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Donnerstag, 8. November 2007
"An die Grenze" - Teil 5: Zum Abschluss ein paar Fotos
damals, 22:11h
So, ich beende die DDR-Erinnerungs-Gruselserie mit ein paar Fotos aus dem Jahr 1995, als die Russen abzogen und auch besagtes Stadtviertel wieder der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Sie sind durch Scannerprobleme leider etwas verfremdet, was ich aber gar nicht schlecht finde, da durch die falsche Belichtung alles noch düstererer aussieht. Deutlich zu erkennen ist, dass man Villen zu Gefängnissen umgearbeitet hat.
Man könnte jetzt sagen, das ist Schnee von gestern. Die Russen sind lange weg. Die Villen wurden restauriert und gehören jetzt wieder denen, die Geld haben. Das Thema DDR ist gut für Gruselgeschichten – hier in meinem Blog wie im ZDF oder bei der Oscar-Verleihung.
Aber einer von denen, die damals von Potsdam aus Bösewichter zu Tode hetzten, regiert jetzt in Moskau. Er jagt immer noch „Terroristen“ (so nennt man die Bösen heute) und versteht sich gut mit Terroristenjägern anderer Provenienz. Aber auch Tschetschenen, Afghanen und Iraker essen von Tellern. Dieses nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, kann dieser Text vielleicht helfen.
Man könnte jetzt sagen, das ist Schnee von gestern. Die Russen sind lange weg. Die Villen wurden restauriert und gehören jetzt wieder denen, die Geld haben. Das Thema DDR ist gut für Gruselgeschichten – hier in meinem Blog wie im ZDF oder bei der Oscar-Verleihung.
Aber einer von denen, die damals von Potsdam aus Bösewichter zu Tode hetzten, regiert jetzt in Moskau. Er jagt immer noch „Terroristen“ (so nennt man die Bösen heute) und versteht sich gut mit Terroristenjägern anderer Provenienz. Aber auch Tschetschenen, Afghanen und Iraker essen von Tellern. Dieses nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, kann dieser Text vielleicht helfen.
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"An die Grenze" - Teil 4: Exkurs über Deserteure
damals, 11:16h
Merkwürdig berührt hat mich in dem Film die Szene, wo der Deserteur zwei Grenzer erschießt. Das erschien mir ganz unglaubwürdig. Aber mein Gefühl trog: Das hat es wirklich gegeben. 1975 erschoss der NVA-Deserteur Werner Weinhold bei seiner Flucht zwei Grenzer. Als ich das im Internet nachrecherchierte, löste der Name „Weinhold“ löst in mir ein quälendes Gefühl aus. Es fühlte sich an wie irgendeine dieser Lügen, irgendwas von dem Blödsinn, mit dem damals alle, auch die Kinder (ich war 1975 neun), überschüttet wurden. Ungefähr sowas Ätzendes wie heute die Werbung. Nur kann eben Werbung mitunter richtige Informationen enthalten.
Weshalb ich bei der Szene unruhig und ärgerlich wurde, ist, weil ich beim Erscheinen des Deserteurs anderes assoziiert habe als den Werner Weinhold, der gemeint war. Ich dachte sofort an einen russischen Deserteur. (In Wirklichkeit ist nur einer der Grenzsoldaten-Erschießer ein Russe gewesen). Denn die Geschichten von diesen Verzweifelten waren die Gruselgeschichten meiner Kindheit.
Wir hatten sehr viele Russen in Potsdam, wo ich aufgewachsen bin. Zwischen meinem Zuhause und dem der meisten Spielkameraden war ein ganzes Stadtviertel, ein einst prächtiges Villenviertel, durch Zäune und Mauern abgetrennt und mit Wachtürmen versehen: Militärgericht und KGB-Zentrale der sowjetischen Truppen in Deutschland. Manchmal hörte man, dass wieder einer abgehauen sei. Ich stellte mir diese Menschen irgendwie wie wilde Tiere vor – wer sonst begibt sich, in der Regel unter der Anwendung von roher Gewalt, auf einen Weg, der mit 99%-iger Sicherheit innerhalb weniger Tage mit dem Tod endet? Einmal wurde ein leerstehendes Haus zwischen dem Russenviertel und der Grenze nach Westberlin (Entfernung ca. 2 km) in Brand geschossen, weil sich dort einer versteckt hatte. Und einmal stand auf der Seite 2 im „Neuen Deutschland“ unter „Innenpolitik“ folgende kryptische Nachricht: „Zwischenfall am Schkeuditzer Kreuz - Im Zuge der Verfolgung eines Rechtsbrecher wurden im Bereich des Schkeuditzer Autobahnkreuzes durch Angehörige der sowjetischen Truppen Warnschüsse abgefeuert. Um die Verkehrssicherheit nicht zu gefährden, wurde der gesamte Autobahnabschnitt für den Verkehr gesperrt.“
Als ich etwa fünfzehn, gab es große Aufregung. Ein Deserteur, von dem schon gemunkelt worden war, hatte sich offenbar ein paar Tage in der Datsche von der Familie meines Schulfreunds S. versteckt. Natürlich zog das umfangreiche Nachforschungen durch die „Organe“ nach sich. Ein paar Tage später hörte man, er sei tot. Wir bestürmten S. zu erzählen, wie denn nun alles gewesen sei. Ich glaube, es wurde auch ein durchschossener Metallzaunpfahl besichtigt (oder bauscht das meine erinnernde Phantasie auf?). Sicher weiß ich noch, dass S. vor allem eine Beobachtung bewegte: „Er hat das Geschirr abgewaschen.“ Offenbar war das also doch kein sibirisches Waldmonster ...
Weshalb ich bei der Szene unruhig und ärgerlich wurde, ist, weil ich beim Erscheinen des Deserteurs anderes assoziiert habe als den Werner Weinhold, der gemeint war. Ich dachte sofort an einen russischen Deserteur. (In Wirklichkeit ist nur einer der Grenzsoldaten-Erschießer ein Russe gewesen). Denn die Geschichten von diesen Verzweifelten waren die Gruselgeschichten meiner Kindheit.
Wir hatten sehr viele Russen in Potsdam, wo ich aufgewachsen bin. Zwischen meinem Zuhause und dem der meisten Spielkameraden war ein ganzes Stadtviertel, ein einst prächtiges Villenviertel, durch Zäune und Mauern abgetrennt und mit Wachtürmen versehen: Militärgericht und KGB-Zentrale der sowjetischen Truppen in Deutschland. Manchmal hörte man, dass wieder einer abgehauen sei. Ich stellte mir diese Menschen irgendwie wie wilde Tiere vor – wer sonst begibt sich, in der Regel unter der Anwendung von roher Gewalt, auf einen Weg, der mit 99%-iger Sicherheit innerhalb weniger Tage mit dem Tod endet? Einmal wurde ein leerstehendes Haus zwischen dem Russenviertel und der Grenze nach Westberlin (Entfernung ca. 2 km) in Brand geschossen, weil sich dort einer versteckt hatte. Und einmal stand auf der Seite 2 im „Neuen Deutschland“ unter „Innenpolitik“ folgende kryptische Nachricht: „Zwischenfall am Schkeuditzer Kreuz - Im Zuge der Verfolgung eines Rechtsbrecher wurden im Bereich des Schkeuditzer Autobahnkreuzes durch Angehörige der sowjetischen Truppen Warnschüsse abgefeuert. Um die Verkehrssicherheit nicht zu gefährden, wurde der gesamte Autobahnabschnitt für den Verkehr gesperrt.“
Als ich etwa fünfzehn, gab es große Aufregung. Ein Deserteur, von dem schon gemunkelt worden war, hatte sich offenbar ein paar Tage in der Datsche von der Familie meines Schulfreunds S. versteckt. Natürlich zog das umfangreiche Nachforschungen durch die „Organe“ nach sich. Ein paar Tage später hörte man, er sei tot. Wir bestürmten S. zu erzählen, wie denn nun alles gewesen sei. Ich glaube, es wurde auch ein durchschossener Metallzaunpfahl besichtigt (oder bauscht das meine erinnernde Phantasie auf?). Sicher weiß ich noch, dass S. vor allem eine Beobachtung bewegte: „Er hat das Geschirr abgewaschen.“ Offenbar war das also doch kein sibirisches Waldmonster ...
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