Donnerstag, 2. Februar 2012
Lichtenhagen
Den Namen "Lichtenhagen" hörte ich das erste Mal, als wir 1979 dorthin eine Klassenfahrt unternahmen. Und nun guckt euch doch mal diese verqueren, verlorenen Gesichter an auf unserem Klassenfoto vor der Lichtenhagener Schule! Damit ist doch wohl alles klar!


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Irrtümer
Manchmal ist man sich seiner selbst sehr sicher und dennoch im Irrtum. Das fiel mir ein, als ich bei der schönen Diskussion über meinen letzten Beitrag an mein Schulpraktikum 1992 in Rostock erinnert wurde.
Ich schmunzelte damals ziemlich überlegen in mich hinein, als ich im Sozialkundeunterricht hospitierte, wo eine ehemalige Staatsbürgerkunde-Lehrerin versuchte, die aktuellen Ereignisse für ihre sechzehnjährigen Schüler fassbar zu machen. Sie gab ihnen ein Zitat von Freud über den Aggressionstrieb – mit dem Unterrichtsziel, dessen bürgerliche Haltung als falsch zu erkennen, weil ja immer das Soziale, also Politische, also die Existenz eines rechtsradikalen Milieus, den Kern eines Konflikts darstellt. Eine Schülerin, erkennbar aus gutbürgerlichem Haus, meldete sich und meinte, Freud sei ja ein Arzt für Geisteskranke gewesen. Für Geisteskranke möge das ja stimmen, dass der Mensch an sich aggressiv ist. Für Normalbürger ergäbe das keinen Sinn. Und war sich unausgesprochen mit der Lehrerin einig, dass es die Faschos und die Ausländer sind, also die Abartigen verschiedener Coleur, die das Lichtenhagener Vorstadtidyll rings um das Sonnenblumenhaus zerstört haben.
Da wähnte ich mich auf der sicheren Seite, lächelte über die Leute, die nicht mal von Freud eine Ahnung haben, dessen Thesen schon seit hundert Jahren bekannt sind, aber vor allem verteidigte ich mit diesem Lächeln mein eigenes Neben-der Spur-Sein: Natürlich fühlte ich mich selber eher als „Fascho oder Ausländer“ denn als Lichtenhagener. Hatte einen Hass auf alles und die Spießer, insbesondere die ostdeutschen Spießer. (Und später, als ich das begriff und therapeutische Hilfe in Anspruch nahm, da war es ganz schnell klar, dass das nur eine klassische Psychoanalyse sein könnte, kein rationalistischer Verhaltenstherapie-Schnickschnack oder gar westdeutsch-modischer Bioenergetik-Quatsch.) Noch später, die Wogen glätteten sich langsam, las ich, dass Freuds These vom Aggressionstrieb tatsächlich überholt ist. Man weiß inzwischen, dass Aggression tatsächlich so eine Art Fehlfunktion ist, nämlich eine in der Sache verschobene Reaktion auf eine anderswo erlittene Demütigung. An sich eine ziemlich einleuchtende Erklärung; komisch, dass einen erst die Neurowissenschaft darauf hinweisen muss.
Es gab also keinen Grund, mich über die Stabü-Lehrerin und die ostdeutsche Schülerin zu erheben, aufgrund irgendeines gesicherten Wissens, nein, die hatten schon Recht. Ihre Argumente stimmten. Was nicht stimmte, das war der ideologische Zusammenhang, nämlich die Idee, dass der Mensch als solcher einfach nur den Normen gehorchen muss, und schon ist alles in Ordnung.
Denn wenn es so wäre, dann wäre ja tatsächlich der Mensch eine Maschine, wie es im 18. Jahrhundert schonmal jemand behauptet hat, dann wäre der Mensch nichts als eine sehr entwickelte Hardware, auf die die richtige Software einfach nur aufgespielt werden muss. Und dann wäre es in der Tat entscheidend, ob die richtige frühkindliche Frühförderung passiert und in den frühen Jahren, in denen sich das Gehirn bekanntermaßen entwickelt (also so ca. bis vier), möglichst viel und Sinnvolles auf die Festplatte gespielt wird. Ja, davon träumen sie, die von der Leyens und Linken – Gott sei Dank ist es nicht so, wenn mir dieser persönliche Hassausbruch gestattet ist.
Und vor allem: Wenn es so wäre, dann würde jeder Hardware-Fehler bedeuten, dass das betreffende Individuum minderwertig wäre. Dann wäre die Präimplantantionsdiagnostik nicht nur bei künstlicher Befruchtung sinnvoll, sondern immer.
Zum Glück wissen wir durch die Neurowissenschaft nicht nur, dass es den Aggressionstrieb nicht per se gibt und dass er praktisch von jedem durch Erlittenes erworben wird, wir wissen auch, dass erlerntes Wissen in den genetischen Code eingehen kann, und vor allem wissen wir, dass wir nicht wissen, welche Eigenschaften unserer Gattung langfristig nützlich sein werden. Kurz: Es ist alles komplizierter und weniger schwarz-weiß, als wir gemeinhin denken.
Also überlassen wir doch die strategischen Überlegungen Gott, der Natur oder wie auch immer wir das nennen wollen, misstrauen weiter den Datensammlungen im Schutt dieses Zwickauer Hauses, in Pullach oder bei Standards & Poor’s und orientieren uns weiter an der Liebe zu uns selbst und denen, die uns begegnen (und das sollten natürlich möglichst verschiedene sein).

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