Donnerstag, 15. Januar 2009
Meine scharfsinnige Analyse von Uwe Tellkamps "Der Turm", Teil 2
damals, 21:38h
Im zweiten Teil des Buches nimmt das Tempo zu, die Länge der Sätze ab. Menos Lieblingsautorin Judith Schevola wird vom Schriftstellerverband geschasst, Christian kommt zur Armee. Die anderen Figuren machen weiter wie bisher, was angesichts der Umstände immer alberner wird.
Denn die Armeegeschichte um Christian bringt auf den Punkt, wie schlimm alles ist. Kein Platz mehr für Lyrik. Die brutalen Quälereien im Zuge der berüchtigten EK-Bewegung veranlassen Christian stillzuhalten und sich später einer der brutalsten, aber auch souveränsten Figuren anzuschließen: dem Schwarzhändler Pfannkuchen. Endlich gelingt es Christian, in einer überbordenden Situation seine Wut herauszubrüllen. Die Folge ist Schwedt, der Militärknast. Sein Beschützer Pfannkuchen, der ihm beigesprungen ist, muss mit ihm gehen. Es ist ein grausiger Weg, der da beschrieben wird, und besonders grausig ist, dass es für Christian ein Weg in die Emanzipation ist.
Am Ende zerfällt die DDR und man kann nicht mal richtig froh sein. Höchstens erleichtert.
Und was fand ich an dem Buch nun so gut? Das, was der Literaturkritiker Denis Scheck so furchtbar daran fand: dass es „nach Schweiß“ stinkt. Tellkamps Buch ist das Gegenteil von Breloers diszipliniert kalkulierten Werken. Da hat sich einer sehr viel vorgenommen und ist in vielem davon gescheitert, in manchem nicht. Da spürt man in jeder Zeile, dass da ein Mensch um seine Sprache kämpft. Er probiert es mal mythisch-metaphorisch, mal sachlich berichtend, mal satirisch. Sowohl was den Handlungsfaden als auch was den Stil betrifft, setzt er immer wieder neu an, als hätte er den Eindruck, es wieder nicht auf den Punkt getroffen zu haben. Dadurch entsteht ein Buch, das schwer zu lesen, aber ungeheuer reich ist. Nichts ist so, wie es scheint. Die Bewertungen der Figuren werden wieder und wieder umgedreht. Immer, wenn man hundert Seiten gelesen hat, sieht dieselbe Welt wieder völlig anders aus.
Und wenn Ihr mich fragt: Auf den Punkt getroffen hat Tellkamp meistens da, wo er sich am wenigsten anstrengt - in der Beschreibung kleiner Alltagssituationen, die „in nuce“ das ganze Stimmungs- und Konfliktpotential der späten DDR offenbaren.
Vielfach hört man die Meinung, „Der Turm“ sei ein genüsslich zu lesendes Buch, das die Welt der Bildungsbürger nostalgisch heraufbeschwört. Oder gar ein Buch, das sich zur Aufgabe gemacht hätte, die nachträgliche Verklärung der politischen Verhältnisse in der DDR zu entlarven. Nichts ist falscher, nichts ist oberflächlicher als solche Meinungen. „Der Turm“ hat keine platten Botschaften, er ist auch nicht gut zu lesen, die Schätze in ihm, die muss man suchen. Er ist depressiv und schüchtern aufbegehrend, selbstgerecht und angepasst, ärgerlich platt und beeindruckend feinsinnig. Alles, was man will. Nehmt Euch die Zeit und sucht Euren Schatz aus diesem herrlichen Wildwuchs.
Denn die Armeegeschichte um Christian bringt auf den Punkt, wie schlimm alles ist. Kein Platz mehr für Lyrik. Die brutalen Quälereien im Zuge der berüchtigten EK-Bewegung veranlassen Christian stillzuhalten und sich später einer der brutalsten, aber auch souveränsten Figuren anzuschließen: dem Schwarzhändler Pfannkuchen. Endlich gelingt es Christian, in einer überbordenden Situation seine Wut herauszubrüllen. Die Folge ist Schwedt, der Militärknast. Sein Beschützer Pfannkuchen, der ihm beigesprungen ist, muss mit ihm gehen. Es ist ein grausiger Weg, der da beschrieben wird, und besonders grausig ist, dass es für Christian ein Weg in die Emanzipation ist.
Am Ende zerfällt die DDR und man kann nicht mal richtig froh sein. Höchstens erleichtert.
Und was fand ich an dem Buch nun so gut? Das, was der Literaturkritiker Denis Scheck so furchtbar daran fand: dass es „nach Schweiß“ stinkt. Tellkamps Buch ist das Gegenteil von Breloers diszipliniert kalkulierten Werken. Da hat sich einer sehr viel vorgenommen und ist in vielem davon gescheitert, in manchem nicht. Da spürt man in jeder Zeile, dass da ein Mensch um seine Sprache kämpft. Er probiert es mal mythisch-metaphorisch, mal sachlich berichtend, mal satirisch. Sowohl was den Handlungsfaden als auch was den Stil betrifft, setzt er immer wieder neu an, als hätte er den Eindruck, es wieder nicht auf den Punkt getroffen zu haben. Dadurch entsteht ein Buch, das schwer zu lesen, aber ungeheuer reich ist. Nichts ist so, wie es scheint. Die Bewertungen der Figuren werden wieder und wieder umgedreht. Immer, wenn man hundert Seiten gelesen hat, sieht dieselbe Welt wieder völlig anders aus.
Und wenn Ihr mich fragt: Auf den Punkt getroffen hat Tellkamp meistens da, wo er sich am wenigsten anstrengt - in der Beschreibung kleiner Alltagssituationen, die „in nuce“ das ganze Stimmungs- und Konfliktpotential der späten DDR offenbaren.
Vielfach hört man die Meinung, „Der Turm“ sei ein genüsslich zu lesendes Buch, das die Welt der Bildungsbürger nostalgisch heraufbeschwört. Oder gar ein Buch, das sich zur Aufgabe gemacht hätte, die nachträgliche Verklärung der politischen Verhältnisse in der DDR zu entlarven. Nichts ist falscher, nichts ist oberflächlicher als solche Meinungen. „Der Turm“ hat keine platten Botschaften, er ist auch nicht gut zu lesen, die Schätze in ihm, die muss man suchen. Er ist depressiv und schüchtern aufbegehrend, selbstgerecht und angepasst, ärgerlich platt und beeindruckend feinsinnig. Alles, was man will. Nehmt Euch die Zeit und sucht Euren Schatz aus diesem herrlichen Wildwuchs.
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jean stubenzweig,
Freitag, 16. Januar 2009, 12:43
Differenziert ausgeleuchtet
liest sich das bei Ihnen hier. Es gibt also in Blogdorf immer was zu entdecken. Dank (für die letzten fünf Texte). Ich bleibe dran.
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nhpt42,
Sonntag, 8. März 2009, 21:49
zu Tellkamps Roman
Ich gestehe, ich habe ihn nicht so sorgfältig gelesen, kann die Bewertung aber nachvollziehen - manches wirkt wirklich etwas aufgesetzt, wenn es in die Feinheiten der Musik, der Technik oder der Natur geht.
Auch Gustav Seibt hatte eine Besprechung in der SZ, die voll des Lobes über das unerklärliche Wunder des Erfolgs des Romans war. Ich habe Herrn Seibt meinen Eindruck der Kolportagelastigkeit mitgeteilt, den er interessiert zur Kenntnis genommen hat.
Auch Gustav Seibt hatte eine Besprechung in der SZ, die voll des Lobes über das unerklärliche Wunder des Erfolgs des Romans war. Ich habe Herrn Seibt meinen Eindruck der Kolportagelastigkeit mitgeteilt, den er interessiert zur Kenntnis genommen hat.
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damals,
Sonntag, 17. Januar 2010, 17:33
Kleine Korrektur
Da es sich bei dieser Seite um eine der meist angeklickten meines Blogs handelt, möchte ich der Gerechtigkeit halber noch folgenden Nachtrag hinzufügen: Dorothea Dieckmann hat in der NZZ festgestellt, dass Tellkamp eine Passage von dem Dresdner Autor Jens Wonneberger abgeschrieben hat:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur/sorgfaeltig_abgeschrieben_1.4260528.html.
Meine Bewertung des Romans ändert dieses Detail insofern, als es sich bei dem Abgeschriebenen um die einzige meiner Lieblings-Passagen aus Tellkamps Roman handelt, die nicht im engeren Sinn zu dem autobiografischen Handlungsstrang um Christian Hoffmann gehören.
Meine in der obigen Interpretation geäußerte Verwirrung über das Durch- und Nebeneinander literarisch großartiger und billiger Kitsch-Passagen klärt sich etwas: Offenbar hat Tellkamp eine dichte autobiographische Skizze mutwillig zum Epochenroman aufgeblasen: teilweise mit Kitsch, teilweise mit Qualitätvollem, das andere geschrieben haben.
Vielleicht ist die Parallele zu Thomas Mann, die in der Diskussion war, auf ganz andere Weise richtig: Auch "Die Buddenbrooks" waren ursprünglich als eine kleine, psycholgisch dichte Novelle um einen Vater-Sohn-Konflikt geplant, wurden aber vom Autor dann durch Fleiß und Aktenstudium zu einem konservativen, leicht spießigen Epochenroman umgearbeitet, der allen gefiel.
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur/sorgfaeltig_abgeschrieben_1.4260528.html.
Meine Bewertung des Romans ändert dieses Detail insofern, als es sich bei dem Abgeschriebenen um die einzige meiner Lieblings-Passagen aus Tellkamps Roman handelt, die nicht im engeren Sinn zu dem autobiografischen Handlungsstrang um Christian Hoffmann gehören.
Meine in der obigen Interpretation geäußerte Verwirrung über das Durch- und Nebeneinander literarisch großartiger und billiger Kitsch-Passagen klärt sich etwas: Offenbar hat Tellkamp eine dichte autobiographische Skizze mutwillig zum Epochenroman aufgeblasen: teilweise mit Kitsch, teilweise mit Qualitätvollem, das andere geschrieben haben.
Vielleicht ist die Parallele zu Thomas Mann, die in der Diskussion war, auf ganz andere Weise richtig: Auch "Die Buddenbrooks" waren ursprünglich als eine kleine, psycholgisch dichte Novelle um einen Vater-Sohn-Konflikt geplant, wurden aber vom Autor dann durch Fleiß und Aktenstudium zu einem konservativen, leicht spießigen Epochenroman umgearbeitet, der allen gefiel.
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