Dienstag, 24. März 2009
Hans Erich Nossack: "Der Untergang" (1943)
Der Ton macht die Musik nicht und „Le style c'est l`homme“ – das stimmt auch nicht. Was ich da nämlich auf dem Bücherflohmarkt unserer Gemeinde fand und mit nach Hause trug (neben Christa Wolfs „Leibhaftig“, Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ und einem Schulbuch über die Hamburger Sturmflut von 1962), das klang, als ich anfing, es zu lesen, so verstaubt und ultrakonservativ wie Ernst von Salomon, der dort auch auf jedem der Wühltische umherlag. Aber war es nicht.
Sondern ein spannender autobiografischer Bericht von mitreißender Authentizität. Nossacks Frau hatte ein Häuschen, wohl eher eine Hütte, gemietet für vierzehn Tage, in der Heide südlich Hamburgs, und der Autor selber war ihr gefolgt. Drei Tage später fielen die Bomben, ein paar Tage und Nächte lang, Nossack sah sie am Nachthimmel heranfliegen und erfuhr kurze Zeit später, als die ersten Flüchtlinge den Ort erreichten, dass auch sein Haus nicht mehr stehen würde. Nach einigem Zögern entschließt sich das Ehepaar Nossack, nach Hamburg zu fahren. Sie besichtigen die Reste des Büros (Nossack hatte die kleine Importfirma seines Vaters geleitet) sowie ihre Straße, wo ihr Haus tatsächlich nicht mehr vorhanden ist – und auch der im Nachbarkeller verwahrte Koffer bereits gestohlen.
So weit die Handlung des Textes. Was den Stil betrifft, hatte ich anfangs wie gesagt meine Schwierigkeiten: Vom „Auftrag“, etwas zu schreiben, wurde da geredet, vom Schicksal geraunt und viel mystisch um die Sachen herumgeredet, wie man das in den dreißiger/vierziger Jahren eben so machte. Denn der Text ist Ende 1943 entstanden, ein halbes Jahr nach den Ereignissen. Ja, aber so ist das eben, das wurde mir schnell klar: Wer in seiner Zeit lebt und lebendig ist, der redet auch im Stil seiner Zeit, wenn er nicht völlig abgedreht ist. Und was mich beeindruckte: dass dieser Autor, der stilistisch ganz zeitbefangen ist (nenn es Nazistil, nenn es prä-existenzialistisch, nenn es Mystizismus – ganz egal), politisch so frei ist, wie man es nur sein kann, wenn man sich seiner Zeit nicht verweigert. (Und er war Kommunist, wie ich später bei Wikipedia nachlas, er hätte das Recht gehabt, politisch rumzumotzen.)
Aber er tut es nicht. Wer zum Beispiel an diesem Krieg Schuld ist, macht er nicht zum Thema. Ideologie ist nicht seine Sache. Er sieht die Bomber, er sieht das Unrecht und er benennt es. Und die Wenigen, die neben ihm stehen und abgeschossene Bomber bejubeln, für die hat er nur kopfschüttelnde Verachtung. Morden ist Unrecht, so oder so.
Insofern hat er mit seinem Schicksalraunen ja sogar auch Recht: Ein solcher Krieg bedeutet den Untergang der Zivilisation. Wir viel später Geborenen wissen ganz selbstverständlich, dass in diesen Jahren die Moderne untergegangen ist – und dass seitdem die August-Macke-Bilder nur noch als Kitsch-Objekte möglich sind und „Berlin Alexanderplatz“ keinen Menschen mehr aufregt. Aber er sah es schon im Moment des Geschehens.
Ergreifend an dieser Geschichte ist auch, dass Nossack diesen Untergang als Befreiung erlebt. Da gehört schon einige Größe dazu: Ein verbotener, erfolgloser Schriftsteller, dem der schriftliche Ertrag von Jahren, Jahrzehnten soeben verbrannt ist: der fühlt sich befreit. Und der fühlt, wie die Ordnungsmacht, die diktatorische Ordnungsmacht, nach dem ersten Schock schon wieder zu dirigieren versucht: die Flüchtlingsmassen kanalisiert, die zerbombten Stadtteile absperrt – und er beschließt, mit Hilfe seiner heimatliebenden Frau, nicht Flüchtling zu werden, sich nicht aufzugeben, sondern zurückzukehren in die zerstörte Stadt, die sein Zuhause ist.
So möchte man leben. Ist mir ein Vorbild.

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