "seltsamen" Menschen begegnet, dass ich da kaum etwas besonderes drin sehe.
Bei diesem Buch geht es im übrigen auch nicht um das, was passiert, sondern um die Beschreibung der Personen und die Stimmung, die durch die Art der Erzählung entsteht - und genau die hat mir ungemein gut gefallen.
Ich mag auch Siegfried Lenz sehr gerne - noch so ein Meister der Erzählung einer Nichtgeschichte - keinerlei Handlung, aber sehr gut erzählt.

Ich habe als Kind in Riesenmengen Groschenromane gelesen. Die Gäste in der Pension meiner Oma warfen die von ihnen ausgelesenen Hefte regelmäßig in den Mülleimer, aus dem ich die Teile dann rettete und mit Wonne selber las. Ich stand allerdings nur auf die Western- und Krimigeschichten, die Liebesromanzen fand ich zu langweilig. Aber vielleicht rührt aus der Zeit auch meine Einschätzung zu Autoren wie Stephen King uä - aus meiner Sicht hätte er auch genausogut Groschenromane schreiben können, den Unterschied hätte ich nicht erkannt. Aber seitdem ich der Jugendliteratur entwachsen bin, habe ich auch aufgehört, Groschenromane zu lesen :-)

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Ich meinte mit dem "etwas passieren" die Sehnsucht nach Verbesserung der Zustände. Diese Sehnsucht liegt letztendlich auch Krimis zugrunde: Man liest sie aus Neugier, weil man wissen will, was da verborgen liegt, aber auch aus der Sehnsucht, dass das verborgene Schlechte irgendwie aufgelöst wird.
In Lekys Buch war mir einfach schwer erträglich, wie das Leiden z.B. des Optikers als normal akzeptiert wird (vieleicht weil ich auch selbst jemand bin, dem solche Sachen schwerfallen). Sicher ist er letztlich selbst dafür verantwortlich, aber faktisch profitieren auch andere davon. Auch wenn man die Zustände, den Zusammenhalt der Menschen, insgesamt als wohltuend bejaht, wie es dieses Buch tut, sollte man den Blick für das Leid, das Negative nicht verlieren: Die Lichtgestalt Selma, die so vielen so gut tut mit ihrer fürsorglichen Dominanz, ihrem Freund, dem Optiker, und auch ihrem Sohn tut sie nicht gut.
(Ich sehe der Autorin diese antipsychologische Tendenz etwas nach, da ich erfuhr, dass sie selbst Tochter von zwei Psychologen ist - da muss man wohl etwas wieder den Stachel löcken. Persönlich hab ich aber eine andre Haltung.)

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amerikanische Literatur?
Ich les' kaum Romane (eher Sachbücher), höchstens von Nabokov. Aber:
Diesen 560-Seiten-Roman hab' ich in vier Nächten durchgehabt: "Ein Gentleman in Moskau".

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Ich werd ihn mal probieren, auf dass meine Sammelrezension dicker wird ....

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