Dienstag, 31. Mai 2011
Im Falladahaus, Teil 2
damals, 22:33h
So begann mein Leben als Angestellter des staatlichen Bildungswesens. Jeden Morgen um 10 vor Acht dieses Treppenhaus hinunter hasten, vorbei an der Blumenbank von Tomaschek und Winkler, vorbei an dem blinzelnden Herrn Minski, der immer mit einer Kehrschaufel oder einem Besen Spalier stand am Hoftor oder in der halbgeöffneten Tür seiner Erdgeschosswohnung. Schnell über die Straße, dann waren es nur noch hundert Meter bis zur Goethestraße, wo sich der Berufsverkehr drängte und mit laut vorbeidonnernden LKWs das gegenüberliegende Schultor verdeckte. Mittags denselben Weg zurück – jetzt war Minski nie zu sehen, ja und dann die endlosen Nachmittage, die Blicke von den Klausuren auf nach den Wolken im Fenster, die kurzen Begegnungen mit Frau Jordan, wenn ich den Mülleimer rausbrachte und sie plötzlich mit Einkaufstüten bepackt hinter einem der Schränke hervorkam, die einsamen Spaziergänge am Fluss – das war der einzige Ort, wo man keinem Schüler begegnete -, auf dem Rückweg der Einkauf bei Rewe, wo dienstags und donnerstags die hübsche Verkäuferin an der Schnellkasse saß, und alle drei Wochen Herr Tomaschek auf dem Treppenabsatz, das Vokabelheftchen für die Treppenhausreinigung in der Hand: „Sie sind dran, Herr P.! Denken Sie doch bitte diesmal auch an die Fensterbänke!“
Einmal aber sah ich Herrn Tomaschek ohne sein Heftchen am Treppenabsatz stehen, als ich aus der Stadt kam. „Ach, Herr P.“, sagte er, „Haben sie einen Moment Zeit. Darf ich Sie kurz herein bitten?“ Ehe ich mich versah, stand ich im Wohnzimmer von Tomaschek und Winkler, und die beiden Männer drängten mich mit verlegenen Gesten auf eine Couchgarnitur, die von Kissen und bunten Wolldecken überwuchert war. Die Nachmittagssonne schien mir direkt ins Gesicht. Winkler, ein langer, dünner Mensch mit einem kleinen, schon ergrauten Schnurrbärtchen, öffnete die Glastüren eines Schrankes und holte Likörgläser hervor. Dann saßen wir alle, und die beiden redeten auf mich ein: Auf die gute Nachbarschaft und ich solle nicht böse sein, wenn anlässlich der Treppenhausreinigung mal ein scharfes Wort gefallen sei, das meine doch niemand so. Und manchmal finde Hausmusik bei ihnen statt – Herr Winkler spiele Geige, Frau Jordan Klavier und die anderen sängen, manchmal sogar Herr Minski (das möchte ich hören, dachte ich, und unterdrückte das Grinsen). Ob ich nicht auch kommen möchte. Ob ich Musik liebe. Ob ich Frau Jordan nie durch die Wand gehört hätte, wenn sie nachmittags übt. „Doch, natürlich. Jeden Tag. Sie spielt sehr schön.“ Dieser Satz war offenbar ein Fehler: Die beiden Männer wurden gemütlich. Tomaschek lehnte sich zurück und begann von einem Bach-Konzert im Dom zu berichten. Winkler zupfte an seiner Fliege. Ich sagte nichts. Plötzlich war ich ein Gefangener, saß fest in einer tiefen Couch und hatte ein geschliffenes Likörglas in der Hand, gefüllt mit einer Flüssigkeit, die doch recht verdächtig roch. Jetzt hieß es, sich geschickt zu verhalten. Einen unauffälligen Abgang zu finden. Ich erklärte mit gespieltem Bedauern, dass ich kein Instrument spiele. Dass ich auch bei den Bach-Tagen im Dom nicht gewesen sei. Dass ich nicht singen könne. Die irritierten Gesichter der beiden signalisierten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Es gelang mir, zu einer Entschuldigung anzusetzen, die den Weg zu Tür freimachte. Eine Minute später war ich wieder im Treppenhaus. Ging hoch ins Dachgeschoss und verschwand hinter den Schränken im Dunkel; ich machte kein Licht an, ich fand das Schlüsselloch auch so.
An meinem Arbeitstisch am Fenster ließ ich erst mal den Computer hochfahren. Er piepste, und ich setzte mich an meine Unterrichtsvorbereitungen. Das war gut, wieder so im Vertrauten zu sein. Welche Quellen eignen sich für meinen zwölfer Grundkurs, wo muss ich vorsichtig sein. Ich war schnell bei den richtigen Ideen, hatte aber keine Lust, sie genauer durchzudenken, wie es ein Anfänger ja wohl muss. Vielleicht hätte ich nicht so abweisend gegen Tomaschek und Winkler sein sollen, immerhin war ich neu in diesem Haus und wusste nichts über die Gepflogenheiten zwischen den Mietern. Na ja. Auf einmal war es schon ganz dunkel, ich hatte gar nicht gemerkt, wie lang ich in den leeren Himmel gestarrt hatte. Ich weiß nicht, was plötzlich los war, die Gören gingen mir so was von auf den Nerv, wieso sollte ich denen noch mundgerechte Quellen vorlegen. Ich ging zum Kühlschrank und machte mir ein Bier auf.
Einmal aber sah ich Herrn Tomaschek ohne sein Heftchen am Treppenabsatz stehen, als ich aus der Stadt kam. „Ach, Herr P.“, sagte er, „Haben sie einen Moment Zeit. Darf ich Sie kurz herein bitten?“ Ehe ich mich versah, stand ich im Wohnzimmer von Tomaschek und Winkler, und die beiden Männer drängten mich mit verlegenen Gesten auf eine Couchgarnitur, die von Kissen und bunten Wolldecken überwuchert war. Die Nachmittagssonne schien mir direkt ins Gesicht. Winkler, ein langer, dünner Mensch mit einem kleinen, schon ergrauten Schnurrbärtchen, öffnete die Glastüren eines Schrankes und holte Likörgläser hervor. Dann saßen wir alle, und die beiden redeten auf mich ein: Auf die gute Nachbarschaft und ich solle nicht böse sein, wenn anlässlich der Treppenhausreinigung mal ein scharfes Wort gefallen sei, das meine doch niemand so. Und manchmal finde Hausmusik bei ihnen statt – Herr Winkler spiele Geige, Frau Jordan Klavier und die anderen sängen, manchmal sogar Herr Minski (das möchte ich hören, dachte ich, und unterdrückte das Grinsen). Ob ich nicht auch kommen möchte. Ob ich Musik liebe. Ob ich Frau Jordan nie durch die Wand gehört hätte, wenn sie nachmittags übt. „Doch, natürlich. Jeden Tag. Sie spielt sehr schön.“ Dieser Satz war offenbar ein Fehler: Die beiden Männer wurden gemütlich. Tomaschek lehnte sich zurück und begann von einem Bach-Konzert im Dom zu berichten. Winkler zupfte an seiner Fliege. Ich sagte nichts. Plötzlich war ich ein Gefangener, saß fest in einer tiefen Couch und hatte ein geschliffenes Likörglas in der Hand, gefüllt mit einer Flüssigkeit, die doch recht verdächtig roch. Jetzt hieß es, sich geschickt zu verhalten. Einen unauffälligen Abgang zu finden. Ich erklärte mit gespieltem Bedauern, dass ich kein Instrument spiele. Dass ich auch bei den Bach-Tagen im Dom nicht gewesen sei. Dass ich nicht singen könne. Die irritierten Gesichter der beiden signalisierten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Es gelang mir, zu einer Entschuldigung anzusetzen, die den Weg zu Tür freimachte. Eine Minute später war ich wieder im Treppenhaus. Ging hoch ins Dachgeschoss und verschwand hinter den Schränken im Dunkel; ich machte kein Licht an, ich fand das Schlüsselloch auch so.
An meinem Arbeitstisch am Fenster ließ ich erst mal den Computer hochfahren. Er piepste, und ich setzte mich an meine Unterrichtsvorbereitungen. Das war gut, wieder so im Vertrauten zu sein. Welche Quellen eignen sich für meinen zwölfer Grundkurs, wo muss ich vorsichtig sein. Ich war schnell bei den richtigen Ideen, hatte aber keine Lust, sie genauer durchzudenken, wie es ein Anfänger ja wohl muss. Vielleicht hätte ich nicht so abweisend gegen Tomaschek und Winkler sein sollen, immerhin war ich neu in diesem Haus und wusste nichts über die Gepflogenheiten zwischen den Mietern. Na ja. Auf einmal war es schon ganz dunkel, ich hatte gar nicht gemerkt, wie lang ich in den leeren Himmel gestarrt hatte. Ich weiß nicht, was plötzlich los war, die Gören gingen mir so was von auf den Nerv, wieso sollte ich denen noch mundgerechte Quellen vorlegen. Ich ging zum Kühlschrank und machte mir ein Bier auf.
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