Donnerstag, 13. September 2012
Geld macht nicht glücklich
Ich gebe zu, dass ich auch zu den Menschen gehöre, die manchmal im Netz nachschnüffeln, was so aus den Leuten und insbesondere den Frauen geworden ist, die realiter längst aus meinem Leben verschwunden sind. Die sind ja alle irgendwo verzeichnet, oft sogar mit Foto. Heute traf ich auf ein Zeitungsfoto, das X. darstellt. Vor gut zwanzig Jahren knisterte es gewaltig zwischen uns, sie war ein phantastisches, wunderbar ungelenkes Luftwesen; meine Neigung zu Ironie, Dekadenz, Katholizismus und Helge Schneider verdanke ich im Wesentlichen ihr. Na, aber jetzt scheint sie nun wohl doch noch eine ganz normale Gymnasiallehrerstelle abgestaubt zu haben, irgendwo in der Uckermark. Jedenfalls sieht man sie auf dem Zeitungsfoto skeptischen Blicks vor einer Backsteinkirche stehen, immer noch zart und unelegant, und vor sich eine Horde blühend pubertärer Dorfgesichter. Ein trauriges Foto.
Wie anders dagegen Y., deren Foto ich vor einigen Monaten begegnete! Y. war damals die Schönste von den linken Asta-Leuten, hatte wild wehende, rotblonde Locken und ein rundes, rosiges Gesicht. Sie bewegt sich offenbar noch immer in solchen linken Projekt-Kreisen, in einer westdeutschen Großstadt, hat zwei Bücher geschrieben, deren Titel interessant klingen, die aber in Winkelverlagen erschienen sind. Das Netz verzeichnet auch ihre berufliche Position, von der offensichtlich ist, dass sie kaum Geld einbringen kann. Auf dem Foto sieht man sie mit lokalen Honoratioren in einer Ausstellung, älter geworden, mit Hennahaaren und Hosenanzug, zugewandt, freundlich, heiter gelassen ins Gespräch vertieft. Beneidenswert.
Genauso Z. Als wir uns kannten, war sie noch halb die brave, hübsche Schuldirektorstochter, in den Wirren der Wendezeit begeisterte sie sich für Esoterik, bald darauf verschwand sie für ein Jahr in die Toscana. Jetzt arbeitet sie wohl in einem Kulturprojekt für Jugendliche im Brandenburgischen, das keinen sehr gut finanzierten Eindruck macht. Anlässlich eines Zeitungsartikels über benachteiligte Jugendliche, mit denen sie arbeitet, sieht man sie auf dem Foto in einem Garten voller wucherndem Grün sitzen, in Jeans, mit hochgestecktem Haar, lachend, cool und entspannt.
Während N.N. immer noch völlig verspannt ist. Sie zählt zwar nicht zu den Frauen, an denen ich ein erotisches Interesse hatte, aber wir haben uns sehr gut verstanden, damals, als wir zur gleichen Zeit an benachbarten Fachbereichen promovierten und einiges zusammen unternahmen. Über gemeinsame Bekannte weiß ich, dass sie nach der Dr.-Arbeit eine Archivarsausbildung gemacht hat und inzwischen verbeamtet ist. Das Internet nennt etliche Veröffentlichungen und Vorträge von ihr. Und ein Foto zeigt sie in einem Archivkeller, wie sie mit einem Regionalpolitiker hinter einem metallenen Aktenschrank hervorkommt: kalt von Neonlicht beleuchtet, schick und korrekt gekleidet, mit verbissenem Gesichtsausdruck.
Die Beispiele mögen jetzt zufällig sein, aber ich hab sie so erlebt. Und mir drängt sich der Verdacht auf, dass die allseits begehrten Staatsstellen auch nicht so glücklich machen, wie allgemein angenommen.
Aber vielleicht täusche ich mich ja. Vor allem für X. wünsche ich, dass ich mich täusche.

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Skizzen
sind das jedenfalls, die darauf hinweisen, daß es langweilig nicht gewesen sein in Ihrer «Normalität». Bei mir löst das auch den Gedanken aus, wie schwierig es war, vor zwanzig Jahren etwas über Menschen in Erfahrung zu bringen, die einem völlig aus dem Blickfeld geraten sind. Ich habe diese Ihre Zeilen gern gelesen. Fast bin ich versucht, selbst die Suchmaschinen anzuwerfen.

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Komisch, dass gerade Sie das sagen - denn es geht mir doch bei Ihnen umgekehrt genauso: Ich lese so oft bei Ihnen, dass Sie diesen gekannt haben oder für jenen ein Vorwort geschrieben und den weniger Prominenten sind Sie dann auf französischen Marktplätzen begegnet ... sicher war es auch bei mir manchmal interessant, nur merke ich das in der Regel erst hinterher. Ja, ich vertraue sogar darauf, dass ich in meinem jetzigen Leben, das mir ziemlich langweilig vorkommt, in Jahren und im Nachhinein auch noch genug Spannendes entdecken werden. (Daher die Überschrift meines Blogs.)
Ich freue mich auch deshalb über Ihre Reaktion, da sie mir zeigt, dass Betrachtungen, wie ich sie einst in Tagebücher kritzelte, auch in der halb-Öffentlichkeit des Internets funktionieren können.

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"was so aus den Leuten und insbesondere den Frauen geworden ist, die realiter längst aus meinem Leben verschwunden sind."
Ich hab das auch ein paar Mal versucht und keine einzige Person wiedergefunden. Keiner hat 'ne Website, niemand wird in Google erwähnt... Ich fand das schade.

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