Montag, 11. April 2011
Feminismus von rechts
... oder sogar „Völkischer Feminismus“, das wären angemessene Überschriften für meine Rezension zu Sofi Oksanens „Fegefeuer“.
Es geht um zwei Schwestern, Ingel und Aliide, die das Schicksal Estlands im 20. Jahrhundert verkörpern. Ingel, die ältere, trägt einen blonden Haarkranz, wie er damals in ländlich-völkischen Kreisen üblich war, und kann alles, was eine estnische Bauersfrau so können muss, einkochen, putzen, sticken usw., aus einer unerklärlich Rundumbegabung heraus perfekt, und sie bekommt natürlich auch den Wunder-Super-Mann Hans. Aliide ist ihre kleine Schwester und Neiderin. Sie wirbt vergeblich um Hans, kriegt auch sonst nichts auf die Reihe und führt Böses im Schilde.
An den Feminismus, wie er hierzulande üblich ist, erinnerte mich, dass es um Frauenprobleme geht und alle Männer blasse Nebenfiguren bleiben – außerdem, dass das Herz der Autorin an der Hexe hängt. Insofern bietet sich eine erfrischende Sicht auf die Welt: endlich mal eine Geschichte jenseits der üblichen männlichen Bildungsroman- oder Western-Erzählstruktur. Anders als im üblichen Feminismus verbindet sich diese Sicht aber in keiner Weise mit irgendeiner kritischen Einstellung, nicht in einem aufklärerischen und erst recht nicht in einem mystisch-ganzheitlichen Sinne. Denn das Herz der Autorin hängt zwar an der Hexe, aber die Hexe ist wirklich böse - einsam, Opfer und böse. Irgendeine Art überindividuellen Bezugs (der ja meines Erachtens jede Hexe auszeichnet) – zum Kosmos, zum Schicksal, zur Natur oder wenigstens zu irgendwelchen anderen Kreaturen – gibt es nicht. Der einzige gültige überindividuelle Maßstab ist ein reaktionärer Nationalismus – die Esten sind alle an sich gut (sofern sie sich nicht den Russen andienen), die Russen stinken grundsätzlich nach Zwiebeln und entbehren jeder schöpferischen Fähigkeit, sie können nur zerstören. Und die Juden – gibt es gar nicht, es sei denn als servile Russendiener.
Und so passiert, was passieren muss. Ingel heiratet Hans, übernimmt den Hof und wirtschaftet erfolgreich. Aliide bleibt als Hilfskraft und Neiderin im Haus geduldet. Erst als die Russen kommen, beginnt ihre Zeit. Sie hilft Ingel, Hans (der sich den Partisanen angeschlossen hat) zu verstecken, um diesen so doch noch für sich gewinnen zu können. Nach der Folterung und Vergewaltigung durch Russen, die Hans suchen, den sie aber nicht verrät, wird sie KGB-Spitzel, heiratet einen moskautreuen Esten (der – als Kennzeichen seiner verräterischen Gesinnung – ebenfalls nach Zwiebeln stinkt) betreibt die Deportation ihrer Schwester und Nichte nach Ostsibirien, übernimmt den Hof und versorgt Hans alleine weiter, ohne dass dieser etwas von der Deportation seiner Familie mitbekommt. Als Hans sich weigert, mit ihr gemeinsam ein neues Leben unter einer neuen Identität in Tallin (also der bösen Großstadt) zu beginnen, tötet sie ihn. Ihre Rehabilitation als Figur wird bewerkstelligt, indem sie in einem zweiten Handlungsstrang an ihrem Lebensende die Enkelin Ingels rettet, die auf der Flucht aus der Zwangsprostitution in Deutschland bei ihr Schutz sucht, indem sie deren Zuhälter, ehemalige russische Geheimdienstoffiziere, erschießt.
Was für eine gemeine, schmeißfliegenhafte Geschichte! (Die penetrante, fleischgierige Fliege ist das Zentralsymbol des Buches.) Es verleidet einem die Genugtuung darüber, dass auch einmal die stalinistischen Verbrechen – bis hin zu deren Folgeelend in Form von Russenmafia und Menschenhandel – in den Blickwinkel des westlichen Lesepublikums geraten. Denn was hat man von dem überdeutlichen Ausmalen der Verbrechen, wenn dem nichts gegenübersteht als vorgestriger, nationalistischer Kitsch?! Wie viel Schreckliches kann man erleben, ohne auch nur irgendetwas zu kapieren?

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