Sonntag, 6. Januar 2013
Zu Weihnachten geschenkt bekommen: Weidermann "Lichtjahre" - unterhaltsam, kenntnisreich, mysogyn und rechts
Zu Weihnachten habe ich „Lichtjahre“ geschenkt bekommen, eine deutsche Literaturgeschichte der Nachkriegszeit, geschrieben vom Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Volker Weidermann, und möchte sie hier rezensieren.
Das Buch ist wie unsere Zeit, finde ich, eine Zeit, der ich mich mental sehr verbunden fühle, in der ich zu Hause bin, auch wenn ich ihre politischen Vorlieben nicht teile: „Lichtjahre“ ist sehr persönlich geschrieben, oft sogar flapsig und bewusst ungerecht, dabei aber sehr kenntnisreich und oft ziemlich treffsicher, gerade in den wie nebenher hingeworfenen Bemerkungen. Leider hat es eine Schlagseite nach rechts: Es zieht in der Regel Arschlöcher den netten Schriftstellern vor, reiche den armen, Egomanen den Romantikern und natürlich fast immer Männer den Frauen.
Der grundsätzliche Trick seiner Herangehensweise ist (literaturwissenschaftlich gesehen) sehr konservativ, aber auch sehr effektiv (auch ich hab ihn in meiner Examensarbeit einst angewendet): Er erschließt die Literatur über die Biografien der Autoren. Meisten funktioniert das ziemlich gut.
Manchmal geht es aber auch daneben, bei Doderer z. B.: Weidermann schildert kurz und eindringlich, welch verqueren Weg der „Herr aus Wien“ gegangen ist, nämlich in die Partei der Nazis, vor denen sonst (fast) alle Schriftsteller flohen, und die ihn auch gar nicht haben wollten, erwähnt auch dessen moralische Schattenseiten, um daraufhin auch Doderers schriftstellerisches Werk als merkwürdig, fast unsinnig und etwas anrüchig zu charakterisieren. Das ist natürlich nicht ganz falsch – ich wusste bisher nichts über Doderers Leben, habe nicht viel mehr als einen Roman von ihm gelesen, aber das da etwas sexuell-beziehungstechnisch Fragwürdiges und auch eine gewisse altmodische Spießigkeit mitschwingen, das hab ich auch als störend wahrgenommen – aber das ändert doch nichts am Witz, an der Sprachgenauigkeit, halt dem großen schriftstellerischen Können dieses Autors!
Trick Nr. 2 von Weidermann: subjektive, bewusst ungerechte Urteile. Und natürlich funktioniert das natürlich am besten bei den Autoren, die er liebt, Max Frisch z. B. Was mich betrifft, ich kann ja Max Frisch nicht ausstehen. Aber durch Weidermanns Liebeserklärung, da habe ich zum ersten Mal verstanden, weshalb viele Menschen Frischs Bücher so hoch schätzen: Frisch ist der Schriftsteller des Egozentrismus: geschichtslos, selbstverliebt, an sich selbst zweifelnd. Und immer auf der Suche nach dem individuellen Kern des eigenen Selbst, den man natürlich nie erblicken wird, solange man ihn krampfhaft fixiert. Diese tragische Ich-Suche hat Frisch in der Tat gedanklich tief und sprachlich überzeugend inszeniert. Und offenbar hat er damit ein Thema angesprochen, das die deutsche Gesellschaft seit Jahrzehnten umtreibt.
Wenn Weidermann die Leute nicht mag, also tendenziell eher die Gefühligen, die Hippies, Frauen usw., dann geht dagegen meistens was schief. Bei Plenzdorf mags noch angehen, der kriegt den Erfolgreichen-Bonus. Weidermann mag ihn zwar nicht, er erkennt aber neidlos an, dass „Die neuen Leiden ...“ und „Paul und Paula“ den Nerv der Zeit trafen. Die eventuellen schriftstellerischen Qualitäten Plenzdorfs sind ihm dann kein Thema mehr.
Bei Christa Wolf umgekehrt: Er beweist, dass er ihre Qualitäten sehr wohl erkennt: „Nachdenken über Christa T. ist am unsichersten im Ton, am suchendsten, am tastendsten, am zweifelndsten und deshalb ihr bestes Buch.“ (S. 141) Und dann macht er sie wider besseren Wissens als klischeehaft und kitschig nieder. Kein Wort über das Emanzipative, das ihrem Tasten, ihrem Suchen innewohnt. Dass man jenseits des Rationalismus freiheitlich denken kann, geht ihm wohl nicht ein. Selbst bei Ingeborg Bachmann vermag er keinen Freiheitsimpuls zu erkennen – er unterstellt ihr sogar, sie würde auf den Märchenprinzen warten, auf einen Märchenprinzen in Gestalt eines großen Dichters. Was für ein Blödsinn.
Das Attribut „kitschig“ ist bei ihm sowieso eher weiblich konnotiert. Christa Wolf und Nelly Sachs sind kitschig. Ingo Schulze bleibt von diesem Vorwurf verschont. (Immerhin, das muss man Weidermann anerkennen, macht er einmal eine Ausnahme: Bernhard Schlink bekommt, obwohl männlich, auch das Attribut "kitschig" – und sicher nicht zu Unrecht.)
Mehr Verständnis hat Wiedermann allerdings für die Meckerer. Dem Berühmtesten ihnen, Thomas Bernhard, widmet er viele Seiten. Den großen Meckerer Wolf Biermann wagt er entgegen dem Zeitgeist zu loben. Und die Oberzicke Monika Maron hält er für eine große Schriftstellerin (und Flugasche, diesen verlogenen Roman des abtrünnigen soz.Realismus für große Kunst) - er steht halt auf Motzen und Weltekel.
Und zum Schluss der Gipfel: Er lässt sein Buch mit Christian Kracht enden! Aber das ist vielleicht auch einfach eine Sache seiner Weltsicht. Wenn sich Frank Schulz mühsam mit journalistischen Jobs über Wasser hält (ich hab mal im Intercity in "DB mobil“ oder wie das heißt einen Artikel von Schulz gelesen), nennt er ihn „den seit zehn Jahren arbeitslosen ehemaligen Redakteur eines kleinen Anzeigenblättchens“ (S. 270f.), wenn sich Christian Kracht vom Geld seines Vaters besäuft und dabei ein bisschen schreibt: „Er war als Reporter des Magazins Tempo unterwegs.“
Weidermann mag halt Tempo. Und ich muss zugeben, das liest sich gut. Glauben muss man ihm nicht.

P.S. Wer Gehaltvolles übr Kracht lesen will, sehe lieber hier nach.

... comment

<