Montag, 30. Mai 2011
Im Falladahaus, Teil 1
Jetzt hatte das Warten ein Ende, und zwar ganz schnell: Vor zehn Tagen der Anruf von der Bezirksregierung, letzte Woche das Telefonat mit dem Schuldirektor. Ich war sofort einverstanden gewesen: nach so vielen Jahren eine feste Stelle! Greifswald kannte ich eigentlich nicht, einmal vor Jahren war ich im Urlaub da gewesen. Und ich mochte die Ostsee. Warum nicht dorthin ziehen. Ich telefonierte mit einem Wohnungsmakler, machte mit dem Schuldirektor einen Termin aus, und dann fuhr ich hin. Am Vormittag wollte mir der Direktor meinen neuen Arbeitsort zeigen: den Kartenraum, das Lehrerzimmer, die Computer mit Internetanschluss. Die hohe, absurd hässliche Fassade aus rotem Backstein stehe unter Denkmalschutz, erklärte er mir stolz, als wir über den baumlosen Schulhof zur Turnhalle rüberliefen. Auch die war aus rotem Backstein, darüber ein Dach mit blaugrauer Teerpappe, das in der Sonne glitzerte.
Ich aß in einem Café am Markt, um 14 Uhr war mein nächster Termin. Ein Herr Minski werde mich erwarten, hatte der Makler gesagt, von ihm könne ich sofort die Schlüssel empfangen, sollte mir die Wohnung zusagen. Es war ein hell verputztes Eckhaus aus dem 19. Jahrhundert, mit mächtigen Stuckornamenten, das sich reicher gab, als es war. Eine schwarze Steintafel zwischen zwei Fenstern des Hochparterres meldete stolz, dies sei das Geburtshaus des Dichters Rudolf Dietzen, auch genannt Hans Fallada. ‚Der Trinker’, schoss es mir durch den Kopf, ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frisst’ – na, dann mal vorwärts.’ Der Hauseingang befand sich an der Seite, bei der Hofeinfahrt, ein hölzerner Vorbau, fast eine Art Veranda mit einer kleinen Freitreppe. Da stand Herr Minski und winkte mir schon von weitem zu. Dann eilte er auf mich zu und gab mir die Hand. „Herr P.?“ Sein linkes Auge zwinkerte nervös.
„Sie werden sehen“, sagte er, als wir die Treppe raufstiegen, vorbei an uralten, gerahmten Farbfotos von Rhein und Mosel und einer offensichtlich penibel gepflegten Blumenbank, „ ..... hier sind alle ein bisschen schrullig. Sie werden gar nicht auffallen. Tomaschek und Winkler im ersten Stock – die tun bloß so ordentlich; na, und ganz oben wohnen nach vorne raus die Jordans – er ist ja selten da, und sie – auch meistens irgendwie abwesend.“ Er kicherte. „Die andere Wohnung ist die, die frei ist.“ Wir waren inzwischen im Dachgeschoss angelangt, Ein dunkler Flur mit zwei winzigen Fenstern an den Giebelseiten und drei oder vier riesigen Schränken. Ich sah mich noch verwundert um, da war Herr Minski schon vorausgehuscht und öffnete im Hintergrund eine Tür. „Ihre Wohnung ist ein wenig verwinkelt. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen trotzdem.“

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