Donnerstag, 14. März 2024
Scham und Schreiben
Ich vergrab mich schon wieder in virtuelle Welten, im Moment ist meine täglich Begleiterin „Die Wunde“, ein Buch der russischen feministischen, lesbischen Autorin Oxana Wassjakina über den Tod ihrer Mutter (ein Tipp der FAZ übrigens) – nicht alles darin gefällt, aber vieles fesselt mich, und geschrieben ist es sowieso wunderbar …

Über die Probleme weiblichen literarischen Schreibens bemerkt sie: „In ‚Das Lachen der Medusa‘ bemerkt Hélène Cixous, wir würden immer nur ein bisschen, im Geheimen, schreiben. Und natürlich käme deswegen nicht Gutes heraus, und weil wir es heimlich tun und uns auch noch dafür bestrafen, dass wir die Sache nicht zu Ende bringen; weil wir so schreiben würden wie wir masturbieren, nicht, um immer weiter zu gehen, sondern gerade so viel, um die Anspannung zu lösen. Doch sobald die Entspannung einträte, würden wir uns schuldig fühlen, uns Vergebung und Vergessen wünschen, und dieses Gefühl vergraben bis zum nächsten Mal.“

Treffend bemerkt. Vielleicht kennen Sie es ja auch als Blogger, dieses Gefühl der Schuld, der Scham, ich jedenfalls kenne es: Wie oft musste ich gepostete statements nachträglich verbessern, ergänzen, inhaltlich zurücknehmen oder ganz löschen, insbesondere unter Alkohol geschriebene, wenn es ungefiltert, unkontrolliert, also eigentlich besonders ehrlich aus mir rausplatzt. Und deshalb schreib ich in der Regel auch kontrolliert, gehemmt, gerade nur so viel, wie ich eben schreiben muss, um die Anspannung der Schreiblust loszuwerden und wieder eine Weile ohne die hässlichen Schriftsteller- und „Ich bin wichtig“-Gelüste leben zu können. Und die Bloggerei ist da sogar besonders geeignet, denn sie erzieht zum hastigen, kurzen, erfolglosen Schreiben.

So sehr ich mich also in den Qualen der Frauen wiedererkenne, sind sie doch anders. Wassjakina schreibt weiter: „Immer, wenn ich schrieb, tat ich es zwischendurch, als sei das Schreiben etwas Unnötiges, Schäbiges und Sinnloses. Ich schrieb in der Metro, in der Pause zwischen der Arbeit und dem Essen, beim Essen. Ich wies dem Schreiben einen Platz zu, der zweitrangig war, damit seine Bedeutungslosigkeit nicht so offensichtlich wurde.“

Also: Die Scham und das Sich-selbst-Verbannen in die Bedeutungslosigkeit, das haben wir gemeinsam. Was aber anders ist: Wassjakina traut der Wichtigkeit ihrer Worte nicht, hält es nicht für wichtig, sich und ihre Wahrheit der Welt mitzuteilen, nimmt also ihre Diskriminierung als Frau selbst schon vorweg. Aber dass ihre Wahrheit Wahrheit ist, daran zweifelt sie nicht.

Ich als bildungsbürgerlich sozialisierter Mann erlebe es umgekehrt. Ich zweifle nicht daran, dass ich schreiben muss, dass es wichtig ist, dass ich schreibe, dass ich den genialischen Impuls habe zu schreiben, dass ich zu schreiben berufen bin und dass das zu mir gehört. Mein Schreiben ist nicht in Gefahr, in meinen Augen zweitrangig zu werden (ich bin ja ein Mann) – es ist in Gefahr unwahr zu sein. Ich kann gut schreiben, also kann ich gut belügen, andere wie mich selbst. Wenn ich schreibe, gerate ich unversehens in narzisstische Selbststilisierung – und muss befürchten, beim Tricksen ertappt zu werden (wie hier schon oft geschehen) – und nie das sagen zu können, was ich innersten Herzen ausdrücken will. Immer nur Prätentiöses oder scheinrationale Debatten. Das ist meine, die männliche Schreibscham, sie verhält sich spiegelbildlich zu der der russischen Feministin auf ihrer Reise durch Sibirien.

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Auf der allerletzten Seite meines damals analog geführten Tagebuchs hab ich mich dazu schon mal geäußert, ich zitierte Wolfgang Hilbigs genialen Satz darüber: „Jetzt war er zum Schriftsteller erklärt worden, und plötzlich war ihm die Sprache, die er früher mitbewohnt hatte, zu einem Raum geworden, aus dem er ausgeschlossen war.“ („Ich“, S. 131)

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